Der Sahel-Konflikt holt Scholz auch in Nigeria ein

Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem afrikanischen Präsidenten Bola Ahmed Tinubu in Abuja
Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem nigerianischen Präsidenten Bola Ahmed Tinubu in Abuja, Foto: Kola Sulaimon/AFP/Getty Image

Abuja. Bei den Gesprächen von Bundeskanzler Olaf Scholz in Nigeria war auch ein fast schon wieder vergessener Konflikt ein Thema: Die Militärputsche in der Sahelzone und zuletzt in Niger, die auch die angrenzenden südlichen Nachbarstaaten beschäftigen. Ein besorgter nigerianischer Präsident Bola Ahmed Tinubu hatte als Vorsitzender der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas sogar mit einer Militärintervention in Niger gedroht.

Doch drei Monaten nach dem Putsch ist wenig passiert. Die Putschisten sowohl in Niger als auch in Mali sind weiter an der Macht. "Und eine Militärintervention von Ecowas ist nicht mehr aktuell. Dies war eine leere Drohung mangels Kapazitäten", sagt Ulf Laessing, Sahel-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Reuters. Amree Ali Chughtai, Afrika-Experte beim European Council of Foreign Relations (ECFR), pflichtet ihm bei. "Ich glaube, dass die Idee tot ist."

Tatsächlich ist das Problem im Norden Afrikas damit nicht beseitigt - aber es macht sich Ernüchterung sowohl unter Europäern wie Afrikanern breit. "Die Junta hat ihre Macht im
Gegenteil konsolidiert, indem sie dem Wunsch vieler Menschen entspricht, die französischen Truppen auszuweisen", meint Laessing. Und während die Putschisten sowohl in Mali als auch Niger auf die Hilfe russischer Wagner-Söldner setzen, ziehen sich die Europäer zurück.

Auch Scholz klingt defensiv: Er betonte nach seinem Treffen mit dem Präsidenten der Ecowas-Kommission, Omar Alieu Touray, dass zumindest der "Trend" zu Militärputschen in Westafrika gestoppt werden müsse. Dafür sei eine weitere Sicherheitskooperation nötig. Hintergrund ist, dass auch das bevölkerungsreichste afrikanische Land Nigeria im Nordosten seit längerem mit radikalen islamistischen Gruppen zu kämpfen hat.

"Wir werden Ihre Hilfe im Bereich der Sicherheit weiterhin benötigen und auf Ihr Wissen zurückgreifen", betonte deshalb der nigerianische Präsident im Gespräch mit dem Kanzler. Er kennt die Fallstricke der Bemühungen: Tinubu war zuvor auch innenpolitisch mit seiner Forderung nach einer harten Linie und notfalls einer Militärintervention in Niger gescheitert.

Niemand unterstützte eine Militärintervention

"Eine Intervention hätte auch deswegen keine Chance, weil die Armee auf Seiten der Putschisten steht", winkt KAS-Experte Laessing ab. Selbst Anhänger des gestürzten Präsidenten hielten dessen von Scholz in Nigeria erneut geforderte Rückkehr für nicht mehr realistisch.

Ecowas habe aber auch deshalb einen Rückzieher gemacht, weil am Ende weder die USA noch Frankreich Lust auf ein militärisches Eingreifen und die nötige Unterstützung gehabt hätten, sagt ECFR-Experte Chughtai. Im Gegenteil zieht sich Frankreich aus der Sahel-Zone notgedrungen zurück. "Macron hatte bis zuletzt an der Truppenstationierung in Niger festhalten wollen und hat damit der Junta unfreiwillig Zustimmung im eigenen Land aber auch in der Region beschert", kritisiert Laessing den französischen Präsidenten.

Frankreichs Reputation in Westafrika sei nachhaltig beschädigt, auch weil es nicht aus den eigenen Fehlern lerne, sagt Laessing. Im Tschad unterstütze Frankreich aktuell eine Militärregierung, die Wahlen verschleppt. "Dies wird in Afrika als Doppelstandard gesehen - Paris kritisiert Juntas in Niger, Mali und Burkina Faso - aber nicht befreundete Militärregierungen wie im Tschad."

Stefan Liebing, Ex-Präsident des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, sieht noch eine andere Ursache für die Entwicklungen: Zwar schwinde Frankreichs Einfluss tatsächlich. "Aber der Umsturz in der Sahel-Zone liegt eher daran, dass die dortigen Regierungen Reformen verschleppt haben und es den Menschen schlechter geht. Da wird Frankreich zum Sündenbock gemacht", sagt er zu Reuters.

Deutschland zeigt ungewöhnlich deutlich Flagge

Die Entwicklung wirft die Frage auf, ob Deutschland als wirtschaftsstärkstes Land der EU nicht eine größere Rolle in der Region spielen sollte - zumal Mitglieder der Bundesregierung immer wieder betonen, dass Gesprächspartner in der Sahel-Zone und Westafrika diesen Wunsch äußerten. Immerhin zeigt Deutschland derzeit ungewohnte Afrika-Präsenz: Zeitgleich besucht der Kanzler Nigeria und Ghana, der Bundespräsident Sambia und Tansania und die Innenministerin Marokko. Mitte November lädt Scholz zudem zu einem großen Afrika-Gipfel.

ECFR-Experte Chughtai ist dennoch skeptisch. Es sei 0unwahrscheinlich, dass Deutschland Frankreich in der Region ersetzen könne. Die Deutschen fühlten sich unbequem in der Rolle als Großmacht und geopolitischer Akteur. "Und ich bin skeptisch, was die Bereitschaft Deutschland angeht, dies zu ändern."

Eine Chance gebe es für Deutschland aber als Wirtschaftsakteur. Es sei dringend nötig, dass die Europäer nun Flagge in Afrika zeigten. "Bisher sind Chinas Investitionen viel sichtbarer", kritisiert er. Dazu müsse auch Deutschland mehr tun. Der Bedarf ist offenbar da. In Abuja wurde Scholz von einer nigerianischen Journalistin gefragt, wieso Siemens denn in Ägypten Züge mit einer Geschwindigkeit von 200 Stundenkilometer baue, während Nigeria von den Chinesen nur Züge bekomme, die 100 Kilometern schnell führen. (Reuters)