Nablus kocht wieder

Kunafe, Gewürze, Öle und Brot von bester Qualität – Nablus war seit jeher bekannt für seine ausgezeichnete Küche. Darauf und auf die Bedeutung von Essen in der Kultur eines Volkes, will die Initiative Bait Al-Karama mit der ersten Kochschule von Frauen im Westjordanland aufmerksam machen. Von Ulrike Schleicher

Von Ulrike Schleicher

Abdel Fatthah-Breik aus Nablus betreibt eine der ältesten Gewürzhandlungen in Nablus im Westjordanland. Schon seine Mutter sammelte Kräuter, Samen und Gewürze und wusste um deren Wirkung: "Satar ist gut für das Gedächtnis, Sesamöl heilt Wunden und wer zum Frühstück Ful isst – das Gericht aus Saubohnen, Zwiebeln und verschiedenen Gewürzen, kann den ganzen Tag arbeiten wie ein Pferd."

Erfahrungen, die meist von den Frauen in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben worden sind, von denen heute oft jedoch nur noch die Alten wissen. Sie können auch von der einst stolzen Stadt Nablus erzählen – mit ihrem traditionellen Handwerk und den besonderen kulinarischen Genüssen.

Die einzige Konstante im Chaos: das tägliche Essen

In der jüngeren Vergangenheit jedoch kannte die Welt Nablus nicht wegen seiner Kochkunst, sondern weil es als "Hauptstadt des Terrors" galt. Hier sollen während der Zweiten Intifada (von 2000 bis 2005) rund 60 Prozent aller Anschläge auf Israel geplant worden sein.

Als Folge dessen wurde die Stadt von den israelischen Streitkräften jahrelang hermetisch abgeriegelt – Wirtschaft und Handel brachen ein, Arbeitslosigkeit und Armut gingen einher mit seelischen Verletzungen und Traumata. "Die einzige Konstante in dem Chaos war das tägliche Essen", sagt Fatima Kadumy, die Vorsitzende des Frauenkomitees einer Stiftung in Nablus ist und Wirtschaftswissenschaften studiert hat.

In solchen Zeiten bekämen Dinge wie Nahrung eine große Bedeutung. Essen sei etwas zutiefst Menschliches und sehr Weibliches. Und: Es sei die Verbindung zu Kultur und Geschichte eines Volkes. Dieser Gedanke war einer der Auslöser für die Gründung der ersten Kochschule im Westjordanland: "Wir wollen zurück zu unseren Wurzeln." Der zweite Grund: "Die Menschen in der Welt sollen uns kennenlernen und sehen, dass Nablus für etwas anderes steht als die Intifada."

Frauen der Initiative "Bait Al-Karama" beim Kochen; Foto: Ulrike Schleicher
Das Haus "Bait Al-Kamara" ist sozialer Treffpunkt für Frauen. In der Küche finden Kochkurse statt, die von Touristen und Besuchern entweder tageweise oder für mehrere Tage gebucht werden können.

Existenz für Frauen

Bait Al-Kamara (Haus der Würde), wie die Initiative heißt, befindet sich in einem Hinterhof der Altstadt. Das Haus ist sozialer Treffpunkt für Frauen, veranstaltet Workshops zur Weiterbildung und bietet insgesamt 45 Arbeitsplätze im Schönheitssalon, im Laden sowie in der Kochschule mit Restaurant, die das Herz von Bait Al-Karama bildet.

In der Küche mit einem großen Tisch finden Kochkurse statt, die von Touristen und Besuchern entweder tageweise oder für mehrere Tage gebucht werden können. Angeleitet werden sie von jungen und alten Frauen aus Nablus.

Auf dem Speiseplan steht Hausmannskost – "jede der Frauen hat ihre Rezepte und besonderen Vorlieben mitgebracht", erklärt Fatima. Die Gäste könnten sich jedoch auch ein Gericht wünschen. Die Zutaten kaufen alle zusammen zuvor auf dem Markt. Auch Ausflüge zu Bauern stehen auf dem Programm.

Männer kochen draußen, Frauen drin

Aus den Tiefen der Bäckerei Muna in der Altstadt dringt ein warmer wohlriechender Duft auf die Straße. Auf kleinstem Raum backen vier Brüder jeden Tag von morgens bis abends Fladenbrot in einem tiefen Holzofen in der Wand – entweder mit grobem Salz bestreut, mit Eiern belegt, mit Satar gewürzt oder nur das reine Brot. Wer hier einkauft, bekommt nur frische Ware.

"Extrawünsche werden auch erfüllt”, sagt Hisham, einer der Bäcker freundlich. An einer anderen Ecke in der Nasserstraße siedet Mohammed Teigtaschen in Öl mit Äpfeln gefüllt. Man kann ihm zuschauen, wie geschickt er den Teig faltet. Und unweit davon befindet sich Al Aqsa, die bekannteste Kunafe-Bäckerei in Nablus: Wie am Fließband trägt ein Mann die runden Bleche mit der Süßigkeit aus Ziegenkäse unter einer safranroten Grießkruste und warmem Zuckersirup aus dem Ofen zum Verkaufsstand, wo sie meist innerhalb weniger Minuten geleert werden.

"Kunafe, Pita und Falafel sind Gerichte, die von Männern und auf der Straße gekocht werden", erklärt Beesan von Bait Al-Karama. "Frauen kochen drin." Sie, Fatima und Neama begleiten Catherine und Terry aus den USA sowie Ingrid aus Schweden durch den Souk und kaufen gemeinsam mit ihnen ein. Die drei sind Teil einer Gruppe, die heute an einem Kochkurs teilnimmt. Auf dem Speiseplan steht Lifit.

Lifit-Topf; Foto: Ulrike Schleicher
Aus Wurzelgemüse, Reis und Sesamsoße (Tahina) wird das Gericht "Lifit" gemacht. Dabei achten die Frauen von Bait Al-Karama besonders auf frische und regionale Zutaten.

Nur Zutaten aus der Region

Sie brauchen dazu weißes, rundes Wurzelgemüse, Reis, Sesamsoße (Tahina) und Zutaten für einen Salat: Avocado, Petersilie, Karotten, Gurken, Paprika, Tomaten – "Wir kaufen das, was angeboten wird", erzählt Fatima.

Neben der Bewahrung der traditionellen Küche verwenden die Frauen von Bait Al-Karama nur frische, regionale Zutaten. Das brachte die in Nablus lebende italienische Künstlerin und Mitgründerin von Bait Al-Karama, Beatrice Catanzaro, auf die Idee, die Kochschule auch mithilfe von Slow Food zu promoten.

"Eine Abordnung aus Italien hat uns besucht, sich alles angeschaut und war überzeugt", erzählt Fatima. Diese Verbindung sowie ein ansprechender Internetauftritt zog schließlich auch eine Einladung eines italienischen EU-Abgeordneten aus Brüssel nach sich, wo die Nablusi-Frauen kochten und ihr Projekt vorstellten.

Seit 2012 haben 500 Leute an ihren Kursen teilgenommen, sagt die 36-Jährige. Trotzdem stünden sie noch am Anfang ihrer Arbeit – vor allem, was die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit betrifft. "Wir wissen noch viel zu wenig über die Herkunft unserer Gerichte."

Bislang haben sie rund 50 alte Frauen in Nablus befragt: "Wie kocht Ihr das Reisgericht Makloubeh, wie den Petersiliensalat Tabouleh, wie Az-Zarb, das Lammgericht, das in einem Erdofen zubereitet wird?" Nach anfänglichem Erstaunen seitens der Frauen seien schnell leidenschaftliche Debatten entstanden: Ob es etwa besser ist, Linsen über Nacht einzuweichen, ob Tahina mit Joghurt verdünnt werden sollte, oder ob das den Geschmack mindert.

Erinnerung an die Vergangenheit

Die Verwendung von Zutaten, die Zubereitung von Speisen, deren Komposition und Präsentation erzähle viel über die Geschichte der Palästinenser, sagt Fatima. Wie eng ist die Verbindung zum Libanon, zu Ägypten, zur Türkei und Jordanien? Welches Gericht kam woher und wie hat es sich in der Region um Nablus im Laufe der Jahre verändert?

Ein schöner Nebeneffekt, der sich durch die Arbeit der Frauen mit den Besuchern von überall her eingestellt hat: Inzwischen beteiligen sich immer mehr aus der Kommune daran und tragen ihr Wissen und ihre eigenen Erinnerungen dazu bei. So wie der Gewürzhändler Abdel Fatthah-Breik.

Fenchelsamen etwa erinnern ihn an seine Großmutter, und wie sie bepackt mit den grün-gelben Pflanzen abends aus dem Olivenhain zurückkam. Bis heute wachsen sie im ganzen Westjordanland wild zwischen den knorrigen Baumstämmen, aber auch auf Schutthalden und Straßenrändern.

Gesammelt werden sie jedoch nur noch selten. "Wenn man krank war, zerstieß sie die Samen im Mörser und bereitete einen Tee daraus", sagt er und lächelt. Dann habe er sich stets getröstet gefühlt.

Ulrike Schleicher

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de