Von der Wut zum Widerstand: Tahar Ben Jellouns neuer Islam-Essayband

Schwarz-weiß, klar wie ihre Aussage, waren die Plakate, auf denen im Januar stand: Je suis Charlie. Optisch wie inhaltlich knüpft das neue Buch von Tahar Ben Jelloun daran an - ein Mix aus Analyse und Plädoyer. Von Paula Konersmann

Freiheit. Wut. Islam. Das sind die ersten drei Worte, die dem französisch-marokkanischen Schriftsteller Tahar Ben Jelloun nach dem Attentat auf die Pariser Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo» durch den Kopf schossen. «Worte, wie sie auf uns eindringen, wenn uns Kummer und Sorge überrollen», schreibt er – und wahrscheinlich Worte, die vielen anderen an diesem Januartag ebenfalls in den Sinn kamen. Es sind Worte, Themen, die Europa nicht erst seit kurzem beschäftigen - und die das politische und soziale Leben weiterhin prägen werden. Jellouns kleiner, kluger Essayband, der am Montag erscheint, kommt daher zur rechten Zeit.

Der erste Text darin ist offensichtlich ein Stück Selbsttherapie. Jelloun verlor mit den Karikaturisten Cabu und Wolinski zwei Freunde beim Attentat auf «Charlie Hebdo». Doch schon lange davor hat sich der Autor, der als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Mahgreb gilt, mit drängenden Fragen der Zeit befasst. Dem deutschen Publikum ist er vor allem durch den Bestseller «Papa, was ist ein Fremder?» bekannt (2000). 2003, nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York und nach Ausbruch der Kriege im Irak und in Afghanistan, erschien «Papa, was ist der Islam?» - ebenfalls ein internationaler Verkaufserfolg.

In diesem Stil, als fiktives Gespräch zwischen Vater und Tochter, ist auch das Herzstück des neuen Buchs gehalten, «Der Islam, der uns Angst macht». Jelloun verknüpft bekannte Fakten mit dem Ausräumen verbreiteter Missverständnisse. So erklärt er mit der ihm eigenen Leichtfüßigkeit, was das Wort «Dschihad» ursprünglich bedeutet hat: «Widerstand gegen die negativen Versuchungen», «eine spirituelle Suche.» Unmissverständlich drückt er Bedauern über das Desinteresse vieler Menschen im Westen gegenüber dem Islam aus.

Wenn Jelloun sich engagiert, um dieses Interesse zu wecken, so belässt er es gegenüber den Muslimen nicht bei bloßen Appellen. Schon nach wenigen Seiten liest sich sein Buch wie ein flammendes Plädoyer: Die Muslime müssten «einen Islam erfinden, der die Aspekte ausschaltet, die ihn unvereinbar mit den Gesetzen der Republik machen», schreibt er. «Nicht der Islam muss sich verändern, es sind die Muslime.»

An anderen Stellen klingen die Texte nach Resignation. Die nordeuropäischen und die muslimischen Länder würden sich nie verstehen, notierte Jelloun nach den Anschlägen in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen im Februar: «Zwei Welten, zwei Weltanschauungen, zwei kulturelle Haltungen, zwei glühende Widersprüche.» Ähnlich ratlos lässt er den Leser zurück, wenn er ihn in den Kopf von Mohamed Merah entführt, der 2012 sieben Menschen in der südfranzösischen Stadt Toulouse erschossen hatte, darunter drei jüdische Kinder.

Das Fazit aus diesem ungewöhnlichen Mix aus Literatur und Analyse weist jedoch in eine andere Richtung. Jelloun beschreibt die Identitätssuche jener jungen Männer, die zu Attentätern werden, präzise; er leuchtet in die Abgründe, die sich in den französischen Vororten auftun - und er leitet daraus konkrete Forderungen ab. Die Gesellschaft müsse mehr darauf blicken, was in Gefängnissen und Moscheen passiere, etwa Imame gründlicher auswählen. Bei den Pariser Attentätern gehen Beobachter davon aus, dass sie sich im Gefängnis radikalisierten.

Auch umfassende religiöse Bildung an Schulen sei entscheidend, betont Jelloun; Kinder müssten Toleranz so erlernen, dass sie die Mechanismen des Fanatismus durchschauen könnten. Das sei auch im laizistischen Frankreich möglich: Schließlich meine Laizität «nicht den Hass auf Religionen», sondern Respekt und Achtung vor Religiösem, das jedoch im Privaten stattfinde. Auch im privaten Bereich gelte es indes zu vermitteln, «dass Spiritualität wesentlicher ist als ein bestimmtes Zurschaustellen von Religion».

Der Appell Jellouns richtet sich gegen niemanden, aber an alle. Jeder, so die Botschaft, kann und muss handeln. Der letzte Abschnitt des Buchs, verfasst wenige Tage nach dem «Charlie Hebdo»-Anschlag, ist überschrieben mit dem letzten Wort, das Jelloun damals bewegte: Widerstand. (KNA)

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