Clash der Barbareien

Dass Assad es geschafft hat, Syrien niederzubrennen, ist auch das Ergebnis eines historischen Umstands: des sunnitisch-schiitischen Gegensatzes, der wiederum durch die US-Invasion im Irak befeuert wurde. Ein Essay des libanesischen Schriftstellers Elias Khoury.

Von Elias Khoury

Zu Beginn der syrischen Revolution, als nach dem Sturz von Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten noch Optimismus herrschte, glaubte man, dass auch der friedliche Volksaufstand gegen Assad in Syrien trotz aller Repression letztlich obsiegen würde. Der Damaszener Frühling, so dachten wir, stehe vor der Tür. Bald würde es auf dem Merdje oder dem Abbasiyin-Platz in Damaskus eine Massenfreiheitsparty geben, das Regime würde zusammenbrechen, und Räte von jungen Revolutionären würden die Grundlage für eine neue Politik der Freiheit entwerfen.

Doch nach langen, opferreichen Monaten mussten wir feststellen, dass das Regime den Staat beseitigt hatte. Die Zahl der Gefangenen wuchs ins Unermessliche, und auf den Demonstrationen tauchten immer mehr Waffen auf. Wir ahnten, dass der Sturz des Regimes eher einer Beerdigung denn einer Feier gleichkommen würde, und statt auf dem Merdje zusammenzuströmen würden wir zuerst nach Homs, die Hauptstadt der Revolution, gehen müssen, um unsere Tränen zu trocknen und uns vor der Erde zu verneigen, die das Blut so vieler Märtyrer aufgenommen hatte.

Grenzenlose kriminelle Energie

Aber kriminelle Fantasie kennt keine Grenzen. Statt dass das Regime oder Teile davon einen Ausgleich anstrebten, um Syrien vor der Zerstörung zu bewahren, setzte Assad Chemiewaffen und Fassbomben ein und erklärte damit, dass die einzige Aussicht die war, dass noch mehr Blut vergossen würde und dass das Regime aus einer Clique von Dieben, Mördern und Schlächtern bestand. Zugleich wurde Syrien dadurch für alle von sonst wo Dahergelaufenen zur Spielwiese.

Das Regime zerschlug die Koordinationsräte, die Fundamentalisten zerschlugen die Hoffnung auf eine neue, patriotische Armee, und die Oppositionsführer rieben sich auf, weil sie unfähig und feige waren und weil sie sich von schwarzem Gold und einer noch schwärzeren wahhabitischen Ideologie verführen ließen.

Fassbombenanschlag des syrischen Regimes auf ein Rebellenviertel in Aleppo. Foto: Z. Al-Rifai/ AFP/ Getty Images
Das Volk zum Bürgerkrieg getrieben: "Assad oder keiner, Assad oder wir brennen das Land nieder" drohten die Regime-Milizen zu Anfang des arabischen Frühlings.

Das tyrannische Regime wandte sich unterdessen an seine verbündeten Mullahs im Iran. Und so wurde aus einer Revolution für Freiheit ein brutaler Konfessionskrieg. Mittlerweile wankt das Regime, es hat alle Reserven verbraucht und alle Verbündeten verheizt. Es wird dann stürzen, wenn all dies zusammenkommt: Schmerz, Zerstörung und die Notwendigkeit eines Wunders, um Syrien aus den Händen jener regionaler und globaler Mächte zu entreißen, die sich wie Hunde auf das Land gestürzt haben.

"Assad oder wir brennen das Land nieder!"

Die Parolen, die die Milizen des Regimes zu Beginn des Aufstandes erfanden, waren keine leere Drohung: "Assad oder keiner, Assad oder wir brennen das Land nieder!" Sie drückten genau das aus, was die Tyrannei vorhatte. Und es waren Parolen, die an die letzten Stunden der Herrschaft Hitlers erinnerten, der ebenfalls der Meinung war, dass ein Scheitern seiner Nazi-Ideologie der vernichtenden Niederlage des deutschen Volkes gleichkommen müsse.

Hitler blieb kompromisslos bis in seinen Tod, und sein Selbstmord wurde zum Sinnbild des Untergangs Deutschlands und des deutschen Volkes, denn dieses Volk entsprach nicht den Wahnfantasien seines Dritten Reiches. Genau das hat Assad junior seit Beginn des Volksaufstandes gegen seine Tyrannei auch verkündet. Er trieb die Gewalt gegen einen unbewaffneten Protest auf die Spitze und trieb die syrische Gesellschaft an den Rand eines Bürgerkrieges.

Überleben im Schatten des sunnitisch-schiitischen Konflikts

Dass Assad es geschafft hat, Syrien niederzubrennen, ist aber nicht der Genialität seiner Geheimdienstmafia zu verdanken, die Syrien seit Jahrzehnten beherrscht, sondern war auch das Ergebnis eines historischen Umstands: des sunnitisch-schiitischen Gegensatzes, welcher wiederum durch die US-Invasion im Irak befeuert wurde. Diese erlaubte es den sunnitischen Golfmonarchien, in Syrien zu investieren und den Gegensatz zwischen Volk und Regime in einen Konflikt umzumünzen, in dem heute alle Kräfte der Region mitmischen. Und sie erlaubte es dem Regime andererseits, aufgrund der Unterstützung von Seiten seiner iranischen Verbündeten und seiner libanesischen und irakischen Milizen, zu bestehen.

 Junge auf Panzer im zerstörten syrischen  Ain al-Arab; Foto: Getty Images/AFP/Y. Akgul
Krieg bis in den Untergang: "Wir befinden uns heute erneut in einer Phase wie der des Untergangs des Osmanischen Reiches. Die nationalistische Militärtyrannei Assads ist am Ende, doch sie weigert sich abzutreten, ohne vorher alles zu vernichten und das Land, das sie regiert hat, Kräften zu übergeben, die ähnlich barbarisch und brutal sind wie sie selbst", schreibt Khoury.

Die Parole vom Kampf der Kulturen, die die amerikanischen Neokonservativen als Teil ihrer Rechtfertigungsstrategie für ihren barbarischen Krieg gegen den Irak ausgaben, erwies sich in Wirklichkeit schon bald als ein "Clash der Barbareien", wie der französisch-libanesische Politologe Gilbert Achcar es ausdrückte, bevor jener barbarische Krieg zu einem Merkmal des Niedergangs der Epoche tyrannischer, in nationalistische Propaganda gehüllter Militärdiktaturen wurde. Und Epochen enden für gewöhnlich in blutiger Brutalität. Erst recht wenn ihr Scharnier der Konflikt zweier in sich geschlossener Fundamentalismen ist, die Ausdruck einer wahnhaften Hinwendung zu ferner Vergangenheit sind – einer Vergangenheit, die über den Ruinen von Städten, Dörfern und über den Leichen Unschuldiger wiederersteht.

Das Ende des tyrannischen Militärstaats trägt alle Anzeichen der Ende einer Epoche: Gewalt, Zerstörung, Vertreibung und Wahnsinn, und sie erinnert an das Ende des Osmanischen Reiches. Historiker haben sich lange mit dem Scheitern des König-Faisal-Projekts in Syrien befasst, das sie als koloniale Verschwörung einordneten.

"Wir leben in einer Zeit, die über Leichen geht"

Dabei vergaßen sie jedoch absichtlich oder unabsichtlich die gewaltigen Tragödien, die unsere Länder während des Absterbens des Osmanischen Reiches erlebt haben, von Heuschrecken bis zu jener Hungersnot, die den Libanon ein Drittel seiner Bevölkerung kostete und ein weiteres Drittel in die Emigration trieb, sowie den Genozid an den Armeniern und den Assyrern. Unsere Welt war geprägt von Blut und Leichen, bevor die britischen und französischen "Befreier" kamen, um sie unter sich aufzuteilen, und noch bevor in ihrem Schatten die Palästinenser hingemetzelt wurden.

Wir befinden uns heute erneut in einer Phase wie der des Untergangs des Osmanischen Reiches. Die nationalistische Militärtyrannei Assads ist am Ende, doch sie weigert sich abzutreten, ohne vorher alles zu vernichten und das Land, das sie regiert hat, Kräften zu übergeben, die ähnlich barbarisch und brutal sind wie sie selbst und die in ihrer Ideologie wie sie auf eine "Wiedergeburt" (arabisch: Baath) der Vergangenheit sinnen, auch wenn diese Wiedererstehung rein religiös und sektiererisch verstanden wird.

Schriftsteller Elias Khoury. Foto: picture-alliance/dpa
Die Tyrannei wird zu Ende gehen, aber der Weg dorthin wird langsam und bestialisch voranschreiten, befürchtet Khoury.

Wir leben in einer Zeit, die über Leichen geht, die von religiösen Schnipseln lebt und deren Blutdurst unstillbar ist. Es ist das Szenario für das Ende des Assad-Regimes, und auf dieses arbeitet seine Mafia hin, seit der syrische Aufstand für die Freiheit ausgebrochen war.

Zugleich wirft dieser Untergang seine dunklen Schatten auf die gesamte Region. Der beste Beleg dafür war vielleicht die Rede des Hesbollah-Vorsitzenden Hassan Nasrallah vom Mai dieses Jahres. Traurig genug, dass er sie zum Jahrestag der Befreiung des Südlibanon im Jahr 2000 gehalten hat.

Welch ein Gegensatz zwischen damals und heute! Während damals ein Kampf gegen Invasoren geführt wurde, werden wir heute an die Schlacht von Siffin im siebten Jahrhundert erinnert. Von einem Widerstand gegen Besatzung und Vorherrschaft fallen wir zurück in einen Glaubenskrieg, und aus einem Fest der Befreiung wird ein Opferkult, bei dem die Freiheit auf dem Altar der Tyrannei hingegeben wird. Mit Sektiererei kann man keinen Staat machen, sondern nur Nationen zerstören.

Trotz allem geht eine Epoche zu Ende, und die Tyrannei wird fallen – wenn auch langsam und auf bestialische Weise, und erst dann, wenn von Syrien nichts mehr übrig sein wird. Aber auch der Kampf gegen die Tyrannei wird weitergehen - ganz gleich, wie die Tyrannen heißen, wie ihre Parolen lauten und welch konfessionellem Irrsinn sie folgen.

Elias Khoury

© Qantara.de 2015

Aus dem Arabischen von Günther Orth