Verknüpfung von Islam und Terror

Aufgrund mangelnder Kenntnisse gelingt es Medien und Politikern häufig nicht, die Trennlinie zwischen Islam, Islamismus und Extremismus zu ziehen. Um radikale Islamisten zu isolieren, sind die Muslime selbst gefragt, schreibt Sabine Schiffer.

Von Sabine Schiffer

Junge mit Koran; Foto: AP
Muslime werden in den Medien meist im Kontext der Religionszugehörigkeit dargestellt

​​Die schrecklichen Anschläge in London führen mindestens zweierlei vor Augen: Gewaltbereite und menschenverachtende Fanatiker können überall zuschlagen, und es gibt wieder eine Verbindung zum so genannten islamistischen Terrorismus. Trotz vieler differenzierter Äußerungen von britisch-politischer Seite ist in den Medien jedoch vielfach von "islamischem" Terror die Rede.

Da zudem Bilder betender Muslime zu den Berichten über die Attentate, den Sprengstoff, das Terrorproblem und überhaupt die Gefährdung der "zivilisierten" Welt geschnitten werden, kann sich kaum jemand der implizierten Verschränkung der Motive ISLAM und TERROR entziehen – wenn man sich diese zunächst technischen Verknüpfungen nicht bewusst macht. Nun sind derzeit zwei Strömungen zu beobachten, die nicht nur Entmutigung, sondern auch Ermutigung für diejenigen bedeutet, die sich nicht beirren lassen in ihrem Bestreben, die Verständigung weiter voran zu bringen.

Trennung überwinden

Am 15. Juli etwa hatte in den Abendnachrichten des ersten deutschen Fernsehens die Meldung Platz, dass sich alle führenden islamischen Organisationen gegen derlei Gewalttaten ausgesprochen haben und auch ihre Mitglieder dazu aufrufen, sich aktiv gegen Strömungen zu stellen, die extremistisches Gedankengut zu verbreiten suchen. Ja, es wurde explizit empfohlen, enger mit den Behörden zusammen zu arbeiten. Dies hat eine enorme Signalwirkung, und es ist ein Novum, dass zur besten Sendezeit derlei Stellungnahmen Raum bekommen, die bisher sehr oft einfach ignoriert wurden. Dieses Signal wirkt auf Muslime und Nichtmuslime gleichermaßen und überwindet genau die hier benannte Trennung, denn es wird deutlich, dass alle ein gemeinsames Anliegen haben, sich gegen Extremismus jedweder Form zu stellen.

Die oft empfundene Trennung wird aufgehoben, wenn diese Verbände Platz bekommen wie andere Verbände auch. Äußern sie sich als Stimme aus Deutschland zum Thema, dann zeigt das, dass sie dazu gehören. Leider fielen die Tagesthemen im selben Programm ca. zwei Stunden später wieder hinter diese Errungenschaft zurück, indem neben dem Erwähnen der offiziellen Stellungnahmen wieder die üblichen Text-Bild-Verknüpfungen stattfanden: betende Menschen in einer Moschee, eine tief verschleierte Frau und die Frage nach Gewaltbereitschaft und Unterwanderungspotenzialen. Dennoch wird deutlich, dass die Folgen für die Bedeutung von Darstellungen, die am ästhetischen – vor allem bildlichen – Erscheinungsbild orientiert sind, immer noch stark unterschätzt werden. Hier ist noch viel Arbeit nötig, Bewusstseinsprozesse in Gang zu bringen.

Mediale Angstszenarien

Denn wieder einmal wird vor Augen geführt, wie alleine unglückliche und unreflektierte Kombinationen aus einem Faktenbericht eine manipulative Sequenz machen können. Dem sind wir alle als Publikum ausgeliefert – und meistens, wenn wir nicht selber betroffen sind, durchschauen wir diese Mechanismen nicht und erliegen solchen Angstszenarien.

So wurde über Jahrzehnte hinweg - seit der Machübernahme Ayatollah Khomeinis im Iran - die Verknüpfung von Gewalt, Rückschritt, Islamisierung, Radikalisierung usw. mit Symbolen des Islam kultiviert. Kopftuch, Bart, Gebet und Moschee sind die Opfer dieser Darstellung, und dies erklärt u.a., warum etwa so emotional um das Kopftuchtragen gestritten wird. Wäre dieses Kleidungsstück nicht als Symbol völlig überfrachtet worden – und zwar von Medien und Islamisten gleichermaßen –, dann könnte die Politik vielleicht emotionsloser damit umgehen. Dies erklärt auch, warum Menschen, die sich in der Öffentlichkeit als muslimisch-religiös zu erkennen geben, sofort in die Schublade des Islamismus eingeordnet werden.

Es gibt nämlich einfach keine Schublade Islam mehr – die hat unser Diskurs und die allgemein antireligiöse Stimmung, die Aydin Hayrettin, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Türkeistudien, ganz richtig Säkularismus nennt – schlicht eliminiert. Dies alles spielt sich allerdings im Unterbewussten ab, hat mit unreflektierten, verinnerlichten Überzeugungen zu tun - und darum ist dem so schwer beizukommen.

Gefahr der Instrumentalisierung

Darüber hinaus ist derzeit zu beobachten, wie viele Medien riskieren, sich durch die Fokussierung auf das Spektakuläre und Angstmachende zum Sprachrohr von Extremisten zu machen und die "Auseinanderdividierung" der Gesellschaften voranzutreiben. Hier sind Bewusstseinsprozesse erforderlich, die einige Zeit in Anspruch nehmen werden. Auf keinen Fall jedoch darf man sich an dieser Stelle zurück ziehen und etwa darauf warten, dass die Welt eine gerechte wird, bevor jeder Einzelne bereit ist, seinen Beitrag zu leisten. Schließlich brauchen wir Nichtmuslime – ob Journalisten oder nicht – Hilfe von Seiten der Muslime, die Grenzen zwischen Extremisten, die sich auch in Moscheen bewegen, und den Muslimen zu erkennen. Fragt man genauer nach, bekommt man diffuse Antworten oder gar keine – entweder ist es Muslimen völlig klar, wo genau die Grenzen zwischen harmlos schimpfend und gefährlich polemisierend liegen, oder aber sie haben die Problematik noch gar nicht erkannt, in der sich etwa Journalisten befinden, wenn sie mit bestimmten Aussagen Einzelner konfrontiert werden. Nicht jeder ist so besonnen, diese auch als Aussage eines Einzelnen einzuordnen und nicht zu verallgemeinern.

Bei Dingen, die den Erwartungen entsprechen, sinkt die kritische Aufmerksamkeit automatisch. Man bestätigt dann schnell ein Stereotyp – einfach darum, weil man schon mal davon gehört hat. Es sind also ganz klare Abgrenzungen nötig, sowohl von Seiten derer, die das Thema für die Öffentlichkeit aufbereiten, als auch allgemein von den ebenso betroffenen Muslimen. Es reicht nämlich inzwischen nicht mehr aus, wenn muslimische Organisationen darauf verweisen, dass derlei Untaten islamisch nicht legitimiert sind, wenn sich einige Radikale tatsächlich explizit auf islamische Quellen berufen und damit durchaus erfolgreich bei jungen, benachteiligten Muslimen sind. Hier können wir aus dem Täterprofil der schrecklichen Anschläge von Rostock, Mölln und Solingen im Deutschland der 1990er Jahre etwas lernen, die gegen Nichtdeutsche gerichtet waren.

Die Anschläge wurden jeweils von radikalisierten jungen Leuten ausgeführt, die glaubten, endlich das tun zu müssen, wovon die anderen immer nur reden – nämlich vom "schmarotzenden Ausländer", von "den kriminellen Türken" und davon, dass all diese "ihnen die Arbeit und schließlich noch die Sozialhilfe wegnehmen".

Während also die Erwachsenen dies erörterten - an Stammtischen, in den Medien, zu Hause - und damit vorgaben, was es alles für Probleme mit den anderen gibt, fühlten sich die Jugendlichen berufen, hieraus konkrete Handlungen abzuleiten. Dieses Phänomen ist häufig zu beobachten, wo die leichter Emotionalisierbaren zu Tätern werden – Taten, die andere propagieren. Diese Gefahr besteht immer und überall und bedarf einer kritischen Selbstbeobachtung aller Multiplikatoren, ob Elternhaus, Schule oder Medien.

Potenzielle Scharfmacher entlarven

Hier liegt auch eine Aufgabe für die muslimische Community und genau ihre besondere Fähigkeit, die sie der Allgemeinheit, zu der sie wiederum gehört, zu Gute kommen lassen kann: potenzielle Scharfmacher entlarven. Es kann nicht allein gefordert werden, dass es außen stehenden Medien und Politikern gelingt, die Trennlinie zwischen Islam, Islamismus und Extremismus richtig zu ziehen. Diese Aufgabe muss von den Muslimen selber geleistet werden, was keinesfalls leicht ist. Und leicht darf man es sich auch nicht machen, indem man etwa das Problem auf die jeweils andere Gruppe verschiebt: auf den Balkan, in die Türkei, ins ferne Arabien, oder von dort aus nach Iran und von dort aus weiter nach Pakistan.

Es ist daher jeder gefordert. Denn wenn man bedenkt, dass sich auch deutsche Muslime berufen fühlen, in den so genannten "Dschihad" zu ziehen, dann wird deutlich, dass es wirklich jede Gruppierung innerhalb der islamischen Gemeinschaft betreffen kann. Wenn man selber genau hinschaut und herausfinden muss, wer und was bereits Problematisches enthält, was beispielsweise Jugendlichen, die in konträren Medienwelten aufwachsen, eine Rechtfertigung für Abgrenzung und Gewalttaten geben könnte, der erkennt auch die Schwierigkeiten, mit denen Außenstehende zu tun haben, wenn sie beobachten und Grenzen erkennen wollen. Man kann und darf freilich bemängeln, dass jetzt wieder mit mehr Misstrauen auf "die Muslime" allgemein geblickt wird, wo doch gerade mehr Vertrauen die Zusammenarbeit fördern würde. Aber was hilft uns das? Sich von den Misstrauensvoten etwa eines Günther Beckstein entmutigen oder gar ablenken zu lassen?

Wir brauchen klare Stellungnahmen bei zweifelhaften Aussprüchen, wir brauchen klärende Fragen bei diffusen und pauschalen Äußerungen. Wir brauchen mehr Bewusstsein für gewaltfreie Handlungsmöglichkeiten gerade in einer asymmetrischen Weltpolitik. Und wir brauchen auf keinen Fall Idealisierungen und ein falsches "Sich-in-Sicherheit-Wiegen", sondern die kontroverse Diskussion mit einseitigen Ansichten und vor allem einen aufmerksamen Blick für die Jugend, die heute mehrfach und überall belastet ist im Suchen nach einer Lebensperspektive. Geht die positive Perspektive verloren, wird es in der Tat gefährlich. Auch hier wieder ein gemeinsames Anliegen.

Sabine Schiffer

© Qantara.de 2005