Islam im Zwielicht

Im Gespräch mit Habib El Mallouki äußert sich der renommierte US-amerikanische Islamwissenschaftler John Louis Esposito zu den gewachsenen islamfeindlichen und rechtspopulistischen Tendenzen in Europa und in den USA als Folge des Terrors radikal-islamistischer Gruppierungen.

Von Habib El Mallouki

Nach den Worten des rechtskonservativen Staatsrechtlers Carl Schmitt benötigt angeblich jede Gesellschaft Feindbilder. Nimmt der Islam in westlichen Gesellschaften Ihrer Ansicht nach heute eine solche Feindbildfunktion ein?

John Louis Esposito: Da ich Schmitts Werke nie gelesen habe, kann ich mich dazu auch nicht direkt äußern. Ich denke jedoch, dass sich Stämme, Ethnien und Nationen schon immer durch den Begriff des "Anderen" oder durch andere stereotype Deutungen abgesetzt und definiert haben. Derzeit erfahren viele Menschen in Europa und in den Vereinigten Staaten einen wirtschaftlichen Niedergang in ihren Ländern. Und wie Umfragen bestätigen, fürchten sie um ihre Zukunft und insbesondere um die ihrer Kinder. Dies hat den Aufschwung rechtspopulistischer Parteien zur Folge, die anti-islamisch sind und sich sowohl gegen die Regierungen als auch gegen die in ihren Ländern lebenden Migranten richten. Dies hat zur Folge, dass islamophobe Tendenzen, Diskriminierung, Hass und Kriminalität gegenüber den "Anderen" zunehmen werden. Diese Kräfte instrumentalisieren die grausamen und barbarischen Aktionen von Terroristen, um Anhänger für ihre Ideen zu gewinnen und den Islam und die Mehrheit seiner Anhänger zu diskreditieren.

Eine im letzten Januar veröffentlichte wissenschaftliche Studie zur Islamphobie in Deutschland attestiert mindestens der Hälfte der Deutschen islamfeindliche Einstellungen. Spiegelt sich dieser Prozentwert auch in anderen westlichen Gesellschaften wider?

Esposito: Obgleich die Situation von Land zu Land variiert, lässt sich mit Bestimmtheit sagen, dass die Islamophobie zu einem Hauptproblem geworden ist – insbesondere nach den Anschlägen in Paris und San Bernardino in Kalifornien. Man kann gewöhnlich eine Korrelation zwischen Lebensstandard und sozialer Zugehörigkeit in Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit beobachten. Doch im Falle der Islamophobie reichen diese typischen Erklärungsmodelle nicht aus. In der erwähnten Studie gaben Beispielsweise zwischen 75 und 80 Prozent der gesellschaftlich privilegierten Bürger an, dass sie sich von Muslimen bedroht fühlen.

Ist dieses Ressentiment historisch bedingt oder sind hierfür auch andere Gründe ausschlaggebend?

Esposito: Es ist offensichtlich, dass die Attentate von 9/11 in den Vereinigten Staatenund die Anschläge von London vom Juli 2005 sowie die nachfolgenden Terrorattacken Al-Qaidas und des „Islamischen Staates“ Angst innerhalb der Bevölkerung schürten, die dann von rechten Politikern, Parteien und Hasspredigern ausgenutzt wurden. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Massenmedien und auch der Sozialen Medien, die maßgeblichen Einfluss auf die Meinungsbildung und Kultur haben, werden diese Ereignisse noch mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt.

Kann den westlichen Medien und dem mitunter undifferenzierten und einseitigen öffentlichen Diskurs also eine Mitverantwortung für die negative Wahrnehmung des Islam zugeschrieben werden?

Esposito: Die Massenmedien spielen dabei eine wichtige Rolle. Eine Medienanalyse die mit 975.000 Befragten aus Europa und Nordamerika durchgeführt wurde, ergab, dass der Umfang der Berichterstattung über Islam und Muslime im Jahr 2001 noch bei 0,5 Prozent und hinsichtlich des Extremismus bei zwei Prozent lag. 2011 lag dieser Wert bereits bei rund 25 Prozent, wohingegen der Anteil der Berichterstattung über den normalen Islam und die Muslime weiterhin bei nur 0,5 Prozent blieb. Andere Studien zeigen ganz ähnliche Ergebnisse, wenn nicht sogar noch eklatantere. In zwei dieser umfangreichen Studien wurde übrigens die finanzielle Unterstützung eines Netzwerks islamophober Blogger und Webseiten in Höhe von über 165 Millionen US-Dollar aufgedeckt.

Pegida-Anhänger in Dresden; Foto: picture-alliance/dpa/B. Settnik
Rechtspopulisten auf dem Vormarsch: "Derzeit erfahren viele Menschen in Europa und in den Vereinigten Staaten einen wirtschaftlichen Niedergang in ihren Ländern. Und wie Umfragen bestätigen, fürchten sie um ihre Zukunft und insbesondere um die ihrer Kinder. Dies hat den Aufschwung rechtspopulistischer Parteien zur Folge, die anti-islamisch sind und sich sowohl gegen ihre Regierungen als auch gegen Migranten richten", so Esposito.

Nach dem triumphalen Sieg des "Front National" in Frankreich und einiger rechter Parteien in verschiedenen europäischen Ländern fühlen sich viele westliche Intellektuelle an die Verhältnisse der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Gibt es Ihrer Meinung nach Parallelen zwischen der Islamophobie des 21. Jahrhunderts und dem Antisemitismus des 20. Jahrhunderts?

Esposito: Interessanterweise kam bei einer Gallup-Studie heraus, dass eine signifikante Zahl derer, die gegen Muslime agieren, auch antisemitische Einstellungen hegen. Einige Studien belegen ebenfalls, dass auffällige Parallelen in Hinblick auf antisemitische und antimuslimische Rhetorik existieren.

Lässt sich dieses negative Islambild im öffentlichen Diskurs in vielen westlichen Ländern auch im Bildungsbereich beobachten?

Esposito: Das wäre verheerend. Doch zumindest gibt es im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten heute an vielen Schulen und Universitäten Kurse über Weltreligionen, den Islam, die islamische Geschichte, Politik und Gesellschaft usw.. Allerdings gibt es auch Tendenzen, dass einige Schulen und Eltern verstärkt danach streben, Lehre und Curriculum zu kontrollieren, um in ihrem Sinne Einfluss auf Vermittlung von Lehrinhalten zu nehmen. So haben beispielsweise in einigen Gegenden der Vereinigten Staaten Eltern Einwände gegen den Islamunterricht und stellen die Religion als gefährlich und negativ dar. Die gute Nachricht ist, dass in den USA, in Australien und in Europa eine wachsende Anzahl junger Menschen Schulen und Universitäten besucht, die multi-ethnisch und multi-religiös geprägt sind. Studien belegen, dass die jüngere Generation weniger voreingenommen als die ältere Generation ist, welche unter anderen Umständen und zeitlichen Bedingungen groß geworden ist.

Das Interview führte Habib El Mallouki.

© Qantara.de 2016

John Louis Esposito ist Professor für internationale Angelegenheiten und Islamische Studien an der Georgetown University in Washington, D.C. Er ist Herausgeber der "Oxford Encyclopedia of the Islamic World" und verfasste 2007 zusammen mit Dalia Mogahed das Buch "Who Speaks for Islam? What a Billion Muslims Really Think".