Versiegte Privilegien

Noch profitiert Ägypten als Mündungsland des Nils am meisten von der Lebensader - mit dem Assuan-Staudamm hatte der Wüstenstaat selbst ein gewaltiges Wasserreservoir geschaffen. Doch sollte Äthiopien nach der neuen Staudamm-Vereinbarung seinen eigenen See kreieren, könnte sich in Ägypten über Jahre der Zufluss reduzieren. Von Claudia Mende

Von Claudia Mende

Ägypten hat zusammen mit dem Sudan im März in einer "Declaration of Principles" de facto dem Bau des "Grand Renaissance Staudamms" in Äthiopien zugestimmt. Damit verzichten beide Länder auf ihre historischen Vorrechte bei der Nutzung des Nilwassers. Die Erklärung spiegelt die neuen Machtverhältnisse in der Region.

Äthiopien baut am Blauen Nil nahe der Grenze zum Sudan an einem gigantischen Staudamm, der nach offiziellen Angaben 6.000 Megawatt Strom produzieren wird. Im Juni 2015 soll bereits ein erster Teil der Stromerzeugung in Betrieb gehen. Das zurzeit größte Infrastrukturprojekt Afrikas ist mit 4,8 Milliarden US-Dollar allein für den Bau veranschlagt und wird rund 1.600 Quadratkilometer im abgelegenen äthiopischen Hochland fluten.

Äthiopien will den Kraftwerkbau ausschließlich über Staatsanleihen ohne internationale Geldgeber finanzieren, während die Gelder für die Stromtrassen von chinesischen Banken stammen. Den vom "Grand Renaissance Damm" erzeugten Strom will Äthiopien in den Sudan, nach Kenia und Djibouti exportieren und so seine Vormachtstellung in der Region untermauern. Ob diese Rechnung aufgehen wird, ist aber unter Experten umstritten.

Angst vor Wasserknappheit

Als Äthiopien im April 2011 mit dem Bau des Staudamms begonnen hat, war in Ägypten gerade Diktator Hosni Mubarak gestürzt worden; das Land war mit seiner Revolution beschäftigt und kämpft seither mit den politischen und wirtschaftlichen Folgen. Seitdem hat Ägypten sich immer wieder gegen den Staudamm ausgesprochen, zeitweilig waren auch martialische Töne zu hören. So gab es unter dem Ex-Präsidenten Mohamed Mursi eine peinliche Panne, als Vorschläge, den Damm zu bombardieren oder Anti-Regierungs-Rebellen in Äthiopien zu unterstützen, durch eine technische öffentlich Panne bekannt wurden.

Ägypten bezieht sein Wasser zu gut 90 Prozent aus dem Nil. Alle Fragen rund um das Nilwasser sind daher für das Land von vitalem Interesse. Durch Bevölkerungswachstum und Industrialisierung steigt der Wasserbedarf stetig. Gleichzeitig verdunstet mehr Wasser durch den Klimawandel. Und im Nildelta gibt es Probleme mit Versalzung, weil der steigende Meeresspiegel in die Flussmündung hineindrückt. Aber auch die Stromerzeugung des Assuan-Hochdamms benötigt einen ausreichenden Wasserpegel. Rund zehn Prozent des nationalen Strombedarfs für Ägypten werden dort erzeugt.

Ägyptische Delegation im November in Addis Abeba auf einem Gipfel zum Grand Renaissance Staudammprojekt; Foto: DW/G. Tedla HG
Divergierende Meinungen zwischen der ägyptischen Seite und den subsaharischen Staaten: Kairo pocht auf seine "historischen Rechte" am Nil, die in Verträgen von 1929 und 1959 verbrieft seien, darunter ein Vetorecht, das sich auf jedes den Fluss betreffende Projekt beziehe. Die Mehrheit der anderen Nil-Anrainer, darunter Äthiopien, widersprechen den Abkommen jedoch. Äthiopien beruft sich auf einen 2010 geschlossene separaten Vertrag, der ihm die Entwicklung von Projekten zur Flussnutzung gewähre, ohne vorher Ägypten um Erlaubnis bitten zu müssen.

Ägypten sah sich immer als privilegierten Nutzer, obwohl 85 Prozent des Nilwassers im Blauen Nil in Äthiopien entspringen. Dazu haben sich die Herrschenden in Kairo stets auf alte Verträge aus der Kolonialzeit berufen. Ein Vertrag zwischen Großbritannien und Ägypten von 1929 hatte Ägypten ein Vetorecht gegen Staudammprojekte in den südlichen Nilanrainerstaaten zugestanden.

Im Jahr 1959 haben Ägypten und der Sudan in einer Vereinbarung 90 Prozent des Wassers untereinander aufgeteilt. Danach stehen Ägypten pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Wasser zu. Von den weiter südlich gelegenen Anrainerstaaten Äthiopien, Uganda, Ruanda, Burundi, Kenia, der Demokratischen Republik Kongo und Tansania war überhaupt nicht die Rede. Diese Länder wiederum haben in einer eigenen Vereinbarung aus dem Jahr 2010 die Ansprüche von Ägypten und dem Sudan zurückgewiesen.

Aufgabe historischer Vorrechte

In der "Declaration of Principles" ist kein Bezug mehr auf historische Vorrechte Ägyptens bei der Wassernutzung enthalten. Auch das ägyptische Vetorecht gegen das Staudammprojekt am unteren Flusslauf ließ sich nicht mehr durchsetzen. Dabei spielte auch eine Rolle, das der Sudan, traditionell an der Seite Ägyptens, keine Einwände gegen den geplanten Staudamm hat, weil er sich wirtschaftlich mehr nach Ostafrika orientiert. 

Der fehlende Hinweis auf Ägyptens historische Vorrechte kam in den ägyptischen Medien nicht gut an. Hany Raslan vom "Al-Ahram Center for Political and Strategic Studies" bezeichnet die "Declaration of Principles" als einen klaren Sieg für Äthiopien. "Die Erklärung gefährdet zukünftige Generationen und stellt einen beispiellosen Rückschlag für Ägypten in der Wasserfrage dar. Sie wird eine neue Phase einleiten, in der Äthiopien den Blauen Nil völlig dominiert", sagte der Wissenschaftler gegenüber der Zeitung "Al-Masry al-Youm".

Ägyptens Ex-Präsident Mohamed Mursi; Foto: dpa
Wegen eines riesigen Staudamm-Projekts am Oberlauf des Blauen Nils in Äthiopien ist das Verhältnis zwischen Ägypten und Äthiopien seit Jahren gespannt. Ägyptens Ex-Präsident Mohamed Mursi hatte Äthiopien aus Angst vor Wasserknappheit bereits 2013 indirekt mit Krieg gedroht. Ägypten ist zu 98 Prozent von dem Fluss abhängig. 

Der frühere Minister für Wasser und Bewässerung in Kairo, Mohamed Nasr Eddin Allam, riet dazu, den vom Renaissance Damm erzeugten Strom aus Äthiopien zu boykottieren. Andere Experten, wie zum Beispiel Nader Nouredin, Professor für Landwirtschaft an der Kairo Universität, äußerten die Befürchtung, der Grand Renaissance Damm sei lediglich das erste Glied einer ganzen Kette von Staudämmen, die Äthiopien am Blauen Nil plane.

Viele ungelöste Fragen

Für Rawia Tawfik von der Kairo Universität, derzeit Gastforscherin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn, stellt die Erklärung dagegen einen realistischen Kompromiss dar. "Für Ägypten wäre es unrealistisch gewesen, von Äthiopien einen Hinweis auf seinen historischen Anteil am Nilwasser zu erwarten", sagt die Politikwissenschaftlerin. Äthiopien habe die ägyptischen Ansprüche stets als kolonialistisch abgelehnt. Jetzt gehe es in den nächsten 15 Monaten um technische Details bei der Realisierung des Projekts, vor allem beim heiklen Auffüllen des Wasserreservoirs in den kommenden Jahren.

Welche Folgen der Staudamm im Einzelnen für die Menge an Nilwasser im Sudan und in Ägypten haben wird, ist noch völlig unklar. Dazu soll eine Expertengruppe noch Studien erarbeiten. Äthiopien hat aber einen Baustopp bis zur Klärung dieser Fragen abgelehnt.  

Neben der Wasserfrage gibt es aber noch andere offene Fragen bei dem Projekt, das Kritiker für überdimensioniert halten. Für Rawia Tawfik ist fraglich, ob sich der Staudamm ökonomisch tatsächlich rentieren wird. Denn Staaten wie Uganda und die Demokratische Republik Kongo planten eigene Wasserkraftwerke zur Stromerzeugung. In der Entwicklungsdiktatur Äthiopien ist eine Kritik an dem Bauvorhaben nicht möglich. Eine öffentliche Debatte über die ökologischen, finanziellen und ökonomischen Folgen gibt es dort genauso wenig wie im Sudan.

Der Streit um das Wasser des Nils ist mit der "Declaration of Principles" sicher nicht für alle Zeiten beendet. Aber die Erklärung zeigt, dass knappe Ressourcen nicht nur zu Konflikten, sondern durchaus zu mehr Kooperation führen können.

Claudia Mende

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