Das neue Gesicht der türkischen Literatur

Schriftsteller haben es in der Türkei generell nicht leicht. Jedoch sind oft schreibende Frauen, die von Ungleichheit und Diskriminierung viel unmittelbarer betroffen sind. Aygül Cizmecioglu berichtet aus Istanbul über die neue Rolle der Frau in der türkischen Literaturszene.

Leserin auf der Buchmesse; Foto: AP
"Gute, mutige Bücher zu schreiben - in der Türkei immer noch ein Risikogeschäft."

​​ Gepflasterte Straßen, die sich eng um die alten Holzhäuser schlingen. Überall Cafés, Galerien, Menschengetümmel. Und über allem die atemberaubende Aussicht auf den Bosporus. Cihangir ist Istanbuls Künstlerviertel, eine Art intellektuelle Schaltzentrale der Kreativen.

Hier lebt auch Sebnem Isigüzel. Eine kleine zierliche Frau, die bereits die wichtigsten Literaturpreise des Landes bekommen hat. Die 35-Jährige gilt als die Stimme der neuen türkischen Literatur schlechthin.

"Schreiben heißt für mich, mein Innerstes nach außen zu stülpen, von meinem Schreibtisch aus, die Welt zu beobachten. Und das kann sehr schwierig sein", sagt Isigüzel. Schließlich sei die Türkei ein Land mit verdrängter Geschichte und außerdem politisch immer wieder am wackeln.

"Hier jeden morgen aufzustehen, und Bücher zu schreiben - trotz allem - ist für jeden Schriftsteller ein wahrer Kraftakt", so Isigüzel.
Vor allem wenn man, wie Sebnem Isigüzel, in ihren Büchern, die Realität der Türkei seziert. Die Widersprüche im eigenen Land - zwischen den Säkularen und den Religiösen, das Gefälle zwischen den abgelegenen Provinzen und der Großstadt. Ihre klare, provokante Sprache handelte ihr bereits eine Klage in der Türkei ein. Nun ist ihr erstes Buch auf Deutsch erschienen.

Patriarchalische Heimat

Autorin Sebnem Isigüzel
Sebnem Isigüzels Werke gelten als Paradebeispiele für eine neue türkische Literatur.

​​ "Am Rand" lautet der Titel des literarischen Schlüssellochblicks, in das Leben von türkischen Frauen. Sie haben scheinbar alles, und doch sind sie müde - müde von Erwartungen, einem vorbestimmten Leben, einem Leben ohne Kick. Sie reißen aus, werden zu Gestrandeten.

Ungleichheit und Diskriminierung existieren überall auf der Welt, räumt Isigüzel ein, jedoch seien in der Türkei, wo sich die Demokratie erst so langsam setze, Frauen davon viel unmittelbarer betroffen.

"Meine Heimat ist sehr stark patriarchalisch geprägt und hier werden immer noch Mädchen, nicht auf die Schule geschickt, nur weil sie Mädchen sind", beklagt sie, fügt jedoch hinzu: "Trotz der ganzen Traditionen - wir türkischen Frauen haben einen unheimlich starken Willen und lassen uns unsere Hoffnungen nicht nehmen."

Schriftstellerin mit Kopftuch

Buchantiquariat in Istanbul; Foto: picture-alliance/Godong
Probleme mit Raubkopien: "Ist ein Buch erfolgreich, findet man zwei Tage später die Kopie für die Hälfte auf den Straßen."

​​ Genau dieser Glaube an sich selbst charakterisiert auch die Literatur von Fatma Barbarosoglu. Wir treffen sie in einer der ältesten Moscheen Istanbuls, der Sehzadebasi Cami. Die 46-Jährige ist promovierte Philosophin und Autorin - und sie trägt ein Kopftuch.

Mit ihren Büchern prägt sie das neue Gesicht der selbstbewussten und religiösen türkischen Frau. "Natürlich werde ich mit Klischees konfrontiert", berichtet Barbarosoglu.

"Eine Schriftstellerin mit Kopftuch? Geht das überhaupt? Man nimmt erst mal von vornherein an, dass ich unterdrückt und dumm bin." Skeptische Blicke ernte sie dabei nicht nur von Kemalisten, sondern auch aus dem religiösen Lager. Vielleicht, weil sie in ihren Büchern, eine sinnliche, lebensbejahende Seite des Islam nachzeichnet. Das osmanische Reich als Nährboden für religiöse Toleranz und künstlerische Inspiration.

Barbarosoglu meint, der Islam stehe gerade nach dem 11. September unter Generalverdacht und werde von der Politik instrumentalisiert - vom Osten wie auch vom Westen. "Es geht darum, gegenseitig Angst zu schüren, um politische Ziele zu erreichen. Dabei wäre es doch viel wichtiger, darüber nachzudenken, warum wir uns so sehr vor dem Anderen, dem Unbekannten fürchten", rät sie.

"Erstauflagen von 50.000 wären ein Wunder"

​​ Fatma Barbarosoglu und Sebnem Isigüzel gelten in der Türkei zwar als erfolgreich, dennoch können sie vom Schreiben allein nicht leben. Beide arbeiten nebenher noch als Journalistinnen. Ihre Bücher haben eine Auflage von rund 10.000 Stück. Für türkische Verhältnisse, seien das Traumzahlen, meint Ilknur Özdemir. Sie ist Verlegerin von "Turkuaz kitap", einem renommierten Istanbuler Verlag.

Einst übersetzte sie Grass und Walser ins Türkische und kennt sich daher auf dem Buchmarkt beider Länder hervorragend aus. In der Türkei, so sagt sie, werde prinzipiell sehr wenig gelesen.

Im Vergleich zum monatlichen Einkommen, seien Bücher nicht sehr günstig. Außerdem gebe es in der Türkei ein ernstzunehmendes Problem mit Raubkopien. "Ist ein Buch erfolgreich, findet man zwei Tage später die Kopie für die Hälfte auf den Straßen. Dadurch haben viele Verlage einfach keinen großen finanziellen Freiraum", erklärt sie die schwierige Lage. "Erstauflagen von bis zu 50.000 wie in Deutschland, wären hier fast ein Wunder."

Gute, mutige Bücher zu schreiben - in der Türkei immer noch ein Risikogeschäft. Sebnem Isigüzel und Fatma Barbarosoglu tun es trotzdem. Ob politische Brisanz oder religiöses Selbstbewusstsein - beide ecken an - und versuchen den Klischees zu entfliehen. Keine bunt geknüpften Erzählteppiche, sondern wortgewaltige Literatur vom Bosporus.

Aygül Cizmecioglu

© Deutsche Welle 2008

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