Listig, lustig, lästig

Karikaturen sind ein Spiegel der Gesellschaft. Auch in der arabischen Welt sind sie eine beliebte Form, Kritik an Regierung und Gesellschaft zu äußern. Liesel Schulze-Meyer über maghrebinische Karikaturen, die in Berlin gezeigt wurden.

Von Liese Schulze-Meyer

 

Karikatur des algerischen Karikaturisten Dilem
Frauen in Afghanistan - erkennbar nur am Nummernschild, Karikatur des algerischen Karikaturisten Dilem

​​"Arbeite fleißig in der Schule, damit du auch einmal so klug wirst wie mein Premierminister", ermahnt der Präsident einen kleinen Schuljungen. Der antwortet: "Ich gehe lieber nicht zur Schule, damit ich Präsident werde wie du." Algerischen Karikaturisten ist nichts heilig. Das wurde in einer Ausstellung mit hundert politischen und gesellschaftskritischen Karikaturen aus den Maghrebländern Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko in Berlin im letzten Jahr deutlich.

Libyen war in Berlin mit dem in seiner Heimat sehr populären Zeichner Muhammed az-Zwawi vertreten, Tunesien mit dem aus der Tagespresse bekannten und beliebten Chedly Belkhamsa. Aus Marokko, wo es einen Berufsverband der Karikaturisten gibt, kamen Werke von acht Künstlern, darunter solche des Verbandsvorsitzenden Mohamed Nadrani.

"Le Dilem du jour"

​​Eine Bombe platzt neben einem Haus, Autoteile fliegen durch die Luft. Durch ein offenes Fenster ist ein Mann vor einem Fernsehgerät zu sehen, der das Desaster nicht im Blickwinkel hat; er brüllt nach draußen: "Ruhe, der Präsident spricht gleich." Die algerische französischsprachige Tageszeitung Liberté bringt in jeder Ausgabe auf der letzten Seite eine witzige Zeichnung unter der Kopfzeile "Le Dilem du jour". Dilem ist der wohl populärste Karikaturist des Landes, und die Leser sind jeden Tag aufs Neue gespannt, was er denn heute wohl wieder aufs Korn nimmt, was seine knollennasigen Akteure Schändliches enthüllen werden.

Die Karikatur bietet neben Information vor allem Witz und Humor. Und wer lacht oder schmunzelt nicht gerne, wer delektiert nicht Boshaftes, wer kann sich der Schadenfreude entziehen, wenn Verabscheuenswürdiges lächerlich gemacht wird, wer stimmt nicht gerne zu, wenn die berühmte spitze Feder gekonnt Missstände aufspießt.

Kein Mangel an Themen

Unfähigkeit von Staat und Verwaltung, Wahlmanipulation, Korruption, Missachtung von Menschenrechten, Islamismus, Terror und Gewalt, Unterdrückung der Frauen, mangelnde Pressefreiheit: innenpolitische Themen, über die man sich aufregen kann, gibt es reichlich für maghrebinische Karikaturisten. Sofern es um Außenpolitik oder zu Kritisierendes in anderen Ländern geht, werden das Verhältnis zum Westen, vor allem zu Amerika, der Nahostkonflikt, Vorkommnisse in Afghanistan und im Irak sowie die Erdölpolitik zeichnerisch visualisiert.

Gesellschaftskritische Anlässe zum Zeichnen sind zum Beispiel das Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne, religiös bestimmte Verhaltensweisen, Umweltsünden, Familienangelegenheiten, Hochzeitsbräuche, Verkehrsprobleme, Aids, Armut und Reichtum. Unter den vier Ländern wird nur in Algerien deutliche Kritik am Staat, an den Parteien, am Militär geübt. Anders als bei uns stellen die Künstler aber kaum eindeutig wieder erkennbare reale Personen dar.

Maghrebinische Politiker sind offenbar nicht der Ansicht von Johannes Rau, der im Dezember 2003 bei einem Abendessen mit Karikaturisten in Berlin sagte: "… dass für Politiker nur eines schlimmer ist und war, als karikiert zu werden – nämlich nicht karikiert zu werden."

Kritik an libyschen Volkskomitees

In Libyen darf offensichtlich moderate Kritik an den Volkskomitees geübt werden, deutliche auf jeden Fall beispielsweise an Amerika, Saudi-Arabien oder Israel.

In Libyen gedeihen heimliche Alkoholproduktion und Schmuggel - Karikatur von Muhammed az-Zwawi
In Libyen gedeihen heimliche Alkoholproduktion und Schmuggel - Karikatur von Muhammed az-Zwawi

​​Die liebevollen und detailreich durchgearbeiteten Zeichnungen von az-Zwawi bilden auch das Volk und seine Lebensgewohnheiten genau ab, er stellt die kleinen und großen Sünden der Menschen, die Bedrängnisse der Armen und die Laster der Reichen oder die Schlampigkeit und Ungerechtigkeiten der Verwaltung mit Feder und Pinsel bloß. Er macht sich über das Alkoholverbot im Lande lustig und über antiquierte Heiratsbräuche.

Der Verschleierung der Frauen widmet er zum Beispiel ein starkes Blatt, auf dem drei total verhüllte Wesen fotografiert werden. Jedes hält ein Schild vor sich, darauf zu lesen: "Ich bin Haluma … und ich Mabruka … und ich Fatuma".

Pressefreiheit im Visier

Karikatur aus Marokko
Karikatur aus Marokko

​​Pressefreiheit ist in Marokko (wie auch in Algerien) ein überaus wichtiges Thema: Häufig wird ihre Missachtung durch gemarterte Schreib- bzw. Zeichenfedern symbolisiert: Federn, die Gefängnis-Gitterstäbe bilden, Federn, die erschossen werden, Federn mit Krücken oder in Handschellen. Eine Zeitung in Ketten wird von einem Gefängnisaufseher mit Gewehr bewacht.

Marokkanische Karikaturisten sind ernsthafter als die übrigen. Folter, gefährliche Flucht nach Europa über die Straße von Gibraltar, Gewalt an Frauen – darüber sollte man ihrer Ansicht wohl nur bedingt lachen. Obwohl, wie Psychologen lehren, Lachen auch bei schrecklichen Dingen heilsam ist, denn es befreit von Ängsten.

Vorsichtige Kritik in Tunesien

Am wenigsten politische Brisanz und Schärfe zeigen die Karikaturen aus Tunesien. Hier werden eher Verkehrsprobleme in der aus allen Nähten platzenden Hauptstadt und ihre unwirtliche Architektur thematisiert.

Karikatur von Chedly Belkhamsa aus Tunesien
Karikatur von Chedly Belkhamsa aus Tunesien

​​Umweltsünden, Geldgeschäfte beim Fußball, Kampf der Geschlechter, neuartige Kinderspiele, das sind einige Themen von Chedly Belkhamsa. Zur mangelnden Pressefreiheit gibt es eine vorsichtige Kritik in Gestalt eines tröpfelnden Wasserhahns, der die Form des Schriftzuges "info" hat.

Seit die Karikatur in ihrer heutigen Bedeutung im 18. Jahrhundert in England erfunden wurde, gilt sie als komischer Spiegel der Gesellschaft. Übertreibungen, Verformung des Naturabbildes, Betonung der Hässlichkeit, Sarkasmus und Boshaftigkeit, Entlarvung von Missständen haben sie seitdem beim Publikum beliebt gemacht. Die maghrebinischen Karikaturisten stehen ganz in dieser Tradition. Sie spiegeln die maghrebinische Gesellschaft mit all ihren Eigenheiten, Macken und Verfehlungen.

Karikatur von Dilem
"ES LEBE DIE FIS!" - "WIE BITTE?" - "ÄH, ES LEBE EL FIS PRESLEY!", Karikatur von Dilem

An der Darstellung der äußeren Merkmale der Personen und ihrer Umgebung ist meist das typisch Nordafrikanische auszumachen. Die Stile differieren ebenso wie anderswo. Sie reichen hier von den sparsamen groben Strichzeichnungen eines Melouah über den nervösen Duktus mit oft fein zugehäkelten Flächen eines Dilem bis zu den zeichnerisch sorgsam durchgearbeiteten, teilweise kolorierten Bildern eines az-Zwawi.

Karikaturisten leben gefährlich ​​

Wie weit können sich die Karikaturisten mit ihren Bildinhalten vorwagen? Die Biographien der in Berlin anwesenden Künstler Sid Ali Melouah und Mohammed Nadrani zeigen, dass Mut gefährlich ist sein kann. Der erste musste nach wiederholten Morddrohungen von algerischen Terroristen das Land verlassen, der andere verbrachte viele Jahre im Gefängnis. Az-Zwawi kam sogar als Tourist in Tunesien ohne Nennung von Gründen einige Monate hinter Schloss und Riegel. Dilem wurde zu einigen Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt.

Melouah wurde, als er mit den algerischen Karikaturen in arabischen Ländern weilte, immer wieder verwundert gefragt, wie soviel Freiheit und Offenheit in der algerischen Presse nur möglich sei. Darauf habe er immer geantwortet: "Wir haben die Freiheit auch nicht. Wir nehmen sie uns einfach!"

© Liesel Schulze-Meyer

Quelle: Der Arabische Almanach, Ausgabe 2004/2005

Liese Schulze-Meyer ist Geschäftsführerin der Deutsch-Maghrebinischen Gesellschaft.