Zu viel Sex, zu wenig Heldentum

Mit Begeisterung verfolgen Millionen Türken derzeit die TV-Serie über Süleyman den Prächtigen. Trotzdem möchte Premier Erdogan diese verbieten. Aus Istanbul informiert Jürgen Gottschlich.

Von Jürgen Gottschlich

Liebe, Hass und Intrigen sind der erfolgreiche Mix, mit dem die Serie "Muhtesem Yüzyil", das "Wunderbare Jahrhundert" nun schon in achtzigster Folge seit bald zwei Jahren das türkische Publikum verzaubert. Ein schöner Sultan, sein nicht minder smarter Großwesir, vor allem aber die Frauen, Geliebten und sonstige Konkurrentinnen um die Gunst des Sultans sind die Hauptakteure der historischen Soap Opera.

Die Dauerserie, die einmal pro Woche abendfüllend fast drei Stunden lang über den Bildschirm flimmert, bezieht sich in ihrem Titel auf die Zeit von 1520 bis fast zum Ende des 16. Jahrhunderts, eben der Zeit während der Süleyman der Prächtige das Osmanische Reich regierte und dem Imperium zu seiner größten Ausdehnung verhalf. Es ist die große Zeit der Osmanen und deshalb passt der Film eigentlich perfekt zu der seit längerem betriebenen glorifizierenden Rückschau auf die erfolgreichen Vorväter – Neo-Osmanismus ist in der türkischen Politik das Gebot der Stunde.

Aus der Sicht des Harems

Trotzdem laufen gerade die konservativen und religiösen Kreise Sturm gegen die bislang erfolgreichste türkische Soap Opera. Der Hauptgrund dafür ist wohl, dass die tragende Figur der Serie nicht der Sultan selbst ist, sondern seine Hauptfrau Hürrem Sultan, die in der europäischen Literatur unter dem Namen Roxelane bekannt wurde. Das berühmte "Wunderbare Jahrhundert" wird deshalb nicht aus der Perspektive des erfolgreichen Feldherrn, sondern aus der Sicht des Harems vorgeführt.

Kampfszene aus der türkischen Fernsehserie Muhtesem Yüzyil; Foto: imago/Seskim Photo
Grenzenloser Erfolg: "Mutesem Yüzyil" ist nicht nur in der Türkei populär. Auch in anderen Ländern des ehemaligen Osmanischen Reichs erfreut sich die Geschichte um den großen Sultan Süleyman und seine Herzensdame Hürrem großer Beliebtheit.

​​Die Serie porträtiert – mehr als den Sultan – eine der bemerkenswertesten Frauen der osmanischen Geschichte, die es schaffte, durch Intelligenz, Rücksichtslosigkeit und einem erfolgreichen Auftritt im Bett des Sultans von einer Haremssklavin zur einflussreichen, geehelichten Hauptfrau des Sultans zu werden.

Inszeniert ist das Ganze eher wie ein Theaterstück und damit weit entfernt von anderen, als Action-Kino verfilmten Historiendramen. Schwert und Degen kommen kaum vor, große Schlachtenszenen werden höchstens einmal angedeutet, die Handlung spielt überwiegend innerhalb des Palastes und auch dort weniger im Divan, wo der Sultan Hof hält, als vielmehr im Harem, wo um die Gunst des Sultans gerungen wird.

Süleyman um den kleinen Finger gewickelt

Hürrem (die Freudvolle) die rothaarige Sklavin vom Balkan wickelt ihren Süleyman um den kleinen Finger und serviert mit großer Skrupellosigkeit ihre Konkurrentinnen ab. Da Süleyman 46 Jahre regierte und Roxelane zunächst viele Konkurrentinnen besiegen musste um dann später darum Sorge zu tragen, dass einer ihrer Söhne in der Thronfolge an erste Stelle rückt, gibt es genug Stoff für fast unendlich viele Folgen, die sich über die eingeblendete Werbung bestens vermarkten lassen.

Darüber hinaus wird die Serie auch im Ausland mit großem Erfolg verkauft. Zufall oder nicht, just in den ehemaligen Grenzen des Osmanischen Reichs bricht "Muhtesem Yüzyil" alle Rekorde. Wie schon bei anderen türkischen Serien, die ein relativ modernes Frauenbild transportieren, sind vor allem arabische Frauen von der erfolgreichen Sultansfrau begeistert.

Aber auch auf dem Balkan ist Hürrem Sultan zu einem wahren "Straßenfeger" geworden. Von Kroatien bis Mazedonien sind alle dabei, in Bosnien konnte das Publikum vor kurzem in einem Wettbewerb Frauen und Männer aussuchen, die der Sultana und dem Sultan besonders ähnlichen sehen. Das Gewinnerpaar reiste über Sylvester nach Istanbul und traf hier die Originalschauspieler.

Nachdem die wütenden Kritiken der Konservativen zum Auftakt der Serie angesichts des enormen Publikumserfolgs allmählich verstummten, hat vor knapp vier Wochen sich jetzt erstmals Ministerpräsident Tayyip Erdogan zu Wort gemeldet. Und zwar gleich mit großem Nachdruck. Die Serie sei eine unerträgliche Verunglimpfung der großartigen osmanischen Geschichte, schimpfte Erdogan. Die Macher sollten wegen Volksverhetzung angeklagt werden, er hoffe, dass sich die Staatsanwaltschaft bald damit beschäftigen würde.

Sultan Erdogan

Wenn Erdogan in solcher Weise vom Leder zieht, bleibt das in aller Regel nicht folgenlos. Den Produzenten, vor allem aber dem Besitzer von "Star", Ferit Sahenk, dem TV-Kanal auf dem die Serie ausgestrahlt wird, muss der Atem gestockt haben. Erst vor einem Jahr hatte "Star" die Serie für viel Geld von "Kanal D" gekauft, was sich jetzt womöglich als Fehlinvestition erweisen könnte.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan; Foto: Reuters/Osman Orsal
Not amused: Der türkische Ministerpräsident Erdogan will nicht länger hinnehmen, dass sein erfolgreichstes Vorbild, Sultan Süleyman, "historisch völlig inkorrekt" gezeigt wird und kündigte inzwischen rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen der Serie an.

​​Erdogan, der sich mittlerweile offenbar schon mehr in der Rolle eines Sultans als der eines auf Zeit gewählten Politikers sieht, will nicht länger hinnehmen, dass sein erfolgreichstes Vorbild, Sultan Süleyman, "historisch völlig inkorrekt" wie er meint, als Wachs in den Händen einer Frau gezeigt wird und statt der Weisheit des Sultans Mord und Totschlag am Hofe dominieren.

Das hat natürlich sämtliche Kommentatoren des Landes auf den Plan gerufen, die sich nun zum einen mit der historischen Wahrheit zur Zeit der Osmanen beschäftigen und/oder gleichzeitig die Zensurversuche des Ministerpräsidenten kritisieren.

Die heftige Reaktion auf Erdogan hat zwar bislang verhindert, dass tatsächlich ein Staatsanwalt gegen die Macher der Serie Ermittlungen aufgenommen hat, gänzlich verschont blieb "Muhtesem Yüzyil" dennoch nicht.

In einem Akt vorauseilender Selbstzensur hat der Sender angekündigt, die Serie früher zu beenden als ursprünglich geplant. Außerdem wurden inzwischen einige Szenen mit sexuellen Andeutungen auf Verlangen der staatlichen Film- und Fernsehaufsicht RTÜK gestrichen. Auch soll Hürrem nun häufiger ein Kopftuch tragen als bisher. Richtigen Ärger bekamen die Macher des "Wunderbaren Jahrhunderts" jetzt aber vom Iran. Laut Informationen einiger türkischer Zeitungen ließ die islamische Justiz vor zwei Wochen alle Synchronsprecher verhaften.

Jürgen Gottschlich

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de