Wie islamfeindlich ist der Feminismus?

Feministinnen, die Kopftücher von Mädchen verbieten wollen, verraten die Sache der Frauen - und spielen den Rechtspopulisten in die Hände, schreibt Meredith Haaf in ihrem Debattenbeitrag.

Essay von Meredith Haaf

Ein Bauchgefühl ist in Entscheidungskonflikten nicht immer das schlechteste Argument, politisch ist es aber recht nutzlos. Jedenfalls spätestens dann, wenn die Gefühle des eigenen Bauches der Praxis, den Bedürfnissen und den Gefühlen sehr vieler anderer Menschen widersprechen. Davon weiß auch die Bundeskanzlerin seit einigen Wochen zu erzählen.

Bei aller Ehe für alle: Im Zusammenhang mit Fragen der Geschlechterordnung steht die Herrschaft der Bauchgefühle immer noch relativ stabil. Das muslimische Kopftuch ist derzeit wieder ganz oben auf der Liste der Reizthemen, zu denen auch Gender-Theorie oder Prostitution gehören und die immer wieder magengeschwürartige Reaktionen hervorrufen.

Mit Ergebnissen, die für Betroffene oft hart sind: In einer sehr bauchgefühlig wirkenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt den Eilantrag einer muslimischen Juristin abgewiesen, die auch in ihrem Referendariat ihr Kopftuch anbehalten wollte.

Hier wird also eine Frau per Richterspruch daran gehindert, in ihrer selbst gewählten Erscheinungsweise ihre Lebenschancen zu verwirklichen - eine Frau zumal, deren Hintergrund und religiöse Überzeugung sie hierzulande nachweislich auf so ziemlich jedem Arbeitsmarkt zur Zielscheibe von Diskriminierungen machen. Trotzdem werden viele deutsche Feministinnen dieses Urteil begrüßen, so wie es etwa die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes per Twitter tat.

Frauen in Burkini und Bikini protestieren in Antwerpen gemeinsam gegen das Burka-Verbot in Frankreich. Foto: picture-alliance/dpa/F.Sadones
Sollen neunjährige Mädchen von der Polizei die Kopftücher entfernt bekommen, fragt Meredith Haaf. Sollen 16-Jährige mit Kopftuch jederzeit mit Ausweiskontrollen und Bußgeldbescheiden rechnen müssen? Wie sich diese Art von Gesellschaftsverbesserungsmaßnahmen auswirkt, konnte man im vergangenen Jahr in Frankreich beobachten, wo Ordnungshüter Strandbesucherinnen dazu zwangen, ihre Burkinis auszuziehen. Soll der westliche Säkularismus in all seiner bleichen Glorie als Leitideal wirklich an den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft - Kindern - exerziert werden?

Dies erscheint zunächst erstaunlich. Doch in der aktuellen Themen- und Prioritätensetzung von Gruppierungen wie Terre des Femmes oder der Zeitschrift Emma zeigt sich, dass die Sicht auf den Islam als Motor gesellschaftlicher Übel nicht nur bei Rechtskonservativen, bei den Identitären oder der AfD zu finden ist.

In einflussreichen feministischen Kreisen setzt sich eine Perspektive durch, aus der der Islam als angeblich übermächtiger Hauptträger patriarchaler Verhältnisse in diesem Land interpretiert wird. Die dazugehörige Argumentation ist bestenfalls antiliberal und teilweise nahe am Rechtspopulismus. Es drängt sich die Frage auf, wie eng die Verbindung von Feminismus und progressiver Politik überhaupt (noch) ist.Gesetze gegen verschleierte Mädchen? Und was ist mit Bikinis für Achtjährige?

Man muss sich einmal das Internetportal von Emma ansehen. Der Einfluss der Zeitschrift schwindet zwar, sie gilt aber immer noch als Kompass für viele, wenn es um Themen des Frauenrechts geht.Bei Emma findet man da immer noch ein großes Angebot, aber der Fokus ist eng geworden: fünf Artikel in einer Ausgabe zur Frauenunterdrückung im Islam, drei Artikel zu Zwangsprostitution und ihren angeblich willigen Helfern, der Sex-Arbeiterinnen-Lobby.

Die größten Verhinderer einer gerechten Gesellschaft sind nach dieser Darstellung also die kopftuchtragende Minderheit in der muslimischen Minderheit sowie herzlose Huren, die nur auf ihre eigenen Rechte pochen, anstatt sich über Beratungsgebote und gesetzliche Kondompflicht zu freuen.

Der einzige akzeptable Muslim in diesem Land ist der islamkritische Psychologe und Buchautor Ahmad Mansour. Der Realitätszuschnitt der Emma unterscheidet sich nicht dramatisch von dem des rechten Politmagazins Tichys Einblick, das der Ex-Chef der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, gegründet hat.

Die Organisation Terre des Femmes ist über den Populismusverdacht eigentlich erhaben. Umso erstaunlicher ist eine Entscheidung, die auf der jüngsten Mitgliederversammlung des Vereins fiel: In Zukunft fordert er ein gesetzliches Verbot von Kopftüchern bei Minderjährigen.

Wenn man bedenkt, dass der Verein hohe Spenden- und Fördermittel einnimmt und weltweit aktiv ist, ist das keine Marginalie in der Feminismusdebatte. In öffentlichen Räumen, in Schulen, Rathäusern, aber auch auf der Straße soll es Mädchen untersagt werden, Hijab zu tragen. Begründet wird die Forderung mit der Praxis mancher muslimischer Familien, schon Grundschülerinnen das Kopftuch anzuziehen.

Die Journalistin und Herausgeberin der Zeitschrift Emma, Alice Schwarzer. Foto: Thomas Schulze (dpa)
Für die Zeitschrift Emma ist die kopftuchtragende Minderheit in der muslimischen Minderheit der größte Verhinderer einer gerechten Gesellschaft. Der Realitätszuschnitt der Emma unterscheidet sich nicht dramatisch von dem des rechten Politmagazins Tichys Einblick, das der Ex-Chef der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, gegründet hat.

Dies "markiert die Mädchen als Verführerinnen und Sexualwesen" und würdige sie aufgrund ihres Geschlechts herab. Das "Kinderkopftuch" nehme außerdem auf die Entwicklung muslimischer Mädchen einen schädigenden Einfluss, diese gewöhnten sich so früh daran, dass sie auch als erwachsene Frauen rein psychologisch außerstande wären, sich gegen das Tuch zu entscheiden. Es sei die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass alle Mädchen in diesem Land unter denselben Bedingungen aufwachsen könnten.Man muss weder das muslimische Kopftuch im Allgemeinen besonders schutzwürdig noch das Kinderkopftuch akzeptabel finden, um hier ein logisches Problem zu sehen: Denn ziehen nicht viele westliche Eltern Achtjährigen T-Shirts an, auf denen "Tussi" steht, oder Bikini-Oberteile zur Verhüllung der weiblichen Kinderbrust?

Man könnte diese Praxis auch als frühkindliche und diskriminierende Praxis brandmarken, aber seltsamerweise appelliert Terre des Femmes nicht an den Gesetzgeber, die entsprechenden Klamöttchen bei H&M und Kik zu verbieten.Ist okzidentale "Sexualisierung" weniger prägend als orientalische?

Viele Kinder - weibliche und männliche - wachsen in diesem Land an der Armutsgrenze auf, also mit drastisch schlechteren Chancen als andere Kinder. Ist es nicht ein deutlich wichtigeres Anliegen des Staates, dies zu verhindern? Teilnehmerinnen der Mitgliederversammlung berichten, im Vorstand von Terre des Femmes gehe die Angst vor der Islamisierung um, die es zu verhindern gelte.

Vorstandsfrauen wie Inge Bell oder Hania Luczak betonen, man wisse, wie schwer die Forderung umzusetzen sei, es handele sich nicht um einen Gesetzesentwurf, sondern eine "gesellschaftliche Marschrichtung, die wir wollen". Doch diese Marschrichtung läuft darauf hinaus, die Diskriminierung eines Bevölkerungsteils diskursiv anzuheizen. [embed:render:embedded:node:24291]

Sollen neunjährige Mädchen von der Polizei die Kopftücher entfernt bekommen? Sollen 16-Jährige mit Kopftuch jederzeit mit Ausweiskontrollen und Bußgeldbescheiden rechnen müssen?

Wie sich diese Art von Gesellschaftsverbesserungsmaßnahmen auswirkt, konnte man im vergangenen Jahr in Frankreich beobachten, wo Ordnungshüter Strandbesucherinnen dazu zwangen, ihre Burkinis auszuziehen. Soll der westliche Säkularismus in all seiner bleichen Glorie als Leitideal wirklich an den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft - Kindern - exerziert werden?

Nichts anderes wünschen Feministinnen, die im Namen der Gleichberechtigung den Staat auf Familien mit bestimmten Hintergründen ansetzen. Gesetze, die auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zugeschnitten werden, nennt man gemeinhin diskriminierend.

Die Motivation dahinter ist sogar irgendwie nachvollziehbar: Die Wege des Patriarchats waren nie so schwer zu durchdringen wie heute. Natürlich wünscht man sich, wenigstens einen klar benennbaren Faktor in der Gesellschaft einfach mal ausknipsen zu können, ein Differenzsymbol zu beseitigen. Nur: Wenn die Bürde einer solchen Gesetzgebung ausschließlich auf Frauen - oder in diesem Fall sogar Schulmädchen - fallen soll, hilft das weder den Frauen im Allgemeinen noch im Besonderen.

Der Wunsch von Feministinnen nach staatlicher Repression ist menschenfeindlich

Gesetze, die Frauen vor ihrer eigenen Praxis schützen sollen, sind als feministische Forderungen nicht nur einigermaßen absurd, insbesondere, wenn man sich mit den menschlichen Folgen solcher Gesetze nicht beschäftigt. Dahinter offenbart sich zudem eine bemerkenswert unkritische Haltung gegenüber dem Staat als historisch tragender Säule patriarchaler Ordnungen, die Feministinnen nicht gut steht.

Mehr noch: Die Bereitschaft, einzelne ethnisch oder religiös definierte Gruppen mit ihren Symbolen zu markieren, spielt allen in die Hände, die aus ganz anderen Gründen einen aggressiven, diskriminierenden Umgang mit Muslimen pflegen und fordern.

Derzeit ist die AfD die einzige bundesweite Partei, die sich für ein Kopftuchverbot an Schulen einsetzt. Es ist übrigens dieselbe Partei, die Sanktionen gegen alleinerziehende Mütter und eine Verschärfung der Auskunftspflicht bei Abtreibungen in ihrem Programm stehen hat.

Wenn Frauen zur Zielscheibe von gesetzlichen Verordnungen werden - seien es Frauen mit Kopftuch, seien es Frauen, die als Prostituierte Sex als Arbeit verrichten - dann ist das niemals Fortschritt, es ist höchstens billige Kosmetik.

Das sollten gerade diejenigen wissen, die sich sonst immer gegen die Diskriminierung ihrer Geschlechtsgenossinnen engagieren. Wer etwas anderes vertritt, macht sich gemein mit einer Politik, die nicht einfach wenig frauenfreundlich ist. Sondern zutiefst menschenfeindlich.

Meredith Haaf

© Süddeutsche Zeitung 2017