Wenn Schreiben zur Straftat wird

Das ägyptische Militärregime unterdrückt Autoren, denen die "Verletzung öffentlicher Moral" vorgeworfen wird. Einer der prominentesten Prozesse der letzten Jahre richtete sich gegen den ägyptischen Schriftsteller und Journalisten Ahmed Naji. Moritz B. und Luisa M. haben sich mit ihm unterhalten.

Von Moritz B. und Luisa M.

Warum hat Ihr Gerichtsverfahren für so viel Medienberichterstattung gesorgt?

Ahmed Naji: In dem Prozess geht es um jemanden, der ein Buch schreibt und ins Gefängnis kommt, weil das Gericht befindet, das Buch zerstöre die öffentliche Moral. Das ist ein Novum in der Geschichte der modernen ägyptischen Rechtsprechung. Was den Fall außerdem besonders gemacht hat, war, dass es um Sex ging. Für Zeitungen sind alle Nachrichten, in denen es um Sex geht, interessant.

Aber in anderen Büchern geht es doch auch um Sex.

Naji: Schon, und ich halte mich wirklich nicht für jemanden, der rote Linien übertreten will. Aber 2015 ordnete ein Staatsanwalt an, jeden laufenden Fall gegen Journalisten wieder aufzurollen. Die anderen Journalisten wurden überwiegend dafür angeklagt, den Präsidenten oder die Regierung beleidigt zu haben. Mein Fall war eine Gelegenheit für den Staatsanwalt, sich als Gott der öffentlichen Moral zu inszenieren.

Buchcover "Using Life" von Ahmed Naji
In seinem Roman "Istikhdamu al-Hayāt" ("Das Leben nutzen") schreibt Ahmed Naji über Sex und Drogen und bricht damit gesellschaftliche Tabus. Ein Gericht verurteilte Naji im Februar 2016 wegen "Verletzung öffentlicher Moral" zu zwei Jahren Haft. Nach großem medialen Protest im In- und Ausland kam er sechs Monate später wieder frei. Bis heute darf er das Land nicht verlassen. Sein Roman ist nun unter dem Titel "Using Life" in englischer Übersetzung erschienen.

Denken Sie, dass öffentliche Moral religiöse Moral ersetzt?

Naji: Da gibt es natürlich einen Zusammenhang. Al-Sisi redet ständig über öffentliche Moral, weil er nicht den Eindruck erwecken will, er bekämpfe den Islam. Er zeigt zum Beispiel immer seine Frau, die Hijab trägt, und redet über öffentliche Moral statt über Religion.

Ein Ausschuss hat geprüft, ob Ihr Buch fiktiv ist oder nicht. Wie ist er vorgegangen?

Naji: Der Staatsanwalt hat mein Buch wie einen Zeitungsartikel behandelt, weil ein Kapitel daraus im Literaturmagazin Akhbar al-Adab veröffentlicht wurde.

Eine Szene beschreibt, wie der Protagonist Drogen nimmt. Unter dem Text stand mein Name. Der Staatsanwalt drohte damit, mich entweder wegen Drogenmissbrauchs anzuklagen oder den Chefredakteur für die Veröffentlichung von Falschnachrichten.

Im offiziellen Untersuchungsbericht steht eine aberwitzige Frage, die der Staatsanwalt dem Chefredakteur gestellt hat: “Was wissen Sie über die Beziehung zwischen Ahmed Naji und der Löffeldame”? Die Löffeldame, Sayyida al-mal‘aqat, ist der Name einer der erfundenen Figuren im Buch.

Sie verwenden in "Using Life" eine Sprache, die für Romane nicht üblich ist. Haben Sie geahnt, dass Ihnen das Buch, und insbesondere die Sprache, Probleme bereiten würden?

Naji: Ich schreibe Nischenliteratur und ich weiß, dass meine Bücher kompliziert sind. Mein Anwalt hat sich in seiner Argumentation auf die Verfassung berufen, die den Freiheitsentzug aufgrund von Kunstwerken oder kreativen Texten untersagt. Der Richter entgegnete: "Literatur muss schön sein und die öffentliche Moral fördern. Ahmed Najis Texte sind keine Kunstwerke, weil er keine Metaphern benutzt".

Beispielsweise ist eine Sexszene, wenn der Schriftsteller Alaa al-Aswany sie beschreibt, immer gewaltig. Es könnte eine homosexuelle Sexszene sein. Aber sie ist unbedingt reich an Metaphern, die beschreiben, dass sie sich fühlt, als öffne sich eine Blume in ihr; wie er ihre Früchte berührt und den Honig zwischen ihren Beinen trinkt. Ich verwende solche Metaphern nicht. Aber ich könnte einen Abschnitt in sehr klassischem Arabisch beginnen und ihn in starkem Dialekt oder in modernem Stil fortführen.

Sind Sie der Meinung, dass der Richterspruch auf den Inhalt des Buches zurückzuführen ist? Oder handelt es sich eher um Repression und die Einschränkung der Freiheit der Literatur?

Naji: Wir haben uns beim ägyptischen Geheimdienst erkundigt, ob er hinter dem Fall steht. Die Antwort war "nein". Das heißt, dass der Fall von der Justiz ausging. Die ägyptische Journalistengewerkschaft hat gegen den Staatsanwalt beim "Majlis ad-Dawla" (ein Zusammenschluss von Verwaltungsgerichten, die Rechtsstreite behandeln, in denen staatliche Organe und Parteien beteiligt sind, Anm. der Autoren) Klage erhoben. Der Majlis hat eingeräumt, dass der Staatsanwalt Journalisten nicht verhaften lassen dürfe. Aber der Majlis hat nicht die Befugnis, dem Staatsanwalt Befehle zu erteilen. Letzterer ist in gewissem Maße unabhängig.

Das ist unser Problem mit dem ägyptischen Justizsystem. Es ist unabhängig, aber es hat zu viel Macht. Niemand kann es kontrollieren. Zuerst hat Al-Sisi Notstandsgesetze verhängt. Schlussendlich haben Adly Mansour und die Justiz ein System der präventiven Sicherheitsverwahrung entwickelt. Es ist eines der verheerenden Probleme, die wir nun in diesem Land haben. Ich habe im Gefängnis Insassen getroffen, die seit über 25 Monaten keine Anhörung beim Richter bekommen haben. Und die ägyptischen Gefängnisse sind randvoll mit diesen Insassen.

Viele Intellektuelle haben vor Gericht ein Plädoyer für Sie gehalten. Ist das richtig?

Naji: Es gab eine enorme Unterstützung vonseiten arabischer und internationaler Schriftsteller und Intellektuellen. Manche von ihnen sprachen mit Al-Sisi über meinen Fall. Al-Sisi hat ihnen daraufhin die Erlaubnis erteilt, an das Parlament zu appellieren. Es gelang ihnen, mehr als 100 Unterschriften von Parlamentsabgeordneten für einen Änderungsantrag zu sammeln, aber das Justizministerium hat die Initiative abgelehnt.

Sie sagen also, dass ihr Fall den Konflikt zwischen der Exekutive und der Justiz widerspiegelt?

Naji: Die Staatsgewalt selbst ist gespalten. Das Militär behält die Oberhand; es kann jeden dazu bewegen, nach seiner Pfeife zu tanzen. Schließlich haben sie die Waffen. Aber es gibt andere Instanzen, die seit jeher gegeneinander kämpfen und das aus dem Grund, dass alle Institutionen schlicht mehr Macht erlangen möchten.

Das Gespräch führten Moritz B. und Luisa M.

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