Ungewisse Zukunft

Iraks Kurdenführer Barzani ist wegen des Kurden-Konflikts höchst besorgt. Denn mit den Luftangriffen auf PKK-Stellungen riskieren die Türken nicht nur eine Eskalation mit den türkischen Kurden. Aus Erbil berichtet Birgit Svensson.

Von Birgit Svensson

Shirwan ist ein kleines kurdisches Dorf im Nordirak. Idyllisch gelegen, in Blickweite der türkischen Grenze, erhält man den Eindruck, die Welt sei zumindest dort noch in Ordnung. Doch seit Montag fürchten die Einwohner, dass auch sie Ziel der türkischen Luftangriffe werden könnten. Ankaras Armee bombardiert derzeit nicht nur Stellungen des Islamischen Staates (IS) entlang der syrisch-türkischen Grenze, sondern auch Ziele im Irak.

Die Region Mergasur, in der Shirwan liegt, ist nach den Kandil-Bergen weiter östlich, das zweite Angriffsziel türkischer Flugzeuge geworden. "Wahrscheinlich wollen sie unterbinden, dass die PKK einen zusammenhängenden Gürtel entlang der türkischen Grenze kontrolliert", vermutet Dorfvorsteher Dikhri als Motiv hinter dem Angriff. Natürlich hätten die Shirwanis Angst, dass ihr Dorf nochmals zerstört werde.

In der Kampagne "Anfal" Ende der 1980er Jahre hatte Diktator Saddam Hussein insgesamt 4000 kurdische Dörfer in der Grenzregion dem Erdboden gleichgemacht. Als Rache für den Widerstand gegen ihn. Mühevoll und mit ausländischer Hilfe habe man das Dorf Jahre später wieder aufgebaut. "Nun also die Türken", seufzt Dikhri vielsagend. Dass die Aktionen der türkischen Armee gegen die PKK und nicht gegen die irakischen Kurden gerichtet sind, tröstet ihn dabei nicht.

Bombardierungen von neuer Dimension

Was die kurdische Regionalregierung in Erbil lange nicht zugeben wollte, ist seit gut zwei Jahren offiziell: Die türkisch-kurdische Guerillaorganisation PKK hält sich in den irakischen Bergen entlang der türkischen und iranischen Grenze auf. Schon seit dem Sturz Saddam Husseins im April 2003 operierten etwa 5000 türkische Kurden auf irakischem Territorium, zunächst mit schweigsamer Duldung der irakischen Kurdenführer Mazoud Barzani und Dschalal Talabani. Von dort aus planten sie Anschläge gegen türkische Sicherheitskräfte, welche die türkische Armee stets mit Vergeltungsaktionen beantwortete. Die Bombardierungen von PKK-Stellungen im Irak sind also nicht neu.

Ein türkischer F-16 steigt zu einem Einsatz in die Luft. Foto: Reuters / M. Sezer
Das tragische Ende eines historischen Friedensprozesses: Der 2013 begonnene und in den letzten Tagen abgebrochene Friedensprozess zwischen Türken und Kurden verleiht den Bombardierungen von PKK-Stellungen im Irak eine neue Dimension, findet Birgit Svensson. Demnach stehen vor allen Dingen wirtschaftliche Beziehungen zwischen der Türkei und Irak-Kurdistan auf dem Spiel.

Allerdings erhalten sie jetzt eine neue Dimension. Denn vor gut zwei Jahren kam die Wende im Konflikt zwischen Ankara und der PKK: ein Friedensschluss besagte, dass weitere 2000 PKK-Kämpfer aus der Türkei abziehen und in die Kandil-Berge umziehen sollten, mit der Verpflichtung, ihre Terroraktionen gegen die türkische Regierung einzustellen und die Waffen niederzulegen. Doch nun bombardieren türkische Kampfjets wieder PKK-Camps im Irak. Damit ist der Friedensprozess offiziell beendet.

Schritte in eine positive Zukunft

Der irakisch-kurdische Nachrichtensender "Rudaw" spricht von F-16-Jets, die vom Luftwaffenstützpunkt im südosttürkischen Diyarbakir aufsteigen, zunächst Ziele der IS in Grenznähe bombardieren, um dann anschließend ihre Angriffe auf den Nordirak auszuweiten, wohin sich die PKK zurückgezogen hat. Der Kurdenkonflikt, an dessen Eindämmung so viele Hoffnungen hingen, ist wieder entflammt. Die Spannung in der Region steigt.

Hermine steht am Fuße der über 5000 Jahre alten Zitadelle in Erbil und versucht die Vorbeigehenden in ein Gespräch zu verwickeln und für ihre Position zu werben. Die junge Kurdin ist geschult in der Sprache, wie sie die Organisation und ihre Anliegen nach außen vertritt. Sie gehöre dem Volkskongress Kurdistan an, erklärt sie auf ihre Funktion hin befragt, dem politischen Arm der PKK. Seit seiner Gründung im November 2003 wurde der Kongra-Gel immer bedeutender. Denn die Arbeiterpartei Kurdistans, wie die PKK offiziell heißt, hatte immer weniger mit Partei und Arbeit und viel mehr mit Waffengewalt und Anschlägen zu tun.

Straßenatmosphäre in Erbil. Foto: Birgit Svensson
Gegenseitige Abhängigkeit: Schon vor zwei Jahren war die Region Irak-Kurdistan von Bagdad wirtschaftlich weitgehend unabhängig. Ob Milliardeninvestitionen, Warenströme oder Öl- und Gaslieferungen - die irakischen Kurden und türkischen Investoren sind schon lange aufeinander angewiesen.

Langer Kampf um Versöhnung

Über 40.000 Menschenleben soll sie auf dem Gewissen haben. Die Türkei, die EU und die Vereinigten Staaten nennen sie eine terroristische Vereinigung. Die Kurden merkten, dass sie damit nicht weiterkommen und strebten nach einer politischen Lösung. Kurdenführer Barzani wurde nicht müde, an einer Versöhnung zwischen Türken und Kurden zu arbeiten.

Als nach dem Siegeszug des IS im Sommer 2014 die PKK maßgeblich half, die im Sinjar-Gebirge eingeschlossenen Jesiden zu befreien und auch im syrischen Kobane erfolgreich mitmischte, glaubten sich die Guerillakämpfer rehabilitiert. Die irakisch-kurdischen Sicherheitskräfte Peschmerga sind seitdem voll des Lobes über den Kampfeswillen der PKK und planen weitere gemeinsame Aktionen. In Europa setzte ein Umdenkungsprozess ein. Stimmen, die PKK von der Terrorliste zu streichen, wurden in letzter Zeit lauter, zumal Länder wie Deutschland die Kurden im Kampf gegen den IS auch mit Waffen unterstützen.

Wirtschaftliche Entwicklung steht auf dem Spiel

Mazoud Barzani ruft deshalb beide Seiten zur Mäßigung auf: "Was im Frieden erreicht wurde, kann nicht durch Krieg erhalten werden." Als Wirtschaftszentrum mit Milliarden von ausländischen Direktinvestitionen ist Irak-Kurdistan schon jetzt zu einer Größe herangewachsen, die nicht mehr vernachlässigt werden kann. Die Hauptstadt der Region, Erbil, ist in den letzten zehn Jahren auf das Doppelte ihrer ursprünglichen Bevölkerungszahl angewachsen und zählt jetzt knapp 1,5 Millionen Einwohner.

Barzani und Erdogan im Jahr 2013. Foto: Reuters
Hoffnungsvoll begonnen und doch gescheitert: Dass der Friedensprozess gerade an einem Terroranschlag des IS scheitern würde, hätte kaum einer erwartet. Die Verständigung zwischen Kurden und Türken war inzwischen so weit fortgeschritten, dass in Europa darüber nachgedacht wurde, die PKK von der Terrorliste zu streichen.

Das will Barzani auf keinen Fall aufs Spiel setzen, denn die Türkei hat großen Anteil an der Entwicklung seiner Region. Türkische Investitionen stehen an erster Stelle, die Handelsbeziehungen sind inzwischen so stark verflochten, dass türkische Geschäftsleute jahrelang Druck auf Ankara ausübten, sich zumindest mit den Kurden im Irak zu versöhnen. Der rote Teppich brachte schließlich die Veränderung.

Als Barzani Ende April 2012 vom nordirakischen Erbil nach Ankara in die Türkei reiste, wurde er dort wie ein Staatsgast empfangen. Die Bilder des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan Seite an Seite mit dem Präsidenten der kurdischen Region im Irak ließen die Herzen der Kurden höher schlagen.

Von einer historischen Wende sprachen die Medien in den drei Autonomieprovinzen entlang der türkischen und iranischen Grenzen, denn die beiden Herren standen sich bis dato feindlich gegenüber. Ein Jahr später kam der Friedensvertrag zwischen Ankara und der PKK zustande, der seit Dienstag Geschichte ist.

Birgit Svensson

© Deutsche Welle 2015