Mehr Farbe für die Islam-Debatte?

Das jüngst gegründete "Muslimische Forum" will der Mehrzahl der in Deutschland lebenden und bisher nicht vertretenen Muslime Gehör verschaffen. Doch Kritiker attestieren der Organisation, sich in "innerislamische Angelegenheiten" einzumischen, um einen "politikgefälligen Islam nach deutschem Geschmack" durchzusetzen. Von Canan Topçu

Von Canan Topçu

Die Idee für das Ende April in Berlin gegründete Forum stammt von dem Psychologen und Islamismus-Experten Ahmad Mansour.  Angeschlossen haben sich ihm bisher 15 Personen, "die beruflich, biographisch und privat mit dem Themenspektrum des Islams befasst sind". Ein Motiv zum Mitmachen lautet, die Deutungshoheit über den Islam in Deutschland nicht den etablierten islamischen Verbänden zu überlassen.

Gründungsmitglieder sind prominente Muslime wie die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor und der Theologe Mouhanad Khorchide, aber auch weniger bekannte Personen. Nicht alle Erstunterzeichner des Netzwerks sind Muslime, die Journalistin Düzen Tekkal etwa ist Jesidin.

Eben diese Zusammensetzung wirft bei Kritikern die Frage auf, warum Nicht-Muslime in einem Gremium mitwirken, das sich auf politischer Ebene an Diskussionen etwa über islamische Theologie und die religiöse Praxis von Muslimen beteiligen möchte. Die Forumsmitglieder haben darüber intensiv diskutiert und sich bewusst dafür entschieden, auch Nicht-Muslime aufzunehmen, da das Thema Islam ein "gesamtgesellschaftliches" sei. "An der Deutschen Islamkonferenz, vom Bundesinnenminister ins Leben gerufen, nehmen ja auch nicht nur Muslime teil", heißt es dazu aus dem Forum.

Kritik an der Konrad-Adenauer-Stiftung

Für Kritik sorgt zudem die Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Sie mische sich in "innerislamische Angelegenheiten" ein, um einen "politikgefälligen Islam nach deutschem Geschmack" durchzusetzen, lautet ein Vorwurf aus muslimischen Kreisen.

Politologe Ralph Ghadban. Foto: DW
Eines der ersten Gründungsmitglieder des "Muslimischen Forums Deutschlands" is Politologe und Islamkritiker Ralph Ghadban.

"Ziemlich unmöglich": So kommentiert der katholische Theologe Thomas Lemmen die KAS-Initiative. Dass eine parteinahe Stiftung einen Prozess unterstütze, "der zur Herausbildung einer neuen islamischen Struktur führt", sei "mit dem Prinzip der Trennung von Staat und Religion in Deutschland" nicht vereinbar, meint der Experte für den christlich-islamischen Dialog.

Die Forumsmitglieder hingegen finden es nicht verwerflich, dass eine politische Stiftung die "Initialzündung" für eine Plattform gibt, auf der sich Experten mit unterschiedlichen Kompetenzen austauschen.

Aus Sicht der Adenauer-Stiftung ist das keineswegs ungewöhnlich. Es sei eine "der wichtigen Aufgaben von politischen Stiftungen, gesellschaftlich relevante Debatten anzustoßen und mitunter auch die Infrastruktur für zivilgesellschaftliche Dialogplattformen zur Verfügung zu stellen", heißt es bei der Stiftung.

Dazu sagt Thomas Volk, KAS-Koordinator für den Bereich Islam und Religionsdialog: "Wir sehen unsere Aufgabe darin, weltweit Demokratie und Rechtstaatlichkeit zu fördern und sind schon seit vielen Jahren im interreligiösen Dialog aktiv." Die Stiftung finanziere ja keine Geschäftsstelle, sondern habe lediglich Fahrt- und Übernachtungskosten übernommen. 

Umstrittene Zusammensetzung des Forums 

Verwundert über die Zusammensetzung des Forums sind wiederum Vertreter islamischer Verbände: Zu den Erstunterzeichnern gehören der "islamkritische Wissenschaftler" Ralph Ghadban und eben auch Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Theologie an der Universität Münster.

Khorchide war im Dezember 2013 wegen seiner historisch-kritischen Methode zur Interpretation des Korans in die Kritik geraten. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) hatte  – erfolglos - seine Abberufung als Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster gefordert, weil seine Auslegung des Korans mit einer bekenntnisgebundenen islamischen Theologie unvereinbar sei. Dieser Konflikt ist noch ungelöst, war aber beiseite gelegt worden – auch, weil die vier im Koordinationsrat vertretenen Verbände (Ditib, Zentralrat der Muslime, Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland und Verband der Islamischen Kulturzentren) derzeit mehr mit sich selbst und mit der Zukunft ihrer Organisation befasst sind. 

Der Koordinationsrat war vor fast zehn Jahren auf Wunsch der Politik entstanden, damit die vier Verbände langfristig in einer vom Staat anerkannten islamischen Religionsgemeinschaft aufgehen und so ein Ansprechpartner entsteht -  für Fragen unter anderem zum islamischen Religionsunterricht. Daraus ist aber nichts geworden. Dieses Gremium ist faktisch funktionslos – nicht weil es etwa Zwist um theologische Grundsätze gäbe. Vielmehr konkurrieren die vier Verbände miteinander um die Frage, wer als Vertreter "der" Muslime in Deutschland und als "der" Ansprechpartner der Politik mehr Gewicht bekommt.

Theologe Dr. Thomas Lemmen. Foto: chrislages
Verstoß gegen das Neutralitätsgebot? "Wie kann die Adenauer-Stiftung hingehen und einen Prozess unterstützen, der zu einer Herausbildung einer neuen islamischen Struktur führt“, fragt Dr. Thomas Lemmen, Experte für christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln.

Islamverbände demonstrieren Gelassenheit

Dass ein neues Forum entsteht, derweil im Koordinationsrat über neue Organisationsformen diskutiert wird: Diese Entwicklung wird von Verbandsfunktionären mit demonstrativer Gelassenheit kommentiert.

Öffentlich geäußert, hat sich bisher nur Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime (ZMD). "Schon in der Vergangenheit sind immer wieder muslimische Think Tanks von Stiftungen oder Akademien initiiert oder gegründet worden." Dahinter verberge sich nach Einschätzung des ZMD-Vorsitzenden der Wunsch, beim Thema muslimisches Leben in Deutschland mitzumischen.

Andere Verbandsfunktionäre äußern ihre Kritik an der Gründung des Forums und auch an der Teilnahme von Mouhanad Khorchide hinter vorgehaltener Hand. Beides wird als ein "erneuter Versuch" gedeutet, theologische Grundsätze des Islams öffentlich in Frage zu stellen.

Khorchide selbst erklärte sein Engagement in einem Zeitungsinterview so: "Der Islam ist bunt und hat viele Gesichter, die Politik aber neigt dazu, unsere Religion sehr homogen zu erfassen. Das wollen wir ändern." Das Forum wolle die Vielfalt des Islams sichtbarer machen, aber keine Konkurrenz zu den traditionellen Verbänden sein und auch kein Ersatz, vielmehr eine Ergänzung, so Khorchide  - wissend, dass seine Lehrerlaubnis auch vom Wohlwollen der Verbände abhängt.

Gründungserklärung sorgt für Missverständnisse

Die Gründungserklärung des Forums sei missverständlich formuliert und grenze Muslime aus, die in den großen Dachverbänden organisiert seien:  Zu diesem Urteil kommt der Sprecher des Deutschen. Die Erklärung, dass sich das Muslimische Forum Deutschland für die Etablierung eines Islamverständnisses einsetzen wolle, "das mit unseren Grundwerten und der deutschen Lebenswirklichkeit übereinstimmt", impliziere indirekt, dass alle anderen Muslime nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden.  

Dass die "nach intensiver Diskussion, sogar um einzelne Begriffe", entstandene Gründungserklärung für Aufregung sorgen würde, das war den Forumsmitgliedern bewusst. Um nicht als ein Vorstoß von liberalen Muslimen missverstanden zu werden, verzichteten sie daher auf den Begriff "liberal". Im Text taucht er kein einziges Mal auf.

Trotzdem bewerten Islam-Experte Lemmen und andere das Forum als einen Zusammenschluss von liberalen Muslimen. Darauf wollen die Gründungsmitglieder aber auf keinen Fall reduziert werden.  Ende Mai werden sie sich wieder in Berlin treffen, um sich unter anderem über die organisatorischen Strukturen auszutauschen. In welche Richtung es gehen wird, ist nach Auskunft von Erstunterzeichnern noch unklar.

Fest steht aber, dass sie "mehr Farbe in die Islam-Debatten" bringen wollen. "Das ist ein hochgestochenes Ziel", sagt Abdul-Ahmad Rashid. Der ZDF-Journalist fungiert derzeit als Interimssprecher des Forums. "Wir sind aber bescheiden genug, um zu wissen, dass es einen langen Atem braucht."

Canan Topçu

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