Zwei Arten roter Linien

Der bekannte iranische Karikaturist Mana Neyestani berichtet über die schwierigen Arbeitsbedingungen von Künstlern und Publizisten im Iran, den Zustand der grünen Demokratiebewegung und die politischen Reformen in der Türkei.

Der bekannte iranische Karikaturist Mana Neyestani berichtet über die schwierigen Arbeitsbedingungen von Künstlern und Publizisten im Iran, den Zustand der grünen Demokratiebewegung und die politischen Reformen im Nachbarland Türkei.

Foto: &copy Mana Neyestani
Gute Miene zum bösen Spiel? Künstler, Journalisten und Schriftsteller sind in der Islamischen Republik seit der Regierungszeit Ahmadinedschads massiven Verfolgungen ausgesetzt.

​​Was halten Irans Intellektuelle von jüngsten Reformbewegungen wie in der Türkei?

Mana Neyestani: Iranische Intellektuelle verfolgen sehr aufmerksam die aktuellen Ereignisse in der Türkei oder in Malaysia. Sie tun ihr Bes­tes, um am Weltgeschehen teilzunehmen. Was ihnen jedoch fehlt, ist effiziente Kommunikation mit anderen zum Wissensaustausch. Irans Regierung stellt sich in den Weg, indem sie Zeitungen verbietet, TV-Sender kontrolliert, Bücher oder Filme zensiert, das Internet filtert und Studentenbewegungen bekämpft. Trotz kleiner sozialer Freiheiten hält die Regierung alle Kommunikationsnetze fest im Griff.

Wie stehen Iraner denn zum jüngsten "Meilenstein für die Demokratie" des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan? Wäre ein solches Referendum irgendwann auch im Iran vorstellbar?

Neyestani: Säkularismus und Demokratie lassen sich nicht mit Bajonetten und Heeren verordnen. Deshalb bin ich froh, wenn die Türkei die Macht der Militärs einschränkt. Andererseits verstehe ich aber türkische Intellektuelle, die befürchten, ein islamistisches Regime könne jetzt Wurzeln schlagen. Wer religiöse Strömungen unterdrückt, hilft damit jedenfalls nur Extremisten. Die Lösung liegt also darin, religiöse Inhalte zu achten und gleichzeitig demokratisches Verständnis zu verbreiten. Dem Iran steht ein langer Weg bevor, bis wir an solche Referenden denken können.

Die Türkei hat sich unter dem Einfluss "sanfter Gewalt" aus Europa gewandelt. Die Regierung weiß, dass sie sich Europas Standards anpassen muss, bevor ein EU-Beitritt möglich ist. Könnte diese Art von Politik auch Iranern helfen?

Karikatur von Mana Neyestani; &copy Mana Neyestani
Wahlen als politische Farce - Gewalt und Repressionen überschatteten den Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahlen im Sommer 2009.

​​Neyestani: Unbestritten wird auch unser Land zu mehr Stabilität, Intelligenz und Freiheit gedrängt, je mehr Demokratie seine Nachbarn wagen. Die Erfahrung zeigt, dass Nachbarländer sich meist mit ähnlichen Themen auseinandersetzen.

Wie ist Ihre eigene Situation? Spüren Sie politischen Druck?

Neyestani: Natürlich spüre ich den. Wer auch immer unabhängig bleiben und außerhalb der offiziellen Staatsdoktrin arbeiten will, steht unter Druck. Bücher, Filme und Musik werden streng kontrolliert, am stärksten unterdrückt werden Zeitungen und Zeitschriften. Fast all unsere Pro-Reform-Zeitungen wurden verboten; die noch bestehenden arbeiten unter extremer Vorsicht und Angst. Für mich als Karikaturist bleibt im Iran keine Arbeitsmöglichkeit.

Umso wichtiger sind elektronische Medien?

Neyestani: Zurzeit arbeite ich viel für Online-Medien und bediene iranische User in aller Welt, insbesondere auch im Iran lebende Iraner, die Anti-Filter-Software verwenden, um sich im Netz zu informieren. Wegen der Zensur und schlechter Verbindungen in vielen Städten erreiche ich die User aber leider nur eingeschränkt.

Welche Bildmotive können gefährlich werden?

Neyestani: Im Iran gibt es zwei Arten roter Linien, die Karikaturisten nicht überschreiten sollten. Erstens die ganz offiziellen. Sie verbieten die Kritik religiöser Inhalte und Personen sowie der Staatsführung. Daneben gibt es weiche, bewegliche rote Linien. Jedes politische Ereignis kann täglich zum Tabu werden – wie kürzlich Debatten um nukleare Technik und um Betrugsvorwürfe nach der jüngsten Wahl. Sogar der Einsatz grüner Farbe, Symbol der Reformbewegung, braucht heute großen Mut. Strenger Glaube ist im iranischen Volk außerdem so verbreitet, dass Witze auf diesem Feld nicht in Frage kommen. Karikaturen sind für viele immer noch eine Form der Beschimpfung, die nur geschätzt wird, um Gegner zu bekämpfen.

Karikatur Mana Neyestani; &copy Mana Neyestani
Allen Repressionen zum Trotz: Um die grüne Protestbewegung im Iran ist es heute zwar ruhig geworden, der Widerstand gegen das Regime hält jedoch nach wie vor an.

​​Welche Strategie verfolgt Ayatollah Ali Khamenei?

Neyestani: Vor allem scheint mir, versucht unsere Regierung, politische Aktivitäten riskant, wenn nicht lebensgefährlich zu machen. Hinter den Protesten 2009 standen vor allem gebildete und städtische Schichten. Deshalb fördert der Staat nun religiösen Fanatismus bei einfachen Leuten, damit die Mittelschicht stillhält. Die Regierung versucht soziale Distanz zu verschärfen und Widerständler ins Abseits zu stellen.

Schlagzeilen im Westen machte die geplante Steinigung von Sakineh Mohammadi Ashtiani. Ist diese Art Öffentlichkeit nicht auch ein zynisches Spiel zwischen islamistischen Führern und westlichen Massenmedien? Wäre Schweigen manchmal besser?

Neyestani: Fest steht: Eine Person zu steinigen ist unmenschlich. In meinen Augen macht sich auch jeder schuldig, der neutral bleibt, nicht nur, wer aktiv beteiligt ist. In einem meiner Bilder habe ich Steiniger so gezeichnet, als zögen sie jeden geworfenen Stein aus ihrer eigenen, kalten Brust heraus, bis sie selbst am Ende leer sind. Der Regierung in Teheran geht es nicht um Gerechtigkeit.

Das zeigte sich auch, als drei Amerikaner kürzlich der Spionage bezichtigt wurden. Westliche Geheimdienste senden ihre ­James Bonds doch nicht auf Fahrrädern ins Ausland! Internationaler Druck kann aus meiner Sicht Gefangenen helfen; Schweigen hieße, einverstanden zu sein, dass sie in ihren Zellen lebendig begraben sind.

Wie sieht Kinderliteratur im Iran aus?

Neyestani: Seit der Revolution von 1978/79 fördert die offizielle Politik radikale und moralisierende Inhalte. Aber private Verleger haben auch im Iran erfolgreich Abenteuer von "Tim und Struppi" oder "Harry Potter" übersetzt. Bis Ende der 90er Jahre waren Comics verboten, weil sie angeblich dem Aufbau kindlicher Fantasie schadeten. Das ist jedoch Unsinn. Fest steht, dass Kinder viele Dinge schnell auffassen und viele kulturelle und ge­gen­kulturelle Probleme verstehen können. Comics können Liebe, Freundschaft und Vernunft vermitteln – und nicht nur blindes Gehorchen.

Was wäre Ihre persönliche Botschaft als Kinderautor?

Neyestani: Wenn ich für Kinder zeichne, genieße ich, das Kind in meinem Inneren zu wecken. Den Blick von oben herab vermeide ich. Uns wurde von klein auf beigebracht, zu schweigen, unsere Rechte zu ignorieren und still zu bleiben. Dieses Denken ist heute ohne Zweifel schuld daran, wie unsere Dinge im Iran teilweise laufen. Ich möchte Kindern gerne Mut lehren und ihnen zeigen, dass es nicht immer falsch ist, sich anders zu benehmen oder nicht zu gehorchen. Ich liebe es, ihre Fantasie anzuspitzen.

© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Mana Neyestani ist iranischer Karikaturist. Er veröffentlichte drei Comic-Bücher in persischer Sprache und entwarf Storyboards fürs Kino. Zurzeit arbeitet er für die Websites "Mardomak" und "Radiozamaneh".

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