Die Sprache der Macht

Lev Grinberg, Professor für politische Soziologie an der Ben-Gurion-Universität in Tel Aviv, kritisiert das israelische Eingreifen im Gaza-Konflikt als kurzsichtig. Der alleinige Rückgriff auf militärische Gewalt blockiere langfristig die Chancen für Friedensverhandlungen und spiele der Hamas politisch in die Hände.

Von Lev Grinberg

Es scheint, als sei Israels militärische Operation zu einem schmerzhaften politischen, wenn nicht militärischen Scheitern verurteilt. Ganz gleich, ob der gegenseitige Beschuss nun vor oder nach einem militärischen Bodentruppeneinsatz beendet wird – die Hamas hat ihr Ziel bereits erreicht: nämlich die Anerkennung als Verhandlungspartner für ein Waffenstillstandsabkommen und als politische Kraft.

Seit Oktober 2000 hat Ehud Barak versucht, die Welt davon zu überzeugen, dass diese nicht als Verhandlungspartner anerkannt werden könne. Nun jedoch scheint sich diese Einstellung geändert zu haben – und der Begriff "Verhandlungspartner" wird ganz nach dem Willen der Hamas gestaltet.

Geblendet von der eigenen Macht

Das Grundproblem der Israelis ist, dass sie nur in Machtstrukturen denken können. Typisch für die stärkere Seite ist oft, dass sie geblendet von der eigenen Macht ist, und die eigene Begrenztheit nicht zu erkennen vermag – oder erst dann, wenn es bereits zu spät ist.

Zerstörte Regierungsgebäude in Gaza-Stadt nach israelischem Angriff, Foto: Reuters
Ein Ende der Gewalt in weiter Ferne: Israel hat ungeachtet der fortgeschrittenen Verhandlungen über einen Waffenstillstand seine Luftangriffe auf den Gazastreifen am Mittwoch (21.11.) fortgesetzt.

​​Bestenfalls wird dieses Problem im Laufe der Zeit erkannt und somit der Boden für Verhandlungen bereitet. Doch normalerweise bedarf es hierfür einer energischen Reaktion – und oftmals ist es dann für Verhandlungen bereits zu spät.

Die Unfähigkeit, die eigenen Machtgrenzen zu erkennen, kann zum Zusammenbruch eines Regimes, ja sogar eines ganzen Imperiums führen – so geschehen mit der Sowjetunion, welche sich weigerte, ihren Machtanspruch in Afghanistan aufzugeben. Die Vereinigten Staaten schafften den Absprung, als sie aus Vietnam abzogen, ebenso Israel, das 2000 den Libanon verließ.

Ex-PLO-Chef Jassir Arafat in Beirut 1982; Foto: AP
"Der Libanon-Krieg von 1982 bedeutete sowohl politisch als auch militärisch ein Fiasko, was Israel schließlich in den frühen 1990er Jahren zur offiziellen Anerkennung der Palästinenser veranlasste", schreibt Grinberg.

​​Israel war erst zu Verhandlungen mit Ägypten nach dem Krieg von 1973 bereit – ein Krieg, der zwar ein militärischer Sieg, aber auch eine politische Niederlage war. Der Libanon-Krieg von 1982 bedeutete sowohl politisch als auch militärisch ein Fiasko, was Israel schließlich in den frühen 1990er Jahren zur offiziellen Anerkennung der Palästinenser veranlasste. Und die erste Intifada hatte schließlich zur Folge, dass der israelische Stabschef sich von einer militärischen Konfliktlösung abwandte und sich für einen politischen Weg aussprach.

Erst dann verstanden Israels Politiker die Botschaft und begannen mit politischen Verhandlungen. Das Problem war jedoch, dass sie selbst nach Anerkennung der PLO noch immer versuchten, eine Übereinkunft zu erzwingen, anstatt sich wirklich auf Verhandlungen einzulassen.

Gewalt als einzige Lösung

Tatsächlich scheint es, als könne Israel seit dem letzten ernsthaften "Verhandlungsversuch" vom Oktober 2000 nur in der Sprache der Macht denken und sprechen. Nach dem Motto: Seitdem es "keinen Partner" gibt, müssen wir den israelischen Streitkräften zum Sieg verhelfen. Es gibt dann weder Links noch Rechts, jeder unterstützt gewaltsame Lösungen und einseitige Schachzüge.

Im Gegensatz zu uns haben die Palästinenser – wie jede schwache staatenlose Gemeinschaft – erkannt, dass sie Israel nicht bezwingen können. Selbst wenn sie daher brutale Gewalt anwenden, versuchen sie damit eine politische Botschaft zu vermitteln.

Ginge es allein um das Kräftemessen, so würde Israel also stets die Oberhand behalten. Aus diesem Grunde wird mit den aus Gaza abgefeuerten Raketen vor allem ein politisches Ziel verfolgt: Sie sollen die Israelis daran erinnern, dass sie keinen Frieden haben werden, solange der Gazastreifen weiterhin blockiert und ökonomisch abgeschottet wird.

Die Hamas will den Palästinensern und dem Rest der Welt zeigen, dass sie sich verantwortungsvoll für die Belange seiner Bevölkerung einsetzt. Ihre Hauptforderung ist daher die Öffnung der Übergänge zum Gazastreifen, mit dem Ziel der Schaffung eines konfliktfreien Umfelds, das den Lebensstandard heben und politische Stabilität garantieren würde.

Prestigegewinn für die Hamas

Israels Kalkül, den Beschuss zu stoppen, ohne der Hamas entgegenzukommen, wird nicht aufgehen. Ein weiteres Indiz für das politische Scheitern von Israels militärischer Operation ist die Tatsache, dass die Hamas in der Lage war, Raketen auf Tel Aviv und Jerusalem abzufeuern und so ein weiteres ihrer strategischen Ziele erreicht hat: Sie konnte (ein weiteres Mal) zeigen, dass sie in der Lage ist, dem militärischen Druck Israels standzuhalten.

Lev Grinberg; Foto: wikimedia
Lev Grinberg: "Je mehr Israel versucht, einen Waffenstillstand durch eine Gewalteskalation zu erzwingen, desto mehr Prestige wird die Hamas gewinnen und desto mehr wird Israel an Ansehen verlieren"

​​Je mehr Israel also versucht, einen Waffenstillstand durch eine Gewalteskalation zu erzwingen, desto mehr Prestige wird die Hamas gewinnen und desto mehr wird Israel an Ansehen verlieren.

Die gegenwärtigen Ereignisse machen deutlich, dass die Hamas ihren Ruf im Arabischen Frühling in der arabischen Welt und der internationalen Gemeinschaft aufpolieren konnte. Die Operation "Säule der Verteidigung" zeigt, dass die Hamas in jeder Situation die Oberhand gewinnt, selbst wenn ein bedingungsloses Waffenstillstands-Abkommen unterzeichnet wird: Sie hat den israelischen Angriff überstanden und wird in der Lage sein, sich für kommende Angriffe zu rüsten. Die einzige Möglichkeit für Israel, weiterer Gewalt vorzubeugen, liegt in Verhandlungen mit der Hamas.

Ich kann mir nicht erklären, welche Gedanken den Entscheidungsträgern durch den Kopf gegangen sind, als sie sich zum Angriff auf den Gaza-Streifen entschlossen. Sicher ist jedoch, dass sie kurzsichtig waren (vielleicht auch durch die bevorstehenden Wahlen geblendet, wie mach einer sagt), denn weder haben sie politische Ziele für die Operation festgelegt, noch erklärt, wie sie sich das Ende des Konflikts und die Zeit danach vorstellen.

Ich hoffe wirklich, dass bald jemand beginnt, in politischen Begriffen zu denken: Demokratie basiert auf der Idee, Konflikte durch Dialog und nicht durch einseitigen Zwang zu lösen.

Lev Grinberg

© Qantara.de 2012

Lev Grinberg ist Professor für politische Soziologie an der Ben-Gurion-Universität in Tel Aviv. Er war Mitbegründer der arabisch-jüdischen Studentenbewegung von 1974. 2007 erschien sein Buch "Imagined Peace, Discourse of War: The Failure of Leadership, Politics and Democracy in Israel, 1992-2006".

Übersetzt aus dem Englischen von Laura Overmeyer

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de