Asma Lamrabet unter Druck

In Marokko haben Konservative die islamische Feministin Asma Lamrabet aus ihrem Amt am Zentrum für islamische Frauenstudien in Rabat gedrängt. Anlass war eine Debatte über die Benachteiligung von Frauen durch das islamische Erbrecht. Hintergründe von Claudia Mende.

Von Claudia Mende

Asma Lamrabet ist erst einmal abgetaucht. Sie gibt keine Interviews und antwortet nicht auf E-Mails. Ihre Teilnahme an einer Diskussion zum Thema "Frau und Religion" im spanischen Kulturinstitut von Rabat Ende März sagte sie ab. Sie brauche erst einmal eine Pause.

Konservative Kreise haben die Feministin gezwungen, ihren Posten als Direktorin des "Centre d’Etudes Féminines en Islam" (Zentrum für islamische Frauenstudien) an der "Rabita al Mohamadya des Oulémas", einer Art Think Tank für einen modernen Islam unter der Schirmherrschaft des Königs, aufzugeben.

In Marokko schlug ihr Rücktritt hohe Wellen. Nationale Medien machten aus Lamrabet ein Opfer von Salafisten und Konservativen. "Asma Lamrabet: Auf dem Altar des Patriarchats geopfert", titelte etwa die Zeitschrift TelQuel. "Wehr Dich!" Die prominente Feministin gab in einer schriftlichen Erklärung einige Hinweise zu ihrem Rücktritt und zog es dann vor zu schweigen.

Die Medizinerin und Autorin gehört zu den führenden Vordenkern eines liberalen, reformorientierten Islam in Marokko. In bisher sieben Büchern hat sie beschrieben, wie sich die koranischen Texte von patriarchalen Interpretationen befreien lassen. Nach ihrer Auffassung gibt es keinen Vers im Koran, der eine männliche Überlegenheit über Frauen rechtfertigen würde.

Für eine progressive und entpolitisierte Lesart des Koran

"Ich bin immer für eine progressive, reformistische und entpolitisierte Lesart des Koran eingetreten, um einen neuen Zugang für Frauen zu finden", schreibt sie in ihrem Statement. In ihren Büchern und durch die Arbeit am "Centre d’ètudes Féminines" habe sie "eine Dekonstruktion von patriarchalen und rigoristischen Lesarten" betrieben.

Zu ihrem Rücktritt schreibt sie: "Ich wurde angesichts unterschiedlicher Positionen (am Zentrum) über die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Islam gezwungen, meinen Rücktritt anzubieten".

Titelseite der marokkanischen Zeitschrift "TelQuel" mit dem Aufmacher über Asma Lamrabet
Im medialen Fokus: In Marokko schlug Asma Lamrabets Rücktritt hohe Wellen. Nationale Medien machten aus Lamrabet ein Opfer von Salafisten und Konservativen. "Asma Lamrabet: Auf dem Altar des Patriarchats geopfert", titelte etwa die Zeitschrift "TelQuel".

Das ist sehr allgemein formuliert. Konkreter Auslöser der Kampagne gegen Lamrabet war ihre Forderung, die Benachteiligung von Frauen durch das bestehende islamische Erbrecht zu beenden. Auf einer Konferenz der Forschungseinrichtung hatte sie ihre Forderung vorgetragen und begründet, wie marokkanische Medien berichteten. Sie ist nicht die einzige Frau in dem maghrebinischen Land, die ein egalitäres Erbrecht verlangt, aber ihr prominenter Name hat dem Thema inzwischen einen medialen Schub verpasst.

Rechtliche Benachteiligung der Frau

Im marokkanischen Familienrecht (code marocain de la famille) ist festgeschrieben, dass das Erbe nach dem Prinzip des sogenannten "Ta'sib" geregelt wird: Demnach haben Frauen im Erbschaftsfall nur Anrecht auf die Hälfte dessen, was einem Mann zusteht. Wenn eine Frau zum Beispiel beim Tod des Vaters keine Brüder hat, muss sie ihr Erbe mit weit entfernten männlichen Verwandten teilen. Diese Regelung kann zu großen Härten führen, wenn entfernte Onkels oder Cousins auf ihrem Recht beharren und Frauen ihre wirtschaftliche Basis entziehen.

Liberale Familien versuchen das Gesetz zu umgehen, etwa durch Schenkungen an die Töchter zu Lebzeiten. "Mehr und mehr Eltern von Mädchen wollen ihren Töchtern schon zu Lebzeiten ihr Vermögen überschreiben", berichtet die Psychologin Siham Benchekroun aus Casablanca. "Das zeigt doch, dass wir hier ein Problem haben." Benchekroun gehört zusammen mit Lamrabet zu den führenden Aktivistinnen im Kampf gegen die Benachteiligung von Frauen im Erbrecht.

Seit ein paar Jahren werden ihre Forderungen lauter. Ein wichtiger Meilenstein für die Debatte war die Empfehlung des „Conseil national des droits de l’homme“ (Nationaler Rat für Menschenrechte) vom Oktober 2015. Der Rat empfahl in einem Bericht ausdrücklich Geschlechtergleichheit im Erbrecht und fachte damit eine Diskussion an, die Konservative unbedingt vermeiden wollten. Folgen hatte diese Empfehlung aber zunächst keine, denn die politischen Parteien wollten das Thema nicht aufgreifen.

Petition für Abschaffung des islamischen Erbrechts

Im April 2017 hat Benchekroun den Sammelband "L'héritage des femmes" (Das Erbe der Frauen) mit Beiträgen von Autoren aus verschiedenen Fachrichtungen auf Französisch und Arabisch herausgegeben. Die Psychologin ist auch Initiatorin einer Petition vom März 2018, die eine Abschaffung des islamischen Erbrechts fordert.

Zu den Unterzeichnern gehören rund hundert marokkanische Intellektuelle darunter u.a. die Schriftsteller Leila Slimani und Driss Ksikes. Das islamische Erbrecht "entspricht nicht mehr der Situation marokkanischer Familien und dem aktuellen sozialen Kontext", heißt es in der Petition. "Es benachteiligt vor allem die ärmsten Frauen und drängt viele Eltern dazu, ihr Vermögen schon zu Lebzeiten den Töchtern zu vermachen. Außerdem ist diese Regelung ein reines Ergebnis des sogenannten 'fiqh' (islamische Rechtslehre) und keine göttliche Weisung."

Allerdings ist das islamische Erbrecht auch ein symbolisch aufgeladenes Thema in der marokkanischen Gesellschaft, das an tiefsitzende kulturelle Prägungen rührt und bei dem es nicht zuletzt auch um materielle Verteilungskämpfe geht. In Umfragen ist eine große Mehrheit der Marokkaner beiderlei Geschlechts gegen eine Änderung. Viele Menschen halten die Bestimmung für göttlich legitimiert.

Dagegen schreibt Lamrabet seit Jahren an. Warum dann gerade jetzt die heftigen Reaktionen? Die Autorin selbst will sich derzeit nicht mehr zu den Ereignissen äußern. Für sie antwortet aber Siham Benchekroun auf Anfrage von Qantara.de.

Benchekroun lehnt das Narrativ von Lamrabet als einem Opfer der Salafisten ab. Ihr Rücktritt sei das Ergebnis gewöhnlicher Konflikte innerhalb einer Institution, betont die Psychologin. Lokale und internationale Medien hätten die Angelegenheit aufgebauscht. "Dadurch hat der Rücktritt von Lamrabet eine völlig überzogene Bedeutung bekommen und lenkt vom eigentlichen Thema ab."

Reform des islamischen Erbrechts in Tunesien

Tunesiens Präsident Beji Caid Essebsi; Foto: picture-alliance/abaca
Für eine Reform des islamischen Erbrechts: Vor den Kommunalwahlen in Tunesien präsentiert sich Tunesiens 90-jähriger Präsident Essebsi als Vorreiter der Region und präsentierte einige weitreichende Initiativen der Frauenrechte: Die Heirat mit Nicht-Muslimen, ein neues Erbrecht, das Frauen den gleichen Anteil wie männlichen Erben zusichern sollte und ein Gesetz, das Gewalt und sexuelle Belästigung gegen Frauen unter schärfere Strafen stellen sollte.

Das eigentliche Thema kommt auch durch die Vorgänge im Nachbarland Tunesien wieder auf den Tisch, die in Marokko genau verfolgt werden. Denn in Tunesien steht eine Reform des islamischen Erbrechts offenbar unmittelbar bevor. Präsident Essebsi hatte  im August 2017 angekündigt, das Erbrecht an die neue Verfassung von 2014 anzupassen, in der ausdrücklich Frauen und Männer gleichberechtigt sind.

Diese Gleichberechtigung müsse auch im Erbrecht durchgesetzt werden, das im liberalen Tunesien bis jetzt islamischen Prinzipien folgt. Dazu setzte Essebsi eine parlamentarische Kommission ein, die ursprünglich im letzten Februar einen Entwurf für ein neues Gesetz vorlegen wollte.

Die Reaktionen auf Essebsis Vorstoß waren unterschiedlich. Während die Gelehrten der Al-Azhar in Kairo schnell die Initiative als einen Akt "gegen die Lehren des Islam" bezeichneten, stimmten der Oberste Mufti Tunesiens und die gemäßigten Islamisten der Ennahda-Partei dem Vorstoß zu und verbaten sich die Einmischung aus Kairo.

Bis jetzt wurde der Gesetzesentwurf jedoch noch nicht vorgelegt. Die Kommission hat die Veröffentlichung auf einen Zeitpunkt nach den tunesischen Kommunalwahlen im Mai verschoben, um das Thema aus dem Wahlkampf heraus zu halten.

Tunesien ringt also noch mit der Abschaffung einer der letzten Bastionen juristischer Ungleichbehandlung von Frauen. In Marokko werden die Debatten weitergehen. Asma Lamrabet hat in ihrem Statement angekündigt, dass sie keinesfalls locker lassen will. "Eine Etappe ist zu Ende gegangen", schreibt sie auf ihrer Website, "aber ich werde mein Engagement gelassen und ungehindert fortsetzen."

Claudia Mende

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