Diversität muss sich in Institutionen widerspiegeln

Die Bloggerin Betül Ulusoy hat sich mit dem Bezirksamt Neukölln um eine Stelle als Rechtsreferendarin gestritten. Die Auseinandersetzung führte sie über die Medien. Ist es ein Kampf für eine gute Sache? Oder schadet er den Kopftuch tragenden Frauen? Diesen Fragen ist Canan Topçu nachgegangen.

Von Canan Topçu

Betül Ulusoy ist eine prominente Berliner Muslima. Die 26-jährige hat sich auch jenseits der Hauptstadtgrenzen einen Namen gemacht. Sie bloggt und spricht auf Podien und kommt in Medien zu Wort als die Stimme der jungen selbstbewussten muslimischen Frauen in Deutschland, die ein Kopftuch tragen.

Die einen sind begeistert von ihr, die anderen mögen sie nicht – "wegen ihrer vor Frömmigkeit triefenden Bloggeinträge". Ihr Bekanntheitsgrad stieg noch rasanter an, nachdem sie sich an die Medien gewandt hatte, weil sie ihrer Ansicht nach im Bezirksamt Neukölln diskriminiert worden sei.

Das Amt habe sie wegen ihres Kopftuchs nicht als Rechtsreferendarin einstellen wollen und damit gegen geltendes Recht verstoßen, sagt sie. Das Bezirksamt Neukölln hingegen erklärte, es wollte sie nach einer Bedenkzeit doch einstellen – allerdings nicht für "hoheitliche Aufgaben" – und dies sei laut Berliner Neutralitätsgesetz durchaus rechtens.

Eine "Jeanne d'Arc" der muslimischen Frauen

Die einen feiern Ulusoy spätestens seit diesem Vorfall als eine Art "Jeanne d'Arc" der muslimischen Frauen in Deutschland, die anderen halten sie schlicht für eine Provokateurin. Wie auch Ulusoys Auseinandersetzung mit dem Neuköllner Bezirksamt bewertet werden mag: Die von Ulusoy losgetretene Kopftuchdebatte geht weit über Berlins Stadtgrenzen hinaus, weil der Fall die Frage aufwirft, ob Kopftuch tragenden Frauen der Weg in Berufe mit sogenannten "hoheitlichen Aufgaben" – etwa Richteramt, Staatsanwaltschaft oder Polizei – versperrt bleiben darf. Laut Gesetz haben Personen mit "hoheitlichen Aufgaben" einem neutralen Erscheinungsbild zu entsprechen. Aus diesem Grund tragen beispielsweise Richter und Polizisten in Deutschland einheitliche Berufskleidung.

Jura-Professor Mathias Rohe ist der Ansicht, dass es rechtlich offen ist, ob eine Richterin oder Staatsanwältin ein Kopftuch tragen dürfe. Das Hauptproblem sieht Rohe weniger im Recht als in der gesellschaftlichen Wahrnehmung dieses Kleidungsstücks. Es sei eigentlich nicht mehr tragbar, das Kopftuch per se als ein Symbol zu interpretieren, das sich gegen die deutsche Grundordnung richte.

Rechtswissenschaftler und Islamkenner Mathias Rohe; Foto: picture-alliance/dpa
"Es gibt vielfältige Gründe für das Tragen des Kopftuchs", erklärt Rohe. "Wenn man sich vergegenwärtigt, dass wegen eines möglichen Missbrauchs der Gebrauch nicht verboten werden darf, dann kann man es entspannter angehen." Man müsse sich überlegen, ob die Gesellschaft es sich leisten wolle, eine Bevölkerungsgruppe wegen pauschaler Beurteilungen von bestimmten Berufen auszuschließen, sagt Rohe.

"Es gibt vielfältige Gründe für das Tragen des Kopftuchs", erklärt Rohe. "Wenn man sich vergegenwärtigt, dass wegen eines möglichen Missbrauchs der Gebrauch nicht verboten werden darf, dann kann man es entspannter angehen." Man müsse sich überlegen, ob die Gesellschaft es sich leisten wolle, eine Bevölkerungsgruppe wegen pauschaler Beurteilungen von bestimmten Berufen auszuschließen, sagt Rohe.

Weit entfernt von Diversität

Die Politikwissenschaftlerin Meltem Kulaçatan argumentiert ähnlich: "Das Spannungsverhältnis, das sich aus dem Neutralitätsgebot für Staatsbedienstete und der entsprechenden Auslegung ergibt, stellt eine Herausforderung für unsere Gesellschaft dar."

Muss das Neutralitätsgebot in einer postmigrantischen und pluralistischen Gesellschaft nicht überdacht werden? Sie ist überzeugt, die Diversität der Gesellschaft müsse sich auch in sämtlichen Institutionen des öffentlichen Dienstes widerspiegeln: "Davon sind wir aber noch lange entfernt."

Dieses Ziel müsse weiterhin visiert werden, unabhängig von dem ein oder anderen fragwürdigen Vorstoß mit unglücklichem Verlauf – wie jüngst in Berlin, so Kulaçatan. Als Orientierung für Diskussionen könne das Urteil zum Kopftuch des Bundesverfassungsgerichts vom März dienen.

Hat also Ulusoy mit ihrer medialen Inszenierung eine fruchtbare Debatte ausgelöst, die Kopftuch tragenden Frauen den Weg in Berufen mit sogenannten "hoheitlichen Aufgaben" bahnt? "Ich hätte ihr geraten, den Fall vorerst nicht öffentlich zu machen", sagt die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor.

Aus der feministisch-emanzipatorischen Perspektive könne es zwar richtig sein, sich das Recht auf eine Arbeitsstelle zu erkämpfen; das allein reicht ihrer Ansicht nach aber nicht. Kaddor bezweifelt, ob die junge Frau von Anfang an mit offenen Karten gespielt und sich mit dieser Aktion tatsächlich in den Dienst der Allgemeinheit gestellt habe. Schließlich habe sie die Stelle am Ende gar nicht angetreten.

Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor; Foto: Andre Zelck
Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor bezweifelt, ob Ulusoy von Anfang an mit offenen Karten gespielt und sich mit dieser Aktion tatsächlich in den Dienst der Allgemeinheit gestellt habe. Schließlich habe sie die Stelle am Ende gar nicht angetreten.

Außerdem sei es politisch ungeschickt, ein Amt öffentlich vorzuführen. Es brauche mehr Sensibilität im Engagement für die Interessen von Kopftuchträgerinnen, gerade weil über dieses Thema so hoch emotional debattiert werde. In einer aufgeheizten Atmosphäre, in einer Zeit, in der viele "die Nase voll" hätten von Islam-Diskussionen, könnten sich solche Aktionen schnell negativ auf das gesellschaftliche Klima auswirken und Vorurteile verstärken.

Den Stein ins Rollen gebracht

Kaddors Befürchtungen spiegeln sich auch in den Diskussionen, die Muslime in den Sozialen Netzwerken führen. Mit dieser "unausgegorenen Aktion" habe Ulusoy den Kopftuch tragenden Frauen "eher einen Bärendienst erwiesen, weil sie das Stigma der fremdgesteuerten Kopftuchaktivistin bestärkt und diese Musliminnen einem erneuten Rechtfertigkeitsdruck aussetzt": so der Tenor der kritischen Kommentare zur Entscheidung der Juristin, die Medien in ihre Auseinandersetzung mit dem Bezirksamt einzuschalten.

Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus glaubt, Ulusoy habe sich stark genug gefühlt, stellvertretend für andere muslimische Frauen die diskriminierende Vorgehensweise eines Amtes öffentlich zu machen.

Menschen, die auf Ungleichbehandlung aufmerksam machten, setzten sich nun mal immer wieder der öffentlichen Kritik aus. Bedauerlicherweise habe sich Ulusoy mit dem Weg in die Medien persönlich geschadet. Neuköllns Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) ist sogar der Ansicht, dass Ulusoy ihre Glaubwürdigkeit und Integrität als Juristin aufs Spiel gesetzt habe.

Ob Ulusoys Fall wirklich etwas bewirken wird, könne man zurzeit noch nicht einschätzen, meint Spielhaus. "Sie hat immerhin ein Stein ins Rollen gebracht."

Canan Topçu

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