Unheilvolle Allianzen

Ob Saudi-Arabien, Libyen oder Ägypten: Die Jahrzehnte alten Allianzen westlicher Regierungen mit arabischen Autokraten ignorierten bisher das eklatante Defizit an Demokratie in der Region. Doch eine Demokratisierung würde zum Aufstieg von unliebsamen islamistischen Bewegungen führen, schreibt der arabische Medienwissenschaftler Khaled Hroub.

Ob Saudi-Arabien, Libyen oder Ägypten: Die Jahrzehnte alten Allianzen westlicher Regierungen mit arabischen Autokraten ignorierten bisher das eklatante Defizit an Demokratie in der Region. Doch eine Demokratisierung würde zum Aufstieg von unliebsamen islamistischen Bewegungen führen, schreibt der arabische Medienwissenschaftler Khaled Hroub.

Mann und Frau bei Stimmabgabe während der irakischen Parlamentswahlen; Foto: AP
"Sollten in irgendeinem arabischen Land freie und gerechte Wahlen abgehalten werden, kämen die Islamisten an die Macht", meint Khaled Hroub.

​​ Das Demokratiedefizit in der arabischen Welt beruht auf einer unheilvollen Allianz zwischen westlichen Interessen und lokalen Autokraten; gerechtfertigt wird diese, indem beide Seiten sich auf die "besondere kulturelle Prägung" der Region berufen.

Auf den Punkt gebracht war es für den Westen wesentlich einfacher, seine Geschäfte im postkolonialen Nahen Osten mit undemokratischen Regimes zu tätigen, die ihrerseits die westliche Unterstützung und Anerkennung bei der Marginalisierung der liberalen und demokratischen Kräfte vor Ort hilfreich fanden, auch wenn dies der zunehmenden islamistischen Radikalisierung den Weg ebnete.

Beide Seiten haben Zuckerbrot und Peitsche eingesetzt, um diese Allianz aufrechtzuerhalten. So wurde z. B. das Pochen des Westens auf Reformen und Demokratie in den letzten Jahren häufig als Drohung benutzt, wobei eine typische Botschaft lautete: "Helft uns im Irak, sonst drängen wir in eurem eigenen Land auf Demokratie und Menschenrechte." Die arabische Antwort ist ebenso bedrohlich: "Hört auf, uns in Reformfragen zu bedrängen, sonst kooperieren wir nicht beim 'Krieg gegen den Terror'!"

Demokratie als Bremse für den Friedensprozess

Zwei weitere wichtige Punkte haben den Kompromiss erhalten: Israel und der Machtgewinn der islamistischen Bewegungen. Die Mehrheit der arabischen Öffentlichkeit sieht Israel als eine fremde und unrechtmäßige Gebietseinheit an, die gewaltsam und mit Unterstützung des Westens auf palästinensischem Boden errichtet wurde. Wenn diese Auffassung demokratisch kanalisiert würde und man zuließe, dass sie die Israel-Politik der arabischen Länder beeinflusste, wären Friedensverhandlungen noch komplizierter, als sie es jetzt sind.

Anhänger der Hamas auf einer Kundgebung; Foto: picture-alliance/dpa
Demokratie nur nach Bedarf: Als die Hamas 2006 durch freie Wahlen in Gaza an die Macht kam, erkannten die westlichen Staaten diesen auf demokratischen Grundlagen basierenden Sieg nicht an.

​​So ist es für autoritäre Regierungen wie Ägypten und Jordanien (und in Zukunft vielleicht Syrien), in denen keine Zustimmung des Parlaments benötigt wird, wesentlich einfacher, Verhandlungen aufzunehmen und Friedensverträge mit Israel zu unterzeichnen. Ebenso können die undemokratischen Regimes in Marokko, Tunesien, Mauretanien, Katar, Oman und Bahrain, wo es auf unterer Ebene verschiedene Kontakte und israelische Vertretungen gibt, die jeweils gewünschte Beziehung zu Israel festlegen.

Aushöhlung der Demokratie

Die zunehmende Bedeutung des radikalen Islamismus war im Hinblick auf die Demokratie in den arabischen Staaten nicht weniger hinderlich. Jahrzehntelange unheilvolle Allianzen zwischen arabischen Autokraten und dem Westen haben dazu geführt, dass sich der radikale Islam als eine "rettende" Kraft profilierte. Sollten in irgendeinem arabischen Land freie und gerechte Wahlen abgehalten werden, kämen die Islamisten an die Macht. Das war der Fall in Algerien 1991-92, im Irak 2005 sowie im Westjordanland und im Gaza-Streifen 2006. Andere Länder wie Jordanien, Marokko, Kuwait, Jemen und Bahrain haben einen stärker eingegrenzten Raum für die Demokratie geschaffen. Auch dort haben ihn die Islamisten sofort gefüllt.

Der libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy; Foto: AP
"Die blinde Unterstützung des Westens für autokratische arabische Herrscher hat jede Hoffnung auf einen friedlichen Wandel dahinschwinden lassen", kritisiert Khaled Hroub.

​​Der Westen hat Jahrzehnte vergeudet und zahllose Gelegenheiten verstreichen lassen, Regierungen einzusetzen, die liberalen und demokratischen arabischen Kräften mehr Macht eingeräumt hätten. Die blinde Unterstützung des Westens für autokratische arabische Herrscher hat jede Hoffnung auf einen friedlichen Wandel dahinschwinden lassen.

Der demokratische Prozess hat seinen Nimbus und seine Durchschlagskraft verloren, nicht zuletzt weil die Demokratisierung zum Aufstieg politischer Bewegungen zu führen scheint, die der Westen unakzeptabel findet. Das ganze Konzept der Demokratie wurde ausgehöhlt und diskreditiert, und die Radikalisierung, die viele muslimische Gesellschaften verschlingt, schwappt jetzt über in die Emigrantengemeinden im Westen.

Obamas Lob für Mubarak

Als die US-Regierung unter George W. Bush 2002 ihre Partnerschaftsinitiative für die Demokratisierung des Nahen Ostens startete, stellte sich heraus, dass diese nicht weit genug ging und zu spät kam – und zu schnell starb. Das zugeteilte Budget belief sich auf lediglich 29 Millionen US-Dollar, doch kann ihr jähes Ende auch auf die kurzsichtige Planung zurückgeführt werden – und auf Barack Obama, der in diesem Punkt wenig Interesse gezeigt hat.

Ägyptischer Staatspräsident Mubarak und US-Präsident Obama; Foto: AP
Ein Mann, mit dem man ins Geschäft kommen kann: Obama ist voll des Lobes für Hosni Mubarak, der für Stabilität in Ägypten sorgen soll.

​​ Obamas Lob für Ägyptens Präsident Husni Mubarak als Mann, mit dem man ins Geschäft kommen kann, hat die ägyptischen Oppositionsgruppen entmutigt, die gegen den langjährigen Autokraten und seine Bemühungen ankämpfen, seinen Sohn Gamal Mubarak als seinen Nachfolger einzusetzen.

Die USA sind nicht die alleinigen Schuldigen. Europa hat eine große Rolle bei der Verzögerung demokratischer Reformen in Libyen und Saudi-Arabien gespielt. Libyen ist zu einem Mekka für europäische Regierungschefs geworden, die versuchen, sich Öl- und Investitionsgeschäfte in Höhe von mehreren Milliarden Dollar zu sichern. Bei der Rehabilitierung des Gaddafi-Regimes wurde keinerlei Druck auf Libyen ausgeübt, die politischen Repressionen im Land zu lockern.

"Kulturelle Prägung" als Ausrede

Ein noch aufschlussreicherer Fall ist Saudi-Arabien. Kein europäischer Regierungschef wagt es, die Frage der Demokratie und Menschenrechte anzuschneiden und die Saudis so gegen sich aufzubringen. Saudische Frauen dürfen weiterhin nicht Auto fahren, allein reisen oder ohne die Zustimmung eines männlichen Verwandten arbeiten bzw. studieren.

Saudi-Arabischer Ölbohrturm; Foto: dpa
Wirtschaftliche Interessen bremsen den moralischen Eifer des Westens immer wieder aus: Kritik gegen Saudi-Arabien scheint aus diesem Grunde tabu.

​​ Der saudischen Gesellschaft mangelt es ebenso wie einigen anderen Golfstaaten an einem Mindestmaß an politischer Freiheit und Mitbestimmung. Die gegenwärtigen Zustände werden von den arabischen Regierungen im Namen der besonderen kulturellen Prägung entschuldigt – mit demselben Vorwand rechtfertigen westliche Regierungen ihre "wertfreie" Politik gegenüber diesen Regierungssystemen.

Zählt man alle Kompromisse zwischen den westlichen und arabischen Regierungen zusammen und fügt den Faktor Israel und Islamismus hinzu, ist die Schlussfolgerung, zu der man kommt, ebenso unausweichlich wie alarmierend: Der Westen kann sich keine Demokratie in der Region leisten.

Khaled Hroub

© Project Syndicate 2010

Übersetzung aus dem Englischen: Anke Püttmann

Der Publizist und Medienwissenschaftler Khaled Hroub ist Direktor des "Cambridge Arab Media Project" an der Universität Cambridge. Zuletzt erschien sein Buch "Hamas. Die islamische Bewegung in Palästina" 2008 im Heidelberger Palmyra-Verlag.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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