Versöhner zwischen den Fronten

Vor acht Monaten wurde der italienische Jesuit Paolo dall Oglio in der nordsyrischen Stadt Raqqa entführt. Seitdem fehlt jedes Lebenszeichen von ihm. Der in Syrien populäre Geistliche ist ein konsequenter Verfechter des Dialogs zwischen Christen und Muslimen. Er gehört zu den wenigen Kirchenleuten, die seit Beginn des Aufstands gegen Assad auf der Seite der Opposition stehen. Von Claudia Mende

Von Claudia Mende

Vermutlich befindet sich Dall Oglio in der Gewalt der extremistischen Gruppierung „Islamischer Staat im Irak und in der Levante“ (ISIS), doch sind keinerlei Forderungen der Entführer bekannt geworden. Berichte, ISIS hätte den italienischen Priester kurz nach der Entführung exekutiert, wurden vom Außenministerium in Rom dementiert.

Nach Angaben von Aktivisten in Raqqa war Dall Oglio in die Stadt gekommen, um im Auftrag befreundeter Familien mit ISIS über die Freilassung von Inhaftierten zu verhandeln. Im Hauptquartier der Organisation wollte er ihren Anführer Abu Bakr al-Baghdadi treffen. Der Pater wusste wohl, wie gefährlich diese Mission ist.

Paolo dall Oglio ist eine bekannte Persönlichkeit in Syrien. Bis zu seiner Ausweisung durch das Assad-Regime im Juni 2012 leitete der charismatische Italiener 30 Jahre lang das Wüstenkloster Mar Musa, rund 80 Kilometer nördlich von Damaskus. 1954 wurde er in Rom geboren, nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden studierte er Arabisch in Beirut und Damaskus. 1982 entdeckte er in den Bergen des Anti-Libanon die alte Klosterruine Mar Musa aus dem 6. Jahrhundert.

Anziehungspunkt für Gläubige aller Konfessionen

1991 gründete er dort eine eigene Ordensgemeinschaft nach syrisch-katholischem Ritus. Gerne erzählte er die Geschichte von seiner ersten Nacht in der abgelegenen Ruine, als er im Schlafsack unter dem Sternenhimmel schlief, sich von mitgebrachten Ölsardinen ernährte und der spirituellen Kraft des Ortes verfiel. Dall Oglio sorgte dafür, dass das Kloster mit seinen byzantinischen Fresken restauriert wurde. Aus Mar Musa wurde über die Jahre ein viel besuchter Ort der Begegnung für Suchende und Gläubige aller Konfessionen und Religionen.

Das syrische Kloster Mar Musa; Foto: Arian Fariborz
Oase der Spiritualität und des Dialogs: Das Kloster Mar Musa ist seit Jahren ein viel besuchter Ort der Begegnung für Suchende und Gläubige aller Konfessionen und Religionen.

Die Haltung des Jesuiten geht allerdings über eine Orientierung am christlich-islamischen Dialog hinaus. Dall Oglio hat sich als Christen gesehen, der in seinem Herzen auch ein Muslim sei und damit die Grenzen eines traditionellen Bekenntnisses überschritten.

Die Liebe zum Islam und zur arabischen Zivilisation ist für ihn ein wesentlicher Be­standteil seiner Mission. Seit vielen Jahren fastet er im Ramadan mit den Muslimen. Kaum ein Christ kennt den Koran so gut wie er. Damit hat sich der Jesuit viel Respekt in Syrien erworben.

"Mein Ausgangspunkt ist die Botschaft des Evangeliums und nicht die Zugehörigkeit zu einer religiösen Familie. Deshalb ist für mich die spirituelle Mission wichtiger als das Einfordern von Rechten für eine Institution", sagte er in einem Gespräch Ende 2012. "Vielleicht liegt es daran, dass ich in Syrien ein Ausländer bin, obwohl ich mich selbst zutiefst als Syrer betrachte."

In den syrischen Kirchen konnten viele bereits zu friedlichen Zeiten nur wenig mit seiner Haltung anfangen. Seit dem Beginn der Proteste gegen Assad im März 2011 vertrat Dall Oglio eine andere Position als die traditionell regimefreundlichen Vertreter der elf verschiedenen christlichen Konfessionen im Land. Für ihn gehören Christen auf die Seite der Opposition gegen eine brutale Diktatur, da ist er kompromisslos. Einigen Bischöfen warf er vor, sich von Assad als Propaganda-Instrument benutzen zu lassen.

Als der junge christliche Filmemacher und Anti-Assad-Aktivist Basel Shahade in Homs von Scharfschützen des Regimes erschossen wurde, weigerte sich der zuständige Bischof, den Ermordeten zu beerdigen. Dall Oglio lud daraufhin die Freunde des Filmemachers – Christen und Muslime – zu einer Trauerfeier ins Kloster Mar Musa ein.

Mit solchen Aktionen hat er sich klar positioniert. Der Jesuit wurde zu einem Wortführer der friedlichen Opposition gegen das Regime. Wiederholt vermittelte er zwischen verfeindeten Gruppen und bei Entführungen. In Homs erreichte er die Freilassung einiger entführter Christen.

Eine Stimme jenseits des kirchlichen Mainstreams

Für viele ist der fließend arabisch sprechende Geistliche ein überzeugendes Idol, während seine konservativen Kritiker ihn seit langem für übertrieben islamfreundlich halten. "Ich bin eine Stimme etwas abseits des kirchlichen Mainstreams", so ordnet sich der Jesuit selbst ein.

Zerstörtes Assad-Plakat in der nordsyrischen Stadt Aleppo; Foto: AP
Farbe bekennen im blutigen Konflikt mit dem Assad-Regime: Für Dall Oglio gehören Christen auf die Seite der Opposition gegen eine brutale Diktatur. Einigen Bischöfen warf der Pater vor, sich von Assad als Propaganda-Instrument benutzen zu lassen.

Im Juni 2012 wurde er ausgewiesen, nachdem er in einem offenen Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan die Gewalt des Regimes gegen das eigene Volk kritisiert hatte. Für das Regime ein wohlfeiler Anlass, um ihn endlich los zu werden. Für Dall Oglio selber eine persönliche Tragödie, weil er sich stark mit Syrien verbunden fühlt.

"Ich wusste, dass ich damit meine Ausweisung riskiere, aber angesichts der syrischen Tragödie konnte ich einfach nicht mehr schweigen." Im Kloster Mar Musa harren Mitglieder der Ordensgemeinschaft aber weiter aus.

Nach der Ausweisung wirkte er angesichts der ausweglosen Lage in seiner Wahlheimat erschöpft und deprimiert. Trotzdem war Dall Oglio weiter rastlos unterwegs, um für eine Aussöhnung der verschiedenen Konfliktparteien zu werben. 2013 besuchte er mehrfach die von verschiedenen Rebellengruppen kontrollierten Gebiete im Norden des Landes.

Keine Wahl zwischen Pest und Cholera

Dall Oglio wehrte sich heftig gegen die im Westen weit verbreitete Einschätzung, man habe es in Syrien mit einer Wahl zwischen Pest und Cholera zu tun: Wenn Assad stürzt, würde das Land ohnehin rivalisierenden Dschihadisten und al-Qaida-Fraktionen in die Hände fallen. Diese Einstellung hat er als zutiefst zynisch verurteilt. Trotzdem sah er sehr wohl, dass der Konflikt zunehmend entlang konfessioneller Linien verläuft, was ihm große Sorgen bereitete.

Vor allem der Einfluss von Extremisten innerhalb der Opposition beunruhigte ihn. "Ja, es gibt diesen religiösen Extremismus in der arabischen Welt und die Ressourcen, um ihn zu unterstützen, sind nahezu grenzenlos", meinte er. Trotzdem war es ihm wichtig, auch in Dschihadisten zuallererst den Menschen zu sehen. "Mancher mag das naiv nennen", gab er zu, aber er machte sich bereits Gedanken über die Zeit des Wiederaufbaus.

Was mit all den jungen, vom Krieg gezeichneten und traumatisierten Männern geschehen soll, die sich einer radikalen Gruppierung angeschlossen haben, beschäftigte ihn sehr. Sie in der Gesellschaft zu reintegrieren, sei eine der zentralen Aufgabe im neuen Syrien.

Doch derzeit ist das Schicksal von Dall Oglio völlig ungewiss. Es ist weder bekannt, wo er festgehalten wird, noch gibt es verlässliche Informationen, dass er überhaupt noch lebt. Sicher ist nur, dass seine Stimme in Syrien fehlt.

Claudia Mende

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de