Romantik und Kalaschnikow

Mit neun Jahren heiraten ist erlaubt, arbeiten aber nicht, und Schminken ist Teufelszeug: Seit kurzem gibt ein Papier Aufschluss über das Frauenbild des IS. Ein Gastbeitrag von Professorin Susanne Schröter aus Frankfurt

Von Susanne Schröter

Etwa zehn Prozent aller Ausländer, die sich dem "Islamischen Staat" anschließen, sind junge Frauen oder minderjährige Mädchen. Übertragen auf Deutschland wären das mindestens 60 Dschihadistinnen. Was genau erwartet sie dort? Seit Mitte Januar verspricht ein in arabischer Sprache geschriebenes Manifest, Aufschluss darüber zu geben: Es trägt den Titel "Frauen des Islamischen Staates". Die Autorinnen sind Mitglieder der Khansa'a-Brigaden.

Diese weibliche Sittenpolizei nimmt zum Beispiel Frauen auf der Straße fest, wenn der Gesichtsschleier nicht richtig sitzt. Auch wenn der Stoff der schwarzen Ganzkörperverhüllung zu dünn erscheint, schreiten die Khansa'a-Brigaden ein.

Die Genderideologie des Manifestes deckt sich weitgehend mit anderen Verlautbarungen aus dem salafistischen Lager - etwa einem in Saudi-Arabien produzierten Büchlein, das unter dem Titel "Frauen unter dem Schutz des Islam" ins Deutsche übertragen wurde - und 2010 wegen des Aufrufs zur Gewalt verboten.

Die Kernaussage all dieser Texte ist die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern und die daraus folgenden Richtlinien für Staat und Gesellschaft. Bei "Frauen unter dem Schutz des Islam" liest sich das folgendermaßen: "Die göttliche Weisheit gab den Frauen im Allgemeinen sehr sensible Emotionen, sanfte Gefühle, Fürsorge und Liebe. Dies befähigt die Frau zu ihrer natürlichen Aufgabe, Kinder zu bekommen, zu stillen, für alle Bedürfnisse des kleinen Kindes zu sorgen ..."

Die Manifeste zum Frauenbild beziehen sich stark auf den Koran; Foto: dpa/picture-alliance
Die Manifeste zum Frauenbild beziehen sich stark auf den Koran

Viel Gefühl, wenig Verstand

Dieser Reichtum an Gefühlen hat nach salafistischer Denkart seine Schattenseiten: Er soll nämlich die Frauen daran hindern, klar zu denken und vernünftige Entscheidungen zu fällen. Aus diesem Grund, so die Autoren beider Bücher, habe Gott dem Mann die Dominanz über die Frauen gegeben. Beide Texte zitieren Vers 4:34 des Korans: "Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat." Das saudische Werk gibt allerdings den gesamten Vers wieder, in dem auch steht: "Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie".

Auffällig ist, dass der von Frauen verfasste Text nicht nur die Gewaltlegitimation verschweigt, sondern auch die Einschränkung weiblicher Rechte vor Gericht, bei der Erbteilung, beim Sorgerecht für Kinder oder hinsichtlich der Mehrehe. Der längere saudische Text hingegen ist um Vollständigkeit bemüht. Begründet wird das System männlicher Dominanz einmal mit einem Verweis auf die vermeintliche "Natur" der beiden Geschlechter und zum anderen mit theologischen Referenzen, in erster Linie dem Koran und der Sunna.

Beide Texte schreiben gegen die "westliche" Emanzipation an: Die würde Männer "entmännlichen" und Frauen im Gegenzug mit "männlichen" Aufgaben belasten, die sie nicht bewältigen könnten. Der saudische Text bezieht sich da eher auf vermeintliche geistige Defizite. Der syrische Text sieht eine schwache physische Konstitution des weiblichen Geschlechts. Er verweist besonders auf Menstruation und Schwangerschaft. In einigen Punkten geht das syrische Manifest über den saudischen Text hinaus und behauptet, Frauen seien von Natur aus immobil: Sie hielten sich im Gegensatz zu den mobilen Männern lieber im Haus auf. Deshalb habe Gott den Frauen im Koran auch gesagt: "Und bleibt in eurem Haus."

Kapitalverbrechen Zahnbehandlung

Aus dieser Logik heraus verbietet sich weibliche Berufstätigkeit nahezu von selbst. Und in der Tat ist es Frauen nach Auffassung der Autorinnen nur im Ausnahmefall erlaubt, für einige Stunden einer Tätigkeit außerhalb des Hauses nachzugehen - entweder als Lehrerin oder als Ärztin. Dabei müssten die Vorschriften der Scharia beherzigt werden. Wer diese nicht befolgt, dem kann es ergehen wie der jungen Zahnmedizinerin Rou'aa Diab: Ihr wurde vorgeworfen, Männer behandelt zu haben. Aufgrund der rigiden Geschlechtertrennung im IS stellt das ein Kapitalverbrechen dar. Im letzten August wurde Diab verhaftet und hingerichtet.

"Frauen im islamischen Staat" ist ein normativer Text. Aufschluss über den realen Alltag von Frauen gibt er kaum. Der erschließt sich allerdings aus zahllosen Blogs, Bildern, Nachrichten und Gesprächen, die junge Frauen auf Facebook, Twitter und Tumblr posten. "Wir bleiben zu Hause, kochen, schauen auf die Kinder und sorgen für das Wohl unserer Ehemänner.

Wenn dein Mann Zeit und Lust hat, kann er dich zum Markt begleiten oder ins Internetcafé. Wenn er es dir erlaubt, darfst du mit den Schwestern einkaufen gehen", schreibt eine. Andere teilen mit, dass sie Pfannkuchen gebacken haben. Oder sie geben Tipps, wie die Wäsche ihrer Ehemänner mit Kernseife gereinigt werden kann. Sonderlich heroisch klingt das nicht, selbst wenn man das biedere Schicksal als Hausfrau irgendwie in den Dienst einer höheren Sache stellt.

Frau hält Kalaschnikow; Foto: Ahmad Al-Ruby/AFP/Getty Images
Mit der Kalaschnikow in den Dschihad: "Wenn der Glanz des IS erlischt, dann sind die Frauen des IS nur noch Gefangene eines barbarischen Systems", schreibt Schröter.

Hoffnung auf Liebe und romantische Gefühle

Viele Wissenschaftler sind deshalb der Ansicht, dass es eigentlich die Hoffnung auf Liebe ist oder ein romantisches Begehren, das die jungen Frauen nach Syrien zieht. Dafür sprechen die vielen geposteten Bilder gut aussehender Männer, die sich lächelnd zu ihren vollständig verhüllten Frauen beugen. "Im Land des Dschihad", lautet der Text eines dieser Bilder, "habe ich dich gefunden, mein liebster Mudschahid". Kitschige Liebesgeschichten untermalen diese Bilder. Sie suggerieren, dass den Dschihadistinnen in Syrien genau die Ehemänner zugewiesen würden, die Gott schon bei Erschaffung der Welt für sie ausgesucht habe.

Viele Frauen des IS sind aber mehr als "bedroom radicals", wie manch einer sie zynisch nennt. Das bezeugen die langen politischen und religiösen Texte, die von den Frauen ins Netz gestellt werden. Viele der Einträge zeugen von intensiven Auseinandersetzungen mit islamischen Quellen. Das verwundert nicht: Der Bildungsgrad unter den ausländischen Frauen des IS ist sehr hoch. Auch im Hinblick auf Radikalität und Grausamkeit stehen sie den Männern keineswegs nach. Da werden Hinrichtungen von Geiseln gefeiert, Kreuzigungen gutgeheißen; es wird zu Anschlägen in westlichen Ländern aufgerufen.

Mit Grausamkeit ins Paradies

Besonders weit ging eine frühere britische Medizinstudentin, die sich mittlerweile Mudschahidah Bint Usama nennt: Die postete ein Bild von sich in Krankenschwesteruniform mit einem abgeschnittenen Kopf in der linken Hand. Die Frauen des IS mögen teilweise durch romantische Vorstellungen von einer einzigartigen Liebe angeworben werden. Innere Distanz zu den Zielen und Praktiken der Dschihadisten bedeutet das aber nicht. Wie die männlichen Gotteskrieger sehen sie sich als Teil einer grandiosen Geschichte, von der sie erwarten, dass sie die Welt vollständig verändert.

Was jedoch passiert, wenn sich irgendwann Enttäuschung einstellen sollte, wenn der Glaube an die Ziele des IS schwindet, wenn man die Hausfrauenrolle satt hat, wenn sich der Gatte nicht als Traummann entpuppt, sondern als brutaler Milizionär? Wir wissen es nicht. Einmal in Syrien angekommen, stehen die Frauen unter islamischem Recht. Sie haben ihre Entscheidungsfreiheit verloren. Ohne männliche Erlaubnis und Begleitung dürfen sie das Haus nicht verlassen und können noch nicht einmal im Internet Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen.

Wenn der Glanz des IS erlischt, dann sind die Frauen des IS nur noch Gefangene eines barbarischen Systems.

© Deutsche Welle 2015

Prof. Dr. Susanne Schröter ist Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums globaler Islam (FFGI), Direktorin des Instituts für Ethnologie, Principal Investigator im Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Direktorin im Cornelia Goethe Centrum für Geschlechterforschung und Vorstandsmitglied des Deutschen Orient-Instituts.