"Rohani, ich bereue!"

Die Unruhen im Iran werfen ein Schlaglicht auf die strukturell bedingten sozialen und ökonomischen Missstände in der Islamischen Republik - und wie weit der Vertrauensverlust in die Regierung Rohani bereits gewachsen ist. Eine Analyse von Ali Fathollah-Nejad

Von Ali Fathollah-Nejad

Um die neue Qualität des Unmuts gegenüber dem gesamten iranischen Regime – Konservative wie Reformer gleichermaßen – ermessen zu können, sollte man sich die politischen und ökonomischen Ereignisse der vergangenen Monate vor Augen halten: Erst vor Kurzem waren die Preise für Benzin und Lebensmittel im Iran erneut massiv angestiegen, was vor allem die Unter- sowie ausgehöhlten Mittelschichten des Landes zu spüren bekamen.

Gleichzeitig hielten auch die Proteste von Arbeitern gegen die Nichtauszahlung ihrer Löhne sowie gegen willkürliche Entlassungen an – trotz der heftigen Repressionsmaßnahmen der iranischen Sicherheitskräfte. Die Rohani-Regierung ist seit Langem für ihre Haltung gegen Arbeitnehmerrechte und die Vereinbarung eines festen Mindestlohns bekannt.

Zudem hatten Mitte November letzten Jahres die schweren Erdbeben in der kurdischen Provinz allen Iranern vor Augen geführt, wie wenig sich das Regime um ihre lebenswichtigen Belange kümmert – von den im Dunst von Korruption und Vetternwirtschaft erbauten Sozialwohnungen in der Ära Ahmadinedschad, die sofort kollabierten und dabei unzählige Menschen in den Tod rissen bis hin zu den äußerst zögerlichen Hilfen der Rohani-Regierung, die viele buchstäblich in der Kälte stehen ließ.

Der enttäuschende Hoffnungsträger

Auch aus dem studentischen Umfeld formierte sich Ende vergangenen Jahres Widerstand gegen die Wirtschaftspolitik der Rohani-Regierung: Am 7. Dezember 2017, dem "Tag der Studenten", protestierten Studierende an vielen Universitäten gegen die anhaltenden politischen und sozialen Missstände im Land. Dabei wurde deutlich, dass sich ihr Unmut insbesondere auch gegen die Verschlechterung des politischen Klimas und die fehlenden Freiheiten in der Islamischen Republik richtete.

Studenten protestieren am 30.12.2017 auf dem Gelände der Universität in Teheran; Foto: dpa
Für die Proteste, die die Islamische Republik Iran seit einer Woche erschüttern, gibt es politische und ökonomische Gründe, so Ali Fathollah-Nejad. Ursprünglich von der wirtschaftlich benachteiligten jüngeren Generation losgetreten, schlossen sich bald auch Teile der Mittelschicht sowie Studenten der Protestwelle an, die sich wie ein Flächenbrand in allen Ecken des Landes ausbreitete und insgesamt 60 Städte erfasste. Irans Sicherheitskräfte gehen seit dem Beginn der Unruhen mit harter Hand gegen die Aufständischen vor.

Die später erfolgte Bekanntmachung der Budgetplanung der Rohani-Regierung für das kommende Jahr sorgte überdies für Wut und Empörung, da sie das vom Präsidenten zuletzt lauthals verkündete Versprechen nach sozialer Gerechtigkeit in keinster Weise einlöste. Am eklatantesten manifestierte sich dieser Widerspruch in der laut Budgetplanung vorgesehenen anhaltenden Entlastung der ohnehin von jeglichen Steuern befreiten religiösen Stiftungen, die von Rechtskonservativen bis hin zu Reformisten wie Hassan Khomeini (Neffe des Gründers der Islamischen Republik) geführt werden, sowie für die Revolutionsgarden.

Somit haben die neuerlichen Haushaltsplanungen des Präsidenten die letzten Hoffnungen von großen Teilen der Bevölkerung zunichte gemacht, soziale Reformen wirklich umsetzen zu wollen. So starteten enttäuschte Rohani-Wähler eine Twitter-Kampagne mit dem Hashtag "Ich bereue", ein Verweis auf ihre Wahl für den einstigen Hoffnungsträger Rohani.

All dies ereignete sich vor dem Hintergrund einer gewachsenen sozialen Frustration im Land. Sie gilt als unabdingbarer Faktor für das Entstehen sozialer Protestbewegungen, die sich bereits in den letzten fünfeinhalb Jahren der Rohani-Präsidentschaft zu formieren begannen.

Profite nach dem Atomdeal nur für die Eliten

Zudem sollte nicht vergessen werden, dass die Pfründe aus den Geschäften nach dem Atomdeal fast ausnahmslos an die Eliten des Landes verteilt wurden, entgegen anderslautender Versprechen ging das Gros der Bevölkerung leer aus. Von daher verwundert es auch nicht, dass Armut und Einkommensungleichheit in der Zeit nach dem offiziellen Ende der Sanktionen sogar noch zugenommen haben.

Heute lebt ungefähr die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Offiziell ist jeder achte Iraner arbeitslos, unter den jungen Iranern sogar jeder vierte – tatsächlich dürften die Zahlen wohl noch höher liegen. So verwundert es denn auch nicht, dass diese junge Generation die Triebkräfte des gegenwärtigen Aufstands bildet.

Irans Armeechef Abdolrahim Mussawi; Foto: Farsnews
Zum Schlag gegen die Aufständischen allzeit bereit: Irans Armeechef Abdolrahim Mussawi erklärte jüngst in den Staatsmedien: "Obwohl dieser blinde Aufruhr so klein war, dass ein Teil der Polizeikräfte in der Lage war, ihn im Keim zu ersticken, (...) könnt ihr euch zurücklehnen im Vertrauen darauf, dass eure Kameraden in der Armee bereit sind, den Tölpeln des Großen Satans entgegenzutreten."

Die anhaltende soziale Misere in Verbindung mit dem autokratischen und repressiven Charakter des politischen Systems, das sich als anhaltend reformresistent erweist, stellt daher den strukturellen "Kern des Übels" dar. Die politische Elite, bestehend aus Reformern und Konservativen, hat die politische und wirtschaftliche Macht für sich monopollisiert – zuungunsten der großen Bevölkerungsmehrheit. Es erscheint daher auch nur konsequent, dass die im Westen überbewerteten "Reformkräfte" - genau wie die Hardliner-, dem Aufstand der eigenen Bevölkerung ablehnend gegenüberstehen.

Korruption auch im Lager der Reformer

Auch dass die heute angeblich moderaten Teile der politischen Elite zur Zielscheibe des Volkszorns werden, ist alles andere als überraschend. Denn nachdem die Iraner bereits die grassierende Korruption in der Ära Ahmadinedschad ertragen mussten, wurden sie auch unter dem neuen Präsidenten schnell gewahr, dass seine Regierung gleichfalls davon betroffen ist – obwohl sich Rohani doch zu Beginn seiner Präsidentschaft den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben hatte.

Zuletzt empörte sich die Bevölkerung im vergangenen Sommer über den Nepotismus der Eliten, insbesondere im Lager der Reformisten. Dieser öffentliche Aufschrei entstand, nachdem der Sohn des bekannten Reformpolitikers Mohammad-Reza Aref in einem Interview am 20. Juli seine "guten Gene" für seinen neuen lukrativen Posten als Grund nannte. Daraufhin wurden unzählige ähnliche Fälle von zumeist den Reformisten angehörenden "Aghâzâdeh" ("Sohn des Herrn"/"geborener Herr"), deren Posten sie allein der machtvollen Position des Vaters im Regime zu verdanken hatten, an die Öffentlichkeit gespült. Dies hat der ohnehin angeschlagenen Reputation der Reformisten noch weiter geschadet.

Fast genau sieben Jahre nach Ausbruch des Arabischen Frühlings gehen Menschen mit demselben sozialen Hintergrund und den gleichen sozio-ökonomischen sowie politischen Forderungen unerschrocken auf die Straßen, um ein Leben in Würde einzufordern. Ihre Forderungen wurden bislang immer wieder von konservativen wie reformistischen Teilen der Elite enttäuscht, deswegen auch ihre Rage gegen das gesamte politische System.

Und wieder einmal richtet sich diese Wut gegen die Fundamente eines Regimes, das seit fast vier Jahrzehnten autokratisch herrscht. Vor diesem Hintergrund wird der Aufstand wohl erst dann ein Ende finden, wenn er blutig niedergeschlagen ist.

Ali Fathollah-Nejad

© Qantara.de 2018

Dr. Ali Fathollah-Nejad ist Gastwissenschaftler am Brookings Doha Center; Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und am Belfer Center der Harvard Kennedy School.