Islamischer Religionsunterricht in den Ländern auf Sparflamme

Der Ausbau des islamischen Religionsunterrichts kommt in Deutschland mit seinen bis zu 4,3 Millionen Muslimen nur langsam voran. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen: vom Regelfach Islam-Unterricht für Tausende Schüler (Nordrhein-Westfalen, Berlin) über Modellprojekte (Baden-Württemberg) und schrittweise Entwicklung (Hessen) bis zur Fehlanzeige in den Ost-Ländern mit sehr geringem Muslim-Anteil.

Dabei ist ein staatlich beaufsichtigter islamischer Religionsunterricht für Experten ein Baustein, um das Abgleiten von Jugendlichen in den Extremismus zu vermeiden. «Der religiöse Analphabetismus ist Fakt», bedauert Ismail Yavuzcan vom Tübinger Lehrstuhl Religionspädagogik des Zentrums für islamische Theologie. Etwa 60 Prozent der jungen Muslime in Deutschland erhielten weder in Schule noch Moschee echte Unterweisung, schätzt der Wissenschaftler.

Nach einer Potenzial-Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz (DIK) von 2008 könnten bis zu 650.000 Schüler von 6 bis unter 18 Jahren an einem islamischen oder alevitischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Deutschland teilnehmen - wenn es überall Angebote gäbe.

NORDHREIN-WESTFALEN führte 2012/13 islamischen Religionsunterricht ein und sieht sich als Vorreiter. Gab es den bekenntnisorientierten Unterricht zunächst nur an Grundschulen, so wurde er 2013/14 auf weiterführende Schulen ausgedehnt. Derzeit unterrichten 64 Lehrer rund 6.500 Schüler an 92 Schulen. Staatlicher Regelunterricht sei «ein Stück gelebte Integration» und «gerade in der aktuellen Situation ein wichtiges Signal», sagte die grüne NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann angesichts der Debatte über islamistischen Extremismus und Islamkritik. In NRW leben rund 320.000 muslimische Schüler. Neben Religionsunterricht gibt es auch das Fach Islamkunde - und in Münster einen Lehrstuhl Islamische Theologie.

NIEDERSACHSEN baute den Islam-Religionsunterricht 2013/14 nach fast zehnjährigem Modellversuch zum Regelfach aus. Derzeit erhalten laut Kultusministerium an 55 Schulen fast 2.400 Kinder der Jahrgänge 1 bis 5 den Unterricht. Insgesamt sind landesweit etwa 49.000 Schüler Muslime. Aus Sicht der rot-grünen Regierung bildet das Fach «einen wertvollen Beitrag zur religiösen Identitätsbildung», sei Schlüssel zur Integration und «wichtiger Baustein bei der Präventionsarbeit».

BERLIN hat schon länger islamischen Religionsunterricht - er wird von der Islamischen Föderation angeboten, die dafür Geld vom Land bekommt. 2014/15 besuchen 4.849 Schüler den Unterricht. Der Trend ist allerdings rückläufig: Im Schuljahr davor waren es noch 5.211 gewesen.

BADEN-WÜRTTEMBERG hat seit 2006/07 ein Modellprojekt zum Islam-Unterricht, das die grün-rote Landesregierung bis zum Schuljahr 2017/18 verlängert hat. Bislang nehmen mehr als 2.000 Kinder an 31 Schulen teil. Insgesamt leben im «Ländle» gut 600.000 Muslime, für den Unterricht kommen davon rund 70.000 infrage. Damit aus dem Modellversuch Regelunterricht werden kann, sind laut Regierung bestimmte Voraussetzungen nötig. So müsse es einen Ansprechpartner in Form einer anerkannten Religionsgemeinschaft geben.

BAYERN will die Angebote für Muslime an seinen Schulen ausweiten. In den nächsten fünf Jahren soll es an mehr als 100 weiteren Schulen die Möglichkeit geben, Islam-Unterricht zu besuchen. Rund 94.000 Kinder und Jugendliche an den allgemeinbildenden Schulen sind Muslime. Im vergangenen Schuljahr besuchten 11.500 Schüler an 261 Schulen den Islam-Unterricht - darunter nur zwei Gymnasien. Landesweit gibt es 65 Islam-Lehrerstellen im CSU-regierten Bayern, an der Uni Erlangen-Nürnberg studieren rund 40 Lehramtsanwärter das Fach.

HESSEN führte im Schuljahr 2013/14 den Islam-Unterricht ein. Das schwarz-grün regierte Land geht schrittweise vor: Der Unterricht wurde zunächst an 27 Schulen in der ersten Klasse angeboten, derzeit steht das Fach für 1.180 Erst- und Zweitklässler an 38 Grundschulen auf dem Stundenplan. Im nächsten Schuljahr kommen laut Ministerium weitere hinzu. Eine erste Islamlehrer-Generation wird in Gießen (Grundschulen) und Frankfurt (weiterführende Schulen) ausgebildet.

RHEINLAND-PFALZ erteilt nach Angaben des Bildungsministeriums islamischen Religionsunterricht «immer in deutscher Sprache, auf der Basis eines vom Land (mit)erarbeiteten Lehrplans». In dem rot-grünen Bundesland leben etwa 30.000 Schüler muslimischen Glaubens. An fünf Grundschulen gibt es islamischen, an drei weiteren einen alevitischen Religionsunterricht, daneben an sieben Schulen in der Sekundarstufe I Islam-Unterricht im Rahmen eines Modellprojekts.

Das SAARLAND will im nächsten Schuljahr per Modellversuch islamischen Religionsunterricht ab Klassenstufe 1 in deutscher Sprache anbieten. Im kleinsten Flächenland leben rund 8.600 schulpflichtige Muslime.

SCHLESWIG-HOLSTEIN erteilt islamkundlichen Unterricht, also keinen islamischen Religionsunterricht. An den öffentlichen Schulen wurden zuletzt 14.124 junge Muslime unterrichtet.

BREMEN hat ebenfalls keinen eigenständigen Islam-Unterricht. Zum neuen Schuljahr wurde das übergreifende Fach Religion als Ersatz für den bisherigen biblischen Geschichtsunterricht eingeführt. Bei der Planung zogen Vertreter von Kirchen und Religionen an einem Strang.

HAMBURG geht nach Behördenangaben mit «Religionsunterricht für alle» einen einzigartigen Weg: «Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Glaubensvorstellungen werden gemeinsam im Klassenverband in Religion unterrichtet.» 2012 erkannte die Hansestadt in Verträgen mit drei muslimischen Verbänden und der alevitischen Gemeinde diese als Religionsgemeinschaft an. Mit ihnen entwickelt man seitdem das Konzept des Religionsunterrichts für alle so weiter, «dass er von den Religionsgemeinschaften gleichberechtigt verantwortet werden kann».

BRANDENBURG berücksichtigt den Islam nur im Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (L-E-R). MECKLENBURG-VORPOMMERN hat keinen islamischen Unterricht, die Einführung eines solchen Angebotes sei derzeit auch nicht geplant.

THÜRINGEN, SACHSEN-ANHALT und SACHSEN bieten ebenfalls keinen Islam-Unterricht in Schulen an. «Es sind derzeit zu wenig Schüler mit diesem Migrationshintergrund im Freistaat», sagte ein Sprecher des Erfurter Bildungsministeriums. (Werner Herpell/dpa)