Strippenzieher des Terrors in Europa

Die meisten der jüngst gefassten IS-Terroristen sind EU-Bürger, Rückkehrer aus dem Dschihad in Syrien und dem Irak. Seit dem Attentat auf die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" im Januar 2014, hat sich die dschihadistische Internationale mehr und mehr Europa ins Visier genommen. Hintergründe von Birgit Svensson

Von Birgit Svensson

Ein Handschuh nur an der linken Hand hat sie verraten. Auf dem Foto der Überwachungskamera am Brüsseler Flughafen schoben drei Männer ihren Trolly Richtung Check-In. Der Herr in offener heller Jacke, einem Freizeithemd und dunklem Baumwollhut tat alles, um als normaler Tourist durchzugehen, der für einen Flug in die Sonne einchecken will. Doch seine beiden Begleiter wurden noch am Abend des verheerenden Anschlags in der belgischen Hauptstadt enttarnt und als Selbstmordattentäter identifiziert, die über 30 Menschen mit in den Tod rissen. Die Zünder ihrer Sprengstoffgürtel waren an der linken Hand befestigt, unter dem Handschuh.

Die Spur der Tatverdächtigen der Brüsseler Anschläge reicht immer weiter. Neben den Festnahmen in Belgien und Frankreich, gibt es inzwischen auch Inhaftierungen in Deutschland, die im Zusammenhang mit Brüssel stehen. Die Verzahnung der Täter wird somit deutlich, die Vermutung eines Terrornetzwerkes innerhalb Europas immer wahrscheinlicher.

Einer der beiden Selbstmörder ist Najim Laachraoui, den die belgischen Behörden seit Monaten gesucht hatten – genau gesagt seit den Anschlägen in Paris am 13. November 2015. Er hatte von 2009 bis 2010 im EU-Parlament als Putzhilfe gearbeitet. Französische Ermittler haben seine DNA-Spuren auf Bombenmaterial gefunden, das die Terroristen in Paris nutzten. Und nun hat er sich in Brüssel in die Luft gesprengt.

Alle drei Männer auf dem Brüsseler Flughafenfoto sind vor einem Jahr aus Syrien kommend nach Europa eingereist, auf unterschiedlichen Wegen. Über Kontinente hinweg greift die gleiche tödliche Strategie, herrscht dasselbe Gedankengut. Denn die meisten der Gefassten sind EU-Bürger, Rückkehrer aus dem Dschihad in Syrien und dem Irak.

Europa im Visier

Seit dem Attentat auf die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" im Januar 2014 hat sich die dschihadistische Internationale mehr und mehr Europa ins Visier genommen. Vorneweg die Staaten, die sich an der US-Koalition in Syrien und im Irak beteiligen. Hier, so die Propaganda der Extremisten, sitzen die "Kreuzfahrer" und "Ungläubigen", die unzählige Muslime weltweit in Kriegen getötet haben. Die Rückkehrer sind dabei die tragende Säule.

Najim Laachraoui alias Soufiane Kayal; Foto: picture-alliance/epa/Belgium Federal Police
Am Flughafen hatten sich am 22. März laut Ermittlungsergebnissen Najim Laachraoui (24) und Ibrahim El Bakraoui (29) in die Luft gesprengt. Bei den Anschlägen am Airport und in der Brüsseler Metro wurden 32 Menschen getötet.

"Die kriegserfahrenen und radikalisierten Kämpfer sind nach ihrer Rückkehr tickende Zeitbomben", sagt der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven, Direktor des "Instituts für Krisenprävention" in Essen. Paris und Brüssel stehen stellvertretend dafür. Auch für Deutschland stellen diese Rückkehrer eine beträchtliche Gefahr dar. 

Der Weg Naijm Laachraouis ist dafür prototypisch. Der Mann mit nur einem Handschuh auf dem Flughafenfoto links wurde in Syrien zum Sprengstoffexperten geschult. Seine Ausbildung zum Elektrotechniker absolvierte der 24-Jährige an einer katholischen Hochschule im Brüsseler Stadtteil Schaerbeek. Nach seinem Abschluss zog er 2013 nach Syrien in den Dschihad.

Gut zwei Monate vor den Anschlägen in Paris soll er nach Europa zurückgekommen sein – zunächst nach Ungarn. In Budapest wurde der Belgier Laachraoui von dem Franzosen Salah Abdeslam abgeholt, der in Belgien aufwuchs, die Anschläge in Paris vorbereitete und inzwischen in Brüssel festgenommen wurde. Beide überquerten unbehelligt die Grenzen zu Österreich und Deutschland, bevor sie in ihrem Heimatland ankamen. Bei einer Kontrolle auf dem Weg nach Österreich nutzte Laachraoui einen gefälschten belgischen Personalausweis, der auf den Namen Soufiane Kayal lautete. Seine wahre Identität blieb somit erst einmal verborgen.

Ein Pilotprojekt des Scharia-Kolonialismus

Der Fall des Selbstmordattentäters Laachraoui zeigt die Dschihadisten-Szene in Europa deutlich auf. Zunächst wurden junge Muslime angelockt, im Namen Allahs in den Krieg zu ziehen und in Syrien für die Rechte der Unterdrückten zu kämpfen. Dabei half das Internet, die Botschaften zu verbreiten. Paradiesische Zustände sollten im Land des ehemaligen Garten Eden herrschen, wenn erst einmal ein Islamischer Staat gegründet sei. Für alles werde gesorgt: Einkommen, Wohnung, Essen, Frauen.

Anhänger des IS im Nordwesten Bagdads; Foto:  picture alliance / AP
Weltumspannender Dschihad: Nach Bin Ladens Tod übernahm Abu Bakr al-Bagdadi die Ideologie von Al-Qaida & Co. und perfektionierte sie. Der eklatante Widerspruch zwischen Steinzeitislam und hochmoderner Technologie schien sich mit ihm aufzulösen. Dafür brauchte er gut ausgebildete Männer aus dem Westen, sprich Europa, und loyale, gefügige und religiös indoktrinierte aus dem Nahen und Mittleren Osten.

In Syrien und im Irak sollte so etwas wie ein Pilotprojekt des Scharia-Kolonialismus entstehen, um sich dann über die ganze Welt auszubreiten. Schon Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden träumte von einem weltumspannenden Dschihad. Nach seinem Tod übernahm Abu Bakr al-Bagdadi die Idee und perfektionierte sie. Der eklatante Widerspruch zwischen Steinzeitislam und hochmoderner Technologie schien sich mit ihm aufzulösen. Dafür brauchte er gut ausgebildete Männer aus dem Westen, sprich Europa, und loyale, gefügige und religiös indoktrinierte aus dem Nahen und Mittleren Osten. Die Rechnung scheint aufzugehen. "Daesh" kämpfte sich von einem Sieg zum nächsten. Das Ziel der Expansion rückte näher.

Bis vor Kurzem war Belgien der Spitzenreiter im Export von Dschihadisten nach Syrien und in den Irak. Aus keinem anderen europäischen Land kamen mehr IS-Kämpfer, gemessen an der Bevölkerungszahl. Inzwischen hat Schweden die Spitzenposition eingenommen. Die Belgier sind entweder zurückgekehrt, haben sich als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt oder sind im Kampf um das Kalifat gestorben.

Bisher sollen 4.500 sogenannte "Foreign Fighters", IS-Kämpfer aus den USA und Europa, in Syrien und dem Irak gestorben sein, wie aus einem Bericht der "New America Foundation for Studies and Research" hervorgeht, der jetzt veröffentlicht wurde. Insgesamt spricht der Bericht von 10.000 Dschihadisten aus dem Westen, die an der IS-Front kämpfen. 400 der westlichen Kämpfer habe man nach Europa geschickt, um dort Anschläge zu verüben.

Birgit Svensson

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