Ferien vom Gaza-Krieg

In ihrer Heimat explodieren Bomben und es sterben Menschen. In Deutschland versuchen junge Israelis und Palästinenser dennoch, sich näher kennen zu lernen. Der Dialog zeigt überraschende Folgen, wie Wolfgang Dick berichtet.

Von Wolfgang Dick

Der Anfang ist besonders schwer. Es wird geweint und gestritten. Vorwürfe und Schuldzuweisungen werden laut. In einem Raum zusammenzusitzen, scheint nur schwer auszuhalten. Doch wenn die Teilnehmer zu Beginn des zweiwöchigen Treffens erst einmal von ihrem eigenen Leben und dem Schicksal ihrer Familien erzählen, werden aus anonymen Gruppen Menschen. Unterschiede verschwinden. Erzählt wird auf Hebräisch und Arabisch. Gefühle lassen sich in der eigenen Sprache besser ausdrücken. Übersetzer helfen. "Du hörst furchtbare Geschichten und wenn dann andere mit Dir fühlen, berührt einen das sehr", erzählt die 35-jährige Palästinenserin Suad. Ihr gegenüber sitzt die 33jährige Israelin Amit, die immer mehr begreift, wie wenig beide Seiten tatsächlich voneinander wissen. "Ich traue unseren Medien nicht, sie sind zu sehr Teil des Konflikts", sagt Amit. Sie will sich ein eigenes, vollständigeres Bild machen. So geht es auch den übrigen Teilnehmern. Ihre Motivation ist es, mit den "anderen" direkt sprechen zu können.

Die Palästinenserin Suad (l.) und die Israelin Amit; Foto: KfGD
Suad (links) und Amit beim Austausch von Ideen und Anregungen zu einem friedlichen Miteinander ihrer Heimatländer. Der Dialog in der deutschen Tagungsstätte in der nähe von Bonn ermöglicht den Teilnehmern nicht nur "Ferien" vom Krieg zu machen, sondern auch ein mal direkt mit den "anderen" sprechen zu können.

Amit und Suad müssten zuhause nur 20 Minuten fahren und sie könnten sich gegenseitig besuchen. Theoretisch. In Wirklichkeit trennen sie Welten. Amit lebt in Jerusalem, Suad in den palästinensischen Autonomiegebieten. Um die Grenze passieren zu können, benötigt Suad eine Sondergenehmigung. Jetzt begegnen sie sich mit rund 50 weiteren jungen Leuten zwischen 20 und 35 Jahren in einer deutschen Tagungsstätte in der Nähe von Bonn.

Dialog statt Krieg

Möglich machte das Treffen das "Komitee für Grundrechte und Demokratie". Der nur aus privaten Spenden finanzierte Verein von Friedensaktivisten setzte sich bereits während des blutigen Konflikts im ehemaligen Jugoslawien dafür ein, dass Flüchtlingskinder zwei Wochen lang am Meer Ferien vom Krieg machen konnten. Seit 2002, dem Höhepunkt der Zweiten Intifada, organisiert der Verein auch Treffen zwischen jungen Israelis und Palästinenser entfernt von den Krisengebieten. So sollen sie Vorurteile ablegen und lernen, dass Menschen und ihre Sehnsüchte auf allen Seiten gleich sind. Die kompletten Kosten für das Programm übernimmt der Verein. Partnerorganisationen wie "Breaking Borders" finden in der Krisenregion interessierte Teilnehmer. Nur durch Mund-zu-Mund Propaganda.

Rund 2.000 junge Erwachsene, darunter viele Studenten, haben inzwischen die Begegnungsmöglichkeit in Deutschland wahrgenommen. Viele Teilnehmer haben zuhause nur etwas von einem Feriencamp erzählt. Dass sie sich in Zeiten des Gaza-Kriegs mit Angehörigen der jeweils "anderen Seite" treffen, haben sie verschwiegen.

Barbara Esser, eine der Betreuerinnen des Projekts "Ferien vom Krieg", weiß um die Gewissensnöte. "Es ist in ihrer Umgebung einfach nicht akzeptabel". Jeder, der sich um eine Annäherung bemühe, gelte schnell als Verräter. Barbara Esser erzählt von einem Israeli, der einen Palästinenser ganz sympathisch fand. "Er war sich nicht sicher, ob er mit ihm über Facebook befreundet sein darf, ohne seine Freunde vor den Kopf zu stoßen", berichtet sie.

Teilnehmer im Gespräch miteinander; Foto: KfGD
Verständnis und Toleranz sollen entstehen: Im Mittelpunkt des Programms steht das gegenseitige Zuhören. Das Teilen der Emotionen helfe, einander zu verstehen, sagt Projektleiterin Barbara Esser.

Die Sicht der anderen verstehen lernen

Im Mittelpunkt des Programms steht das gegenseitige Zuhören. Man wolle aus den Teilnehmern nicht krampfhaft Freunde machen, sagen die Organisatoren. Aber Verständnis und Toleranz sollten entstehen. In Rollenspielen werden deshalb in einer eigenen "Friedensverhandlung" Lösungsvorschläge für den Nahost-Konflikt erarbeitet. Wichtig seien viele kleine Einzelschritte statt ein großer Wurf, meinen die Teilnehmer. "Wir erlauben uns zu träumen. Positive Zukunftsvisionen helfen, Hoffnung zu fassen und an ein Ziel zu glauben", meint die Israelin Amit. Dass die Lösung des Konflikts von einer jüngeren Generation bewältigt werden kann, glauben die wenigsten in der Runde.

Israelis und Palästinenser merken während der eigenen Verhandlungen, worin das Grundproblem für einen Friedensfortschritt besteht. Es sei die Angst, vermeintlich zu viele Zugeständnisse zu machen und am Ende der Verlierer zu sein, stellen sie fest. Und dieses Gefühl müsse überwunden werden. Die Palästinenserin Suad sieht die intensive Arbeit in der Gruppe positiv: "Selbst die rechten, konservativen Lager auf beiden Seiten haben begonnen, ihre Denkweise zu ändern". Geholfen habe, sich zu fragen, was die jeweils andere Seite erwarten würde, statt zu formulieren, was man selbst will. Immer wenn sich im Rollenspiel die Fronten verhärten und die Gruppenbetreuer den Teilnehmern aufzeigen, wie sie in alte Denkmuster zurückzufallen, erschreckt dies sowohl Israelis als auch Palästinenser gleichermaßen.

Das Eis bricht in solchen Momenten, die es ermöglichen, sich privat besser kennenzulernen. Neben Spielen und Ausflügen fördern auch die sogenannten "Heimatabende" den Dialog. An diesen Abenden wird die jeweils eigene Kultur präsentiert, was die gegenseitige Anerkennung fördert. Nach dem Kochen und gemeinsamen Essen wird oft Musik gespielt. Und dann geschieht bisweilen das Unfassbare: Palästinenser und Israelis tanzen miteinander. Das normale Leben in ihrer Konfliktregion spiegelt es nicht wider. Das gesamte Programm verstehe daher schlicht als "Ferien vom Krieg", betonen die Teilnehmer. Aber ein Anfang sei damit gemacht worden, um nach der Rückkehr über die wichtigste Erfahrungen zu sprechen. Ein Miteinander scheint möglich.

Wolfgang Dick

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de