"Syrien legitimiert das System Putin"

Russlands Unterstützung des Assad-Regimes ist ein geopolitisches Spiel, meint der Osteuropa-Experte Stefan Meister. Vor allem aber profitiere Wladimir Putin innenpolitisch von seiner Syrienpolitik. Die Konfrontation mit dem Westen mache ihn zu einer Schlüsselfigur der Weltpolitik. Mit Stefan Meister sprach Jannis Hagmann.

Von Jannis Hagmann

Herr Meister, der russische Präsident Wladimir Putin war noch nie in Damaskus. Besuchen sich enge Verbündete nicht gegenseitig?

Stefan Meister: Normalerweise natürlich schon, aber das zeigt, dass die Beziehungen zwischen Syrien und Russland so eng nicht sind. Russland ist ein pragmatischer Verbündeter Syriens. Man hat gemeinsame Interessen, aber kein enges Verhältnis.

Im Syrienkonflikt unterstützt Russland das Regime Baschar al-Assads seit bald drei Jahren. Welche Interessen hat Moskau in dem Land?

Meister: Zum einen versucht Russland, die USA aus der Region herauszuhalten. Ein Regimewandel in Syrien könnte bedeuten, dass sich der Einfluss der USA weiter ausbreitet. Zweitens möchte Russland eine weitere Destabilisierung in der Region durch den Arabischen Frühling verhindern. Assad ist ein Garant für Stabilität nach Russlands Geschmack: ein autoritäres Regime, mit dem es Deals machen kann. Und schließlich fördert die Auseinandersetzung mit den Amerikanern im Syrienkonflikt Putins Legitimität.

Stefan Meister; Foto: Jannis Hagmann
Stefan Meister ist Experte für russische Außen- und Sicherheitspolitik sowie EU-Russland-Beziehungen am "European Council on Foreign Relations" in Berlin. Er war als Wahlbeobachter für die OSZE tätig und ist Herausgeber des Buches "Economization versus Power Ambitions: Rethinking Russia's Policy Towards Post-Soviet States".

In seiner dritten Amtszeit steht er innenpolitisch stark unter Druck. Im Vorfeld der Präsidentenwahl 2012 kam es zu Demonstrationen gegen das System Putin, den größten seit Ende der Sowjetunion. Den Amerikanern die Stirn zu bieten, kommt in Russland gut an.

Hat Putin nicht noch immer viel Unterstützung in der russischen Bevölkerung?

Meister: Putin hat massiv an Zustimmung verloren. Als er 2008 als Präsident abtrat, lag sie in realistischen Umfragen bei 60 bis 70 Prozent, heute unter 40. Für eine charismatische Führungsfigur in einem autoritären Staat ist das sehr wenig. Putin braucht neue Quellen der Legitimation. Der Konflikt mit der Amerikanern und der NATO kommt bei 80 Prozent der Bevölkerung gut an. Indem Russland den Sicherheitsrat blockiert, zeigt Putin Obama die Stirn. Das kann er zu Hause gut verkaufen. Der Syrienkonflikt legitimiert das System Putin und wertet ihn international auf. Vor eineinhalb Jahren hat Obama noch gesagt, Russland sei eine zweitrangige Macht. Heute verhandeln sie auf Augenhöhe.

Putin hat mit Wiktor Janukowitsch nun einen wichtigen Verbündeten in der Ukraine verloren. Sehen Sie einen Zusammenhang mit Syrien?

Meister: Die Muster der russischen Politik sind vergleichbar. Es geht um das Modell einer multipolaren Welt, in der Russland eine zentrale und vom Westen unabhängige Rolle spielt. Die Urangst der Russen ist es, irrelevant zu sein und international keine Rolle zu spielen. Als zweitgrößter Staat der Region ist die Ukraine für Russland aber viel wichtiger als Syrien und hat eine ganz andere Signalwirkung für den post-sowjetischen Raum.

Der Konflikt in Syrien hat schon jetzt 140.000 Tote gefordert, viele davon Zivilisten. Wie steht die russische Bevölkerung zur Blockadehaltung Moskaus?

Meister: Wir haben einen völlig anderen Diskurs in Russland. Wenn Sie russisches Fernsehen einschalten, sehen Sie nicht die humanitäre Katastrophe, sondern Terroristen, die gegen eine legitim gewählte Regierung kämpfen. Da werden Halbwahrheiten und Lügen kommuniziert. Die Giftgasanschläge sind demnach Gerüchte, die von den Amerikanern verbreitet wurden, oder sie wurden von islamistischen Terroristen selbst verübt.

Der russische Flottenstützpunkts in Tartus; Foto: picture-alliance/dpa
Militärische Drehscheibe Tartus: In der syrischen Hafenstadt unterhält Moskau seit 1977 eine Basis - die letzte im fernen Ausland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Russland liefert Waffen nach Syrien. Wie wichtig ist das Land für die russische Rüstungsindustrie?

Meister: Die Rüstungsdeals mit Syrien sind ein Verlustgeschäft. Assads Schulden hat letztlich immer Moskau bezahlt. Das kommt zwar wieder der russischen Rüstungsindustrie zugute, aber Russland verdient damit kein Geld. Assad hat finanziell letztlich nichts zu bieten.

Oft wird auch die Marinebasis in der syrischen Hafenstadt Tartus als Grund für Russlands Position erwähnt. Sie ist der letzte Stützpunkt der russischen Marine außerhalb der ehemaligen Sowjetunion.

Meister: Militär-strategisch gesehen ist Tartus aber wenig bedeutsam. Das Gerät, das sich dort befunden hat, hätte wenig ausrichten können. Da lagen zwei Kreuzer und auch das Personal war sehr überschaubar. Soweit ich weiß, ist mittlerweile sämtliches Militärpersonal aus Sicherheitsgründen abgezogen worden. Damit ist die Basis noch unwichtiger geworden. Allerdings ist es ein wichtiger Standort, um die syrische Armee mit Waffen zu versorgen und Informationen zu sammeln. Geheimdienstvertreter sollen noch vor Ort sein. Tartus ist eher aus symbolischer und informationspolitischer Perspektive interessant.

Wenn Syrien für Russland weder wirtschaftlich noch militärisch bedeutsam ist, ist andersherum die russische Unterstützung für das Assad-Regime essentiell?

Besuch des russischen Außenministers Lawrow bei Syriens Präsident Baschar al-Assad in Damaskus im Februar 2012; Foto: dpa/picture-alliance
Rückkehr der autoritären, anti-westlichen Regime: "Russland wird diesen Ländern anbieten, im Sinne einer Gegenmachtbildung militärisch und ökonomisch zu kooperieren. Es sieht sich schon jetzt als Gewinner des Arabischen Frühlings", sagt Stefan Meister.

Meister: Die Waffen aus Russland sind schon wichtig. Die Syrer haben ja auch alte sowjetische Technik und brauchen Ersatzteile. Andererseits könnte sich Assad auch ohne Russland noch eine Weile halten. So wichtig ist Russland dann letztlich nicht. Gleichzeitig würde Moskau nie militärisch in Syrien intervenieren.

Setzt Russland mit der Syrienpolitik nicht seinen Ruf in der Region aufs Spiel? Die Golfstaaten und die Türkei stehen auf Seiten der syrischen Opposition. Und in den Augen der meisten Araber schlachtet Assad sein eigenes Volk ab.

Meister: Schauen Sie sich die Dynamik in der Region an. Wir sehen die Rückkehr von autoritären, anti-westlichen Regimen, beispielsweise in Ägypten. Russland wird diesen Ländern anbieten, im Sinne einer Gegenmachtbildung militärisch und ökonomisch zu kooperieren. Russland sieht sich schon jetzt als Gewinner des Arabischen Frühlings. Vor zwei Jahren hieß es noch, diese Entwicklung bedeute das Ende Russlands in der Region. Nun sehen wir mit Al-Sisis Besuch in Moskau schon ganz neue Koalitionen.

Der ägyptische Armeechef war wegen eines Rüstungsdeals in Moskau. Aber das gute Verhältnis zwischen den USA und Ägypten steht doch nicht zur Debatte. Russland wird hier kaum die USA ersetzen können.

Meister: Die Frage ist schon, wie stark sich das Verhältnis zwischen Ägypten und Amerika verschlechtert. Ägypten entwickelt sich zu einer Militärdiktatur, was zur Isolation führen kann. Ob die Ägypter es sich aber leisten können, auf die Russen zu setzen, ist eine offene Frage. Ich gebe Ihnen aber in der Hinsicht recht, dass die Russen nicht die Ressourcen haben, um wie die Amerikaner Kredite und Waffen liefern zu können. Ökonomisch geht es Russland nicht gut.

Das Interview führte Jannis Hagmann.

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de