"Riverbend" – eine Stimme der Aufklärung

Web-Blogs gelten als Quelle ergänzender Informationen. Den Bloggern gelingt es oft, engagierter und unmittelbarer als Korrespondenten aus abgeschotteten Konfliktzonen zu berichten. Ein Beispiel ist der Blog "Bagdad Burning", der nun in Buchform vorliegt. Amin Farzanefar stellt den Blog vor.

Web-Blogs gelten als Quelle ergänzender Informationen. Den Bloggern gelingt es oft, engagierter und unmittelbarer als Korrespondenten aus abgeschotteten Konfliktzonen zu berichten. Ein Beispiel ist der Blog "Bagdad Burning", der nun in Buchform vorliegt. Amin Farzanefar stellt "Bagdad Burning" vor.

​​Während des Irakkrieges kam der "Bagdadblogger" zu einer gewissen Berühmtheit: unter dem Pseudonym "Salam Pax" schilderte ein junger Iraker die Vorgänge vor, während und nach der US-Invasion.

Pax' Blogs waren von einem intelligenten, anarchischen Witz geprägt. Für ihn Anlass genug, lange Zeit die Anonymität zu wählen. Auch "Riverbend", deren Interneteinträge nun bei Rowohlt unter dem Titel "Bagdad Burning" erschienen sind, hält sich über ihre Identität bedeckt.

Laut Klappentext ist sie eine junge Irakerin, die nach einem Informatikstudium als Programmiererin und Netzwerk-Spezialistin arbeitet – "das ist alles was Ihr wissen müsst", so das knappe Statement zu ihrer eigenen Person. Die fast 400 Seiten (die englische Ausgabe erschien in zwei Bänden) bieten eine spannend zu lesende, unglaubliche Fülle an Material, das den Irakkonflikt anschaulicher macht als alle gängigen Nachrichtenbilder und Schreckensmeldungen.

Alltag und Krieg

Da ist zunächst einmal die intensive Erfahrung des Krieges selbst: die Vorbereitungen auf den angekündigten Befreiungsschlag "Enduring Freedom", die anfangs ungewohnten Geräusche von Bomben, Panzern, Helikoptern, die man alle allmählich nach Typen unterscheiden lernt.

Ein Tag ohne Explosion zählt schon als "schlechter Tag" – nach dem Motto: Das Schlimme steht dann ja noch bevor. "Riverbend" dokumentiert, wie die Besatzung den Alltag einer irakischen Familie aus der Mittelschicht, die in einem wohlhabenderen Distrikt Bagdads lebt, verändert – wie die traditionellen Festivitäten – Ramadan, die Eid-Feste - unter zunehmenden Schwierigkeiten stattfinden müssen.

Gewalt beim Ashura-Fest; Foto: AP
Traurige Realität im kriegsgeschüttelten Irak: Im Januar 2007 starben sieben Pilger auf dem Weg zu den Ashura-Feierlichkeiten in Bagdad, als ihr Bus unter Beschuss geriet.

​​Die hinzukommenden schiitischen Ashura-Prozessionen, die unter Saddam Hussein noch verboten waren, bringen zahlreiche Fremde in die Stadt und lassen neue Spannungen erahnen.

Doch die größte Herausforderung ist der verzweifelte Versuch, nach jahrelangen Wirtschaftssanktionen und gewaltsamen Konflikten überhaupt noch einen normalen Haushalt führen zu können: Unter der Besatzung mangelt es immer noch an Benzin, Gas, Wasser, Elektrizität. Hinzu kommen Gefahren, sich außerhalb des Hauses zu bewegen, um die lebensnotwendigen Güter zu beschaffen.

Bilder gerade rücken

Was "Riverbends" aufklärerische, intelligente Stimme vielleicht am deutlichsten vermittelt: Bagdad gehört nicht per se zur "Peripherie". Im "finsteren" Mittelalter – das man heute wieder herein brechen sieht – zählte die Stadt weltweit zu den größten Metropolen.

In den 1950er Jahren verpassten ihr Weltklasse-Architekten wie LeCorbusier, aber auch auch Frank Lloyd Wright, Walter Gropius und Alvar Aalto eine modernistische Fassade. Erst die letzten Jahrzehnte Diktatur, Golfkrieg, Boykott, Besatzung und Bürgerkrieg haben das Land in eine – vermeidbare? – Barbarei gestürzt.

Vor diesem Hintergrund bleibt die Bloggerin recht persönlich und doch geht sie weit darüber hinaus, wenn sie immer wieder Zahlen und Daten nennt und Vergleiche anstellt – über Opfer, Flüchtlinge, Besatzungstruppen, unfähige Regierungsmitglieder sowie über unterschlagene Gelder und Aufträge.

Ausführlich kommentiert sie etwa die skandalöse Vergabe der Wiederaufbauverträge an Dick Cheneys Firma "Halliburton". Um ein Vielfaches günstigere Kostenvoranschläge einheimischer Ingenieure wurden damals ignoriert. Mit bissigem Humor entlarvt die Bloggerin die Fälschung ihrer Internetpräsenz durch einen US-Bürger, der ihren Blog zu Propagandazwecken im Bush-Jargon umschreibt.

Mit Details über das Ausbildungssystem rückt die Irakerin auch das "Schwarzweiß"-Bild von Saddams Herrschaft zurecht: die Fehlinformation etwa, dass nur gleichgeschaltete Baath-Anhänger zur Uni zugelassen wurden – der Ausbildungsstandard war trotz des Boykotts hoch, die Gleichstellung der Frauen im regionalen Vergleich fortgeschritten.

Vielseitiges Informationsangebot

"Bagdad Burning" ist subjektiv, aber unabhängig. Im Gegensatz zu dem "Embedded Journalism" der westlichen Berichterstatter ermöglicht der Blog Zugang zu unterschiedlichsten Quellen: "Riverbend" vergleicht Ereignisse im Spiegel verschiedener internationaler Zeitschriften, liefert Links zu offiziellen Papieren und Statistiken, zu Blogs von In- wie Auslandsirakern, zu Musikdownloads und irakischen Rezepten.

Flüchtlinge aus dem Irak vor dem UN-Sitz in Damaskus; Foto: AP
Wie viele andere Iraker auch suchte "Riverbend" mit ihrer Familie Schutz vor der anhaltenden Gewalt im Nachbarland Syrien: irakische Flüchtlinge vor dem UN-Sitz in Damaskus.

​​Den Zusammenhalt in dieser erschütternden und unterhaltsamen Textsammlung bildet der Alltagsbezug, die persönliche Betroffenheit. Dafür erhielt "Riverbend" 2005 den "Ulysses-Award", eine Art Nobelpreis für Reportageliteratur, ausgelobt von der Kulturzeitschrift "Lettre International".

Die Buchausgabe, eingeleitet und kommentiert von dem US-Starjournalisten James Ridgeway, reicht bis September 2004, da erscheinen die Einträge nur noch sporadisch.

"Riverbends" ironisch-sarkastische Auslassungen sind nicht mehr so ausladend wie zuvor: unmittelbar nach Abu Ghraib, der Hinrichtung des Journalisten Nick Berg meint man bei der jungen Autorin Erschöpfung zu spüren, aufkeimenden Verdruss. Wer "Riverbends" Blog direkt im Internet aufsucht, erfährt im letzten Eintrag, vom September 2007, dass sie mit ihrer Familie inzwischen in Syrien lebt – ebenso wie 1,5 Millionen weitere Iraker.

"Ich hatte immer eine bestimmte, falsche Vorstellung davon, was Flüchtlinge sind, unterwegs mit Koffer und Zelt. Jetzt sind wir selber welche." Es kann jeden treffen.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2008

Qantara.de

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