Der Gewalt zum Trotz

Die lebendige alternative Medienszene, die sich in den vergangenen Jahren in den von den syrischen Rebellen kontrollierten Gebieten etabliert hat, ist längst nicht mehr nur dem Assad-Regime, sondern auch den radikalen Islamisten ein Dorn im Auge. Von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

Die Angst- und Schreckenspropaganda, mit der die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) immer wieder von sich reden macht, lässt eine ganz andere mediale Realität in Syrien in den Hintergrund treten.

Dies ist alles andere als Zufall, sondern hat System. Denn in den von den Rebellen kontrollierten Gebieten existieren bereits seit einigen Jahren unabhängige Medien, die sowohl das Regime als auch die islamischen Extremisten in Syrien massiv stören.

Beide unternehmen daher alles, um eine unabhängige Berichterstattung zu verhindern. So ist seit Beginn der Volkserhebung in Syrien die Liste getöteter syrischer Journalisten – besonders auch Bürgerjournalisten – immer länger geworden.

Der wachsende Druck veranlasste eine Gruppe einheimischer Journalisten bereits im Frühjahr 2012 dazu, einen unabhängigen Berufsverband zu gründen, der in klarer Opposition zum regierungsnahen Journalistenverband steht und der heute nach eigenen Angaben mehr als 150 Mitglieder zählt. Hier wird genauer als anderswo das Ausmaß der Gewalt, der Medienmitarbeiter auf syrischem Boden ausgesetzt sind, dokumentiert.

Journalisten als Zielscheibe

Demgemäß wurden von 2011 und bis Ende Juli 2014 mehr als 250 Journalisten und Fotoreporter getötet. Manche vegetierten Monate, wenn nicht Jahre, in staatlichen Gefängnissen, ehe sie an den Folgen von Folter starben. Andere kamen bei Bombardements ums Leben, wurden durch gezielte Kopfschüsse von Heckenschützen getötet oder sogar hingerichtet.

In letzter Zeit sind auf der Opferliste auch vermehrt Medienaktivisten aus den Reihen der mit den Extremisten des IS konkurrierenden islamistischen Rebellengruppen zu finden – auch sie scheinen, ehe man sie tötete, systematisch gefoltert worden zu sein.

Rebellen im umkämpften Aleppo (Foto: Abo Shuja/AFP/Getty Images)
Bedroht von allen Seiten: Nach Informationen von "Reporter ohne Grenzen" war Syrien 2013 das gefährlichste Land der Welt für Journalisten. Dort starben allein im vergangenen Jahr zehn professionelle Berichterstatter und 35 Bürgerjournalisten.

Der unabhängige syrische Journalistenverband ist nicht nur damit befasst, solche Schrecken zu dokumentieren. Er unterstützt auch lokale Medieninitiativen, vor allem solche, die versuchen Aktivisten aus verschiedenen Lagern der Aufständischen zusammenzubringen.

Eines der jüngsten Beispiele kommt aus der von Rebellen kontrollierten südsyrischen Stadt Daraa, wo eine Gruppe von knapp 30 jungen Männern das Medienbüro Al-Nabaa (Die Nachricht) gegründet hat. Es nutzt Facebook und Twitter und betreibt auch einen eigenen Youtube-Kanal.

Ein breites Spektrum oppositioneller Gruppen

Dem Anspruch, einem möglichst breiten Spektrum von Oppositionsgruppen ein gemeinsames Forum zu bieten, wird man hier etwa mit der Video-Dokumentation einer Zusammenkunft ihrer Vertreter gerecht. Das Treffen dient nicht nur der gegenseitigen Verständigung und Koordination. Durch seine Übertragung im Internet hoffen die Aufständischen auf Probleme, unter denen alle Gruppen zu leiden haben und bei denen sie sich von der syrischen Oppositionsführung im Ausland im Stich gelassen fühlen, aufmerksam zu machen.

Verletzte aus den eigenen Reihen, wird beklagt, könne man kaum noch adäquat versorgen, schon die Lieferung einiger weniger Krankenwagen würde die Lage enorm verbessern. Ein Offizier der Freien Syrischen Armee (FSA) macht zudem seinem Ärger darüber Luft, in den letzten vier Jahren aus dem Ausland kaum Waffen, geschweige denn schwere, erhalten zu haben.

Nicht nur solche bemerkenswert offen geführten Diskussionen werden von Al-Nabaa medial begleitet, sondern auch Militäroperationen, die von verschiedenen Aufständischengruppen in der Region gemeinsam ausgeführt werden.

Westliche Berichte über die jüngste Eroberung des syrisch-israelischen Grenzübergangs in Kuneitra durch die islamistische Nusra-Front werden durch die kurzen Videoreportagen von Al-Nabaa relativiert: Sie lassen deutlich erkennen, dass hier auch FSA-Kämpfer im Einsatz sind.

Syrische Rebellen mit Patronengürtel; Foto: Reuters
Im Kugelhagel der Rebellen und regimetreuen Truppen: Demgemäß wurden von 2011 und bis Ende Juli 2014 mehr als 250 Journalisten und Fotoreporter getötet. Manche vegetierten Monate, wenn nicht Jahre, in staatlichen Gefängnissen, ehe sie an den Folgen von Folter starben. Andere kamen bei Bombardements ums Leben, wurden durch gezielte Kopfschüsse von Heckenschützen getötet oder sogar hingerichtet.

Gegenstand der Berichterstattung aus Daraa ist immer wieder auch die erschütternde Politik der verbrannten Erde, nach der Assads Truppen verfahren: Sehen sie sich zum Rückzug gezwungen, wird der aufgegebene Stützpunkt – meist ein vormals ziviles Gebäude – in Brand gesteckt.

Versuchen die Aufständischen solches Areal wieder zu besetzen, werden sie Ziel schwerer Bombardements aus der Luft mit Sprengstoff-Fässern, die in der Stadt längst tägliche Routine sind. Kürzlich trafen sie, wie Al-Nabaa dokumentiert, auch die große städtische Abbas-Moschee, einen Ort von besonderem Symbolwert: Hier hatte am 18. März 2011 eine der ersten großen Demonstrationen gegen das Assad-Regime ihren Anfang genommen.

Ein Netz unabhängiger Radiostationen

Der oppositionelle syrische Journalistenverband wirbt in seinen Auftritten im Internet auch für andere Medieninitiativen, mit denen er kooperiert. Dazu gehört das Radio-Projekt Syrnet, das mit Unterstützung von MICT, einer Berliner Nichtregierungsorganisation, entwickelt wurde.

MICT hat in Syrien seit September 2013 ein beachtliches Netz an unabhängigen Radiostationen aufgebaut, das die mediale Oppositionsarbeit gerade auch an Ort und Stelle stärken soll – eine Reihe von Radiosendern, die vom westlichen Ausland unterstützt werden, sind zwar seit einigen Jahren in Syrien zu empfangen, sie werden aber meist von Jordanien und der Türkei aus betrieben.

MICT hat mittlerweile schon acht Sender in verschiedenen Teilen Syriens in Betrieb. Man bedient sich des in Berlin konzipierten Systems Pocket FM, das so einfach wie effizient ist. Es bedarf nämlich keines großen und kostspieligen Sendeturms, sondern jede der Stationen von Syrnet verwendet mehrere kleine tragbare Antennen, die von weitem kaum sichtbar sind und im Falle eines Angriffs – samt der batteriebetriebenen Mikrosender – schnell an einen neuen Standort gebracht werden können.

Den 24-Stunden-Sendebetrieb teilen sich die acht örtlichen Studios, womit ein Totalausfall verhindert und gleichzeitig dafür gesorgt wird, dass die Hörer über das Geschehen auch in anderen Regionen des Landes informiert werden. Den Dauerbetrieb gewährleistet zudem die zusätzliche Einspeisung ins Internet sowie die Ausstrahlung über den ägyptischen Satelliten Nilesat. So wird auch der Empfang in Syriens Nachbarländern ermöglicht, wo mittlerweile mehrere Millionen syrische Flüchtlinge leben.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2014