Syriens Rebellen – moderat, islamistisch, dschihadistisch?

Für ihren Kampf gegen den Islamischen Staat wollen die USA syrische Rebellen aufrüsten. Kristin Helberg analysiert, wer sich als Verbündeter des Westens eignet.

Von Kristin Helberg

Der Plan klingt einfach. Die USA bombardieren den Islamischen Staat aus der Luft, lokale Rebellen bekämpfen ihn am Boden. Was im Nordirak bereits ansatzweise funktioniert – dort mit den kurdischen Peshmerga – will Obama nun auf Syrien übertragen. Doch mit wem soll der Westen zusammenarbeiten, wer sind die viel zitierten "moderaten Rebellen"?

Die Suche nach Partnern in Syrien ist aus drei Gründen schwierig. Erstens ist die bewaffnete Opposition im Land extrem fragmentiert und wechselnde Allianzen erschweren die Zuordnung einzelner Brigaden. Zweitens ist der Widerstand gegen das Assad-Regime nach drei Jahren verzweifeltem Überlebenskampf insgesamt islamisiert, auch weil er überwiegend von Saudi-Arabien, Qatar und der Türkei finanziert wurde. Und drittens sind genau diese drei Staaten die Hauptverbündeten der USA in der Region. Da sie aber unterschiedliche Vorstellungen von einem zukünftigen Syrien haben, herrscht Uneinigkeit darüber, welche Gruppen sie unterstützen sollen.

Zum ersten Problem: Laut CIA-Schätzungen gibt es 1.500 Milizen in Syrien, um sie grob zu ordnen, muss man sehr vereinfachen. Die meisten Brigaden bestehen aus Hunderten oder einigen Tausend Kämpfern und werden von lokalen Persönlichkeiten angeführt, die Wert auf ihre Unabhängigkeit und ihren Rückhalt vor Ort legen. Regelmäßige Zusammenschlüsse unter neuem Namen – egal ob geografische oder inhaltliche – überdauern oft nur Monate oder kommen über Absichtserklärungen im Internet gar nicht hinaus.

Fließende Übergänge

Die syrische Stadt Raqqa nach der Einnahme durch Einheiten des IS; Foto: dpa/AP Photo/Raqqa Media Center of the Islamic State
IS präsentiert sich in Raqqa: Eine Plakatwand an der südlichen Stadtgrenze zeigt nicht nur die IS-Flagge sondern ehrt auch die sogenannten getöteten IS-Märtyrer. Während die Stadthalle von Raqqa umfunktioniert wurde in die „Islamic Service Commission“, beherrgerbt das Bürogebäude des ehemaligen Finanzministeriums nun das Scharia-Gericht und die Kriminalpolizei.

Das ideologische Spektrum reicht von säkular-nationalistisch über konservativ-islamisch bis zu salafistisch-dschihadistisch, die Übergänge sind fließend. Zu den national gesinnten, also nicht religiös argumentierenden zählen der lose Zusammenschluss der FSA und die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), der militärische Arm der syrischen PKK-Schwester Partei der Demokratischen Union (PYD). FSA-Einheiten dominieren den Kampf in der nordwestlichen Provinz Idlib, wo der Nachschub über die Türkei läuft, sie kämpfen in und um Aleppo, im Süden des Landes nahe der Stadt Daraa und im Großraum Damaskus. Die YPG kontrollieren den kurdisch geprägten Nordosten des Landes.

Das islamische Mittelfeld führt die Islamische Front (IF) an, das mächtigste Rebellenbündnis in Syrien. Ihre Mitglieder bedienen sich alle einer religiösen Rhetorik, allerdings erkennen manche Brigaden demokratische Prinzipien, Frauen- und Minderheitenrechte an, während andere radikalere salafistische Positionen vertreten. Ursprünglich sieben Verbände gründeten die IF im November 2013, darunter Ahrar al-Sham (Nordsyrien), Liwa al-Tawhid (Aleppo), Suqour al-Sham (Idlib) und Dscheisch al-Islam (Damaskus). Landesweit gehören ihr schätzungsweise 50.000 Kämpfer an. Der Anschlag auf die Führung von Ahrar al-Sham Anfang September, bei dem mit Hassan Aboud nicht nur der politische Kopf der IF und einer der wichtigsten Rebellenführer des Landes, sondern auch die gesamte Führungsriege von Ahrar al-Sham starb, könnte die Islamische Front schwächen. Entscheidend für die Entwicklungen der nächsten Monate wird sein, ob Kämpfer von Ahrar al-Sham (insgesamt etwa 20.000) eher zur FSA oder zu den Radikalen abwandern, womöglich auch zum Islamischen Staat.

Letzterer zählt offensichtlich zum dschihadistischen Ende des Spektrums, ebenso die Nusra-Front, der offizielle Al-Qaida-Ableger in Syrien, sowie diverse ausländische Gruppen. Sie bestehen aus nicht-syrischen Dschihadisten, die auf ihrem Weg zum globalen Kalifat nur Zwischenstation in Syrien machen und sich oft nach Nationalitäten organisieren, darunter Tunesier, Ägypter, Libyer, Marokkaner, Libanesen, Saudis, Usbeken, Tschetschenen und so mancher ehemaliger Guantánamo-Insasse.

Schulterschluss gegen den Islamischen Staat

Während die ausländischen Dschihadistenverbände den Islamischen Staat alle mindestens ideologisch unterstützen, steht die Nusra-Front dem IS feindlich gegenüber. Denn als IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi 2013 versuchte, sich als alleiniger Al-Qaida-Vertreter für Irak und Syrien zu etablieren und sich Nusra weigerte, kam es zum Bruch mit Al-Qaida. Seitdem verfolgt Al-Baghdadi seinen eigenen Plan vom Kalifat und wird in Syrien dafür von allen anderen Rebellen  bekämpft, also der FSA, den kurdischen YPG, der Islamischen Front und Nusra.

Syriens Oppositionsführer Ahmad al-Jabar und U.S. Präsident Barack Obama am 13. Mai 2014 in Washington; Foto: Picture-alliance/AA
Der Präsident des syrischen Nationalrates Ahmad al-Jarba und U.S. Präsident Barack Obama trafen sich bereits im Mai in Washington. Bei ihrem letzten Treffen ging es vor allem um die amerikanische Unterstützung im „Kampf des syrischen Volkes für Freiheit und Demokratie, gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und die Diktatur von Syriens Präsidenten Bashar al-Assad“.

Da die vielen Brigaden alleine wenig bewirken können, schließen sie sich für größere Aktionen zusammen –  sei es um einen Militärflughafen des Regimes zu erobern oder um IS aus einem bestimmten Gebiet zu vertreiben. So entstehen ständig neue, örtlich begrenzte Allianzen. Einheiten der FSA und der Islamischen Front arbeiten dabei regelmäßig zusammen, in der Vergangenheit war auch oft die gut ausgestattete Nusra-Front beteiligt. Die Angst, Waffen könnten bei Al-Qaida landen, ist folglich durchaus berechtigt.

Wer also soll die von Obama geforderten 500 Millionen US-Dollar bekommen? Bislang arbeiten die Amerikaner überwiegend mit der FSA zusammen. Der Versuch, über den 2012 gegründeten Obersten Militärrat, dem militärischen Partner der politischen Auslandsopposition Nationale Front, etwas Struktur in den Kampf gegen Assad zu bringen, gilt als gescheitert. Vor allem, weil die USA viel versprochen und wenig gehalten haben. FSA-Oberste kamen über Jahre mit etwas Munition und veralteten Kalaschnikows zu „ihren“ Kommandanten, oft genug mit leeren Händen. Die meisten Brigaden gingen deshalb dazu über, sich ihre ausländischen Unterstützer selbst zu suchen.

Inzwischen soll die CIA 12 bis 14 Milizen im Norden und etwa 60 kleinere Gruppen im Süden des Landes finanzieren, aber können die USA den Kampf gegen IS allein mit der FSA gewinnen? Muss der Westen nicht überlegen, die mächtigsten Brigaden des Landes, von denen viele der Islamischen Front angehören, miteinzubeziehen? Das bringt uns zu Problem Nummer zwei, der Islamisierung des Aufstandes.

Natürlich klingen die Pamphlete und Internetauftritte vieler IF-Verbände radikal in unseren Ohren, aber gerade im breiten Mittelfeld des syrischen Widerstands müssen wir mit ideologischen Zuschreibungen vorsichtig sein. Die zur Schau gestellte Ideologie einer Brigade dient aktuell vor allem der Finanzierung des Kampfes und ist weniger Ausdruck einer verfestigten politischen Überzeugung. Da die wichtigsten Geldgeber seit Jahren am Golf sitzen, lohnen sich schwarz-weiße Stirnbänder mit dem islamischen Glaubensbekenntnis mehr als grüne Tarnanzüge.

Ideologisch beeinflussbare Rebellen

Tatsächlich sind Syriens Rebellen ideologisch durchaus beeinflussbar. Je nachdem, wer ihnen gegenübersitzt (ein westlicher Geheimdienstmann oder ein Entsandter des saudischen Königs) erklären sie wahlweise, sie wollten Demokratie und Freiheit für alle, oder sie strebten einen sunnitischen Gottesstaat an. Entsprechend flexibel sind die Syrer auch im täglichen Überlebenskampf.

Wer bei der FSA nicht mal eine Kalaschnikow bekommt, geht lieber zu den Islamisten von Ahrar Al-Sham, die deutlich besser ausgestattet sind. Muss ein junger Mann gar seine Großfamilie durchbringen, wird er schnell zum Islamischen Staat überlaufen, der einen ordentlichen Sold bezahlt. Trotzdem ist er nicht über Nacht zum überzeugten Dschihadisten geworden. Es gibt also ein großes Potenzial an freiwilligen syrischen Kämpfern, die der Westen mit finanziellen Anreizen für sich gewinnen kann.

FSA-Kämpfer im Salaheddin-Viertel von Aleppo; Foto: picture alliance /abaca
"Der Westen sollte die neue Zusammenarbeit zwischen FSA und YPG belohnen und Strukturen vereinheitlichen, indem er die FSA, die Kurden und möglichst viele Einheiten der Islamischen Front mit der Lieferung moderner Waffen an sich bindet und dadurch radikale Gruppen wie Nusra isoliert und schwächt", schreibt Helberg.

Aber Vorsicht: Wer als Vorbedingung für Waffenlieferungen eine sofortige Abkehr von islamistischen Positionen fordert, bringt Rebellenführer in die gefährliche Position, als korrumpierte Handlanger des Westens dazustehen und Kämpfer an radikalere Gruppen zu verlieren. Dieses Eigentor können Amerikaner und Europäer verhindern, indem sie zunächst einzelne Brigaden schlagkräftig und unabhängig von dschihadistischer Unterstützung machen. Wer bei der FSA mehr Geld verdient als beim IS, wird ihr treu bleiben. Und wer einen Militärstützpunkt Assads aus eigener Kraft erobern kann, braucht nicht auf die Nusra-Front zurückzugreifen. Loyalität muss sich lohnen.

Gerade im Falle der Nusra-Front, mit der nahezu alle syrischen Rebellenverbände gekämpft haben, gilt: Besser nicht direkt konfrontieren (sonst verbündet sie sich doch wieder mit dem IS), sondern ihr langsam das Wasser abgraben. Im Juli erklärten acht Brigaden – alle Empfänger westlicher Militärhilfe – nicht mehr mit Nusra zusammenzuarbeiten. De facto kämpfte mindestens eine von ihnen bei der Verteidigung von Aleppo Seite an Seite mit Nusra, weil sie selbst nicht über die notwendigen modernen Waffen verfügte.

Klare Grenzen zu den Dschihadisten

Bleibt Problem Nummer drei, die unterschiedlichen Vorstellungen von einem zukünftigen Syrien. Während der Westen von einem möglichst säkularen demokratischen Rechtsstaat träumt, zieht Saudi-Arabien einen sunnitischen Gottesstaat vor, Qatar wünscht sich einen Sieg der Muslimbrüder. Da die Golfstaaten im Gegensatz zu den USA jedoch nicht bereit sind, ihre eigenen (dank deutscher Rüstungsexporte) hochmodernen Armeen in Syrien einzusetzen, muss Washington sich seine Verbündeten am Boden aussuchen dürfen. Saudis und Qataris dürfen zahlen, Jordanier und Türken logistisch helfen, aber das letzte Wort, wer die westliche Hilfe bekommt, muss bei denen liegen, die das größte Risiko eingehen, und das scheinen bislang die USA.

Der Westen sollte bei der Suche nach Verbündeten gegen IS klare Grenzen zu den Dschihadisten ziehen, aber islamistische Bekenntnisse syrischer Brigaden nicht überbewerten. Er sollte die neue Zusammenarbeit zwischen FSA und YPG belohnen und Strukturen vereinheitlichen, indem er die FSA, die Kurden und möglichst viele Einheiten der Islamischen Front mit der Lieferung moderner Waffen an sich bindet und dadurch radikale Gruppen wie Nusra isoliert und schwächt. Und ganz wichtig: Er sollte nichts mehr versprechen, was er nicht halten kann.

Kristin Helberg

© Qantara.de 2014