"Ich bin eine Nomadin"

Die in Beirut geborene Sängerin Yasmine Hamdan zählt zu den Shooting-Stars der alternativen Electro-Popszene im Libanon. In Ihrem Solo-Debüt-Album "Ya Nass" interpretiert sie alte arabische Klassiker neu. Mit ihr sprach Juliane Metzker.

Von Juliane Metzker

Frau Hamdan, Ihre neue Single "Beirut" handelt von "den guten alten Tagen" in der libanesischen Hauptstadt. Reisen Sie gerne in der Zeit zurück?

Yasmine Hamdan: Ich war schon immer ein großer Fan von Omar al-Zenni, der das Lied ursprünglich gesungen hat. Seine Musik ist heute äußerst selten geworden und nur noch schwer erhältlich. Auf einem seiner Alben fand ich das Lied "Beirut". Ich suche ständig nach alten Werken, die ich dann neu arrangiere.

Omars Version war viel rasanter als mein Stück, aber ich spürte gleich, dass ich dieses Lied bearbeiten kann. Es wurde mit so viel Zärtlichkeit und Leichtigkeit geschrieben, gleichzeitig schwingt darin aber auch jede Menge Kritik mit. Omar besingt eine Mentalität, die seit 60 bis 70 Jahren immer wieder in die Stadt einkehrt. "Beirut" ist daher, wenn ich es heute singe, genauso aktuell wie damals.

Libanesische Sängerin Yasmine Hamdan; Foto: Amélie Rouyer
Yasmine Hamdan singt eine Hommage auf ihre Geburtsstadt: " Beirut - eine Blume in der Region, oh Beirut, deine guten alten Tage und dein schreckliches Ende"

Während des libanesischen Bürgerkriegs lebte Ihre Familie zwischen Abu Dhabi, Griechenland, Kuwait und Beirut. Sie singen im ägyptischen, libanesischen oder kuwaitischen Dialekt und haben auch Lieder auf Englisch und Französisch produziert. Können Sie sich heute nicht mehr entscheiden, wo Sie zuhause sind?

Hamdan: Ich bin eine Nomadin. Meine Kindheit wurde über viele Länder verstreut; und ich wusste nicht, dass überhaupt so etwas wie Heimat existiert. Aber damals lernte ich, eine sichere Distanz gegenüber allem, was mir begegnete, zu wahren und so einen klareren Blick auf die Dinge zu entwickeln. Gleichzeitig verschlang mich die Einsamkeit. Aber mit der Musik kann ich dieses Gefühl aufarbeiten. Heute gehöre ich zu den Orten, die ich mir aussuche.

In dem neuen Jim Jarmusch-Film "Only Lovers Left Alive" spielen Sie eine Barsängern und ihr Auftritt wird mit den Worten kommentiert: "Ihr Name ist Yasmine, sie wird bald berühmt sein." Wie machen Sie arabische Musik einem internationalen Publikum zugänglich?

Hamdan: Ich glaube nicht, dass Musik geographische Grenzen kennt. Ein arabischer Zuhörer fühlt nicht zwangsläufig mehr als jemand, der kein Wort Arabisch spricht. Ich kommuniziere mit meiner Musik Emotionen und die Vielfalt meiner Kultur. Auch Jim Jarmusch brauchte meine Texte nicht zu verstehen, um zu wissen, dass da etwas ist, mit dem er arbeiten möchte.

 

Das Lied "Ya Nass" (dt.: Hey, Leute) ist gleichzeitig auch der Titel Ihres Debüt Solo-Albums. An wen richten Sie diese Botschaft und was genau ist damit gemeint?

Hamdan: Ich singe nicht für eine spezielles Publikum. "Ya Nass" ist eine Adaption eines sehr alten und poetischen Liedes aus Kuwait. Einige Worte im Songtext existieren in der heutigen Sprache nicht mehr. Es handelt von einer Frau, die am Hafen auf das Boot ihres Geliebten wartet. Sie fragt die Leute in der Nähe nach ihm und erinnert sich an die gemeinsame Zeit. Kuwait und der gesamte Golf waren vor der Entdeckung des Erdöls, Fischernationen und Wüste. Als kleines Mädchen lauschte ich dieser Musik im Fernsehen. Als ich eines Tages das Lied wiederentdeckte, roch ich wieder das Meer und die Wüste.

Der Titel passt zu den aktuellen Bewegungen in der arabischen Welt.

Hamdan: Nicht direkt. Ich liebe den Titel "Ya Nass", weil er einen Appell an jemanden lautstark richtet, ein Gespräch eröffnet und ein Angebot darstellt. In dem Stück geht es vor allem um Kommunikation.

Das Lied "Samar" handelt von einem bestimmten Typ arabischer Frauen beschreibt und deren Sexualität. Wer trifft in diesem Lied wen?

Hamdan: Ich wuchs mit ägyptischen Filmen auf, in denen sehr schöne und aufreizende Frauen mitspielten. Die berühmte Sängerin und Schauspielerin Samira Toufiq mimte einmal eine Beduinenfrau. Die Generation meines Großvaters war ihr hoffnungslos verfallen. Sie hatte große Brüste, runde Formen und war sehr sinnlich, doch auch recht schüchtern.

Als ich "Samar" schrieb, fantasierte ich über ihren Charakter. Der Text wiederholt sich gleich einer Obsession. Eine Frau ist besessen von einem Souvenir ihres Geliebten oder der letzten leidenschaftlichen Nacht und wiederholt immer wieder dieselben Worte. Die Sprache des Liedes ist der Dialekt der Beduinen und er bringt etwas Schüchternheit, Erotik, Sinnlichkeit sowie Bodenständigkeit mit sich und verschleiert das Ungesagte.

Im Beirut der Nachkriegszeit gründeten Sie mit Zeid Hamdan die Band "Soapkills". Sie beide verbanden Trip-Hop mit arabischen Klängen. Was verbanden Sie mit dieser Musik?

Hamdan: Der Name "Soapkills" bezog sich darauf, wie das Land und Beirut aufgeräumt und alle Spuren der Unruhen bereinigt wurden. Im Eiltempo wollten die Leute alles aus ihren Köpfen löschen. Ende der 1990er Jahre war das Umfeld für die Nachkriegsgeneration sehr ungewöhnlich und halb zerstört. Wir trugen viele Fragen in uns. Als ich zu singen begann, gab es plötzlich einen Ort, an dem ich mich verstecken und der Realität entfliehen konnte. Wir begannen eine Art Zukunftsmusik zu machen und waren wie Außerirdische, da es ja noch kein Internet und Facebook gab und das Land sich von 15 Jahren Krieg erholte.

Weshalb stand für Sie irgendwann der Entschluss fest, nach Paris zu ziehen?

Hamdan: Ich muss in einem stabilen und sicheren Land leben. Ich hege viele widersprüchliche Gefühle für den Libanon. Ich liebe das Land, aber die Atmosphäre dort ist ungesund und vergiftet. Ich hoffe, dass eines Tages der Konfessionalismus im Land keine Rolle mehr spielt. Die Leute dort sind jeden Tag Konflikten, Krieg und Korruption ausgesetzt. Ich bin immer in Sorge um den Libanon.

Das Interview führte Juliane Metzker

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de