Gipfel islamischer Staaten fordert Schutztruppe für Palästinenser

Der türkische Präsident Erdogan gehört zu den schärfsten Kritikern der israelischen Regierung. Nach der Gewalt in Gaza hat er einen islamischen Sondergipfel einberufen - der nun eine zentrale Forderung beschließt, die kaum Chancen auf Verwirklichung haben dürfte.

Nach der Gewalt israelischer Soldaten in Gaza hat ein Sondergipfel islamischer Staaten den Einsatz einer internationalen Truppe zum Schutz der Palästinenser gefordert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte zum Abschluss des Treffens der Organisation für islamische Kooperation (OIC) in Istanbul, eine solche Friedenstruppe könne nach dem Vorbild der Einsätze in Bosnien oder dem Kosovo gebildet werden.

In der Abschlusserklärung des Gipfels forderten die OIC-Staaten am letzten Freitag «den internationalen Schutz der palästinensischen Bevölkerung einschließlich der Entsendung einer internationalen Schutztruppe». Erdogan sagte, die Palästinenser «verlieren ihre jungen Kinder jeden Tag an den israelischen Terror» und müssten daher geschützt werden. «Genauso wie eine Friedenstruppe in Bosnien-Herzegowina und auf dem Kosovo eingesetzt wurde, ist es notwendig, auch hier eine solche Truppe einzusetzen.»

Details zu einer Friedenstruppe wurden in der OIC-Erklärung nicht genannt. Eine internationale Schutztruppe dürfte kaum Chancen darauf haben, verwirklicht zu werden: Weder Israel noch die USA dürften einen solchen Einsatz akzeptieren. Die Türkei hat derzeit den rotierenden OIC-Vorsitz inne.

Erdogan verglich das Vorgehen Israels gegen Palästinenser in Gaza mit Methoden der Nationalsozialisten. «Zwischen der Grausamkeit, die vor 75 Jahren in Europa an den Juden begangen wurde, und der Brutalität, der unsere Brüder aus Gaza heute ausgesetzt sind, besteht überhaupt kein Unterschied», sagte er. «Die Kinder der Menschen, die im Zweiten Weltkrieg in Konzentrationslagern auf jede erdenkliche Weise gefoltert wurden, greifen heute leider mit Methoden, die denen der Nazis quasi in nichts nachstehen, unschuldige Palästinenser an.»

In der Abschlusserklärung des Gipfels kündigten die OIC-Staaten an,  Israel werde für den «vorsätzlichen Mord von mindestens 60 Zivilisten» am vergangenen Montag zur Rechenschaft gezogen werden. Sie drohten jenen Ländern mit «politischen, wirtschaftlichen und anderen Maßnahmen», die dem Beispiel der USA folgten, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und ihre Botschaft dorthin verlegten.

Die OIC-Staaten riefen die Vereinten Nationen außerdem dazu auf, eine internationale Untersuchungskommission zu der Gewalt in Gaza ins Leben zu rufen. Kurz zuvor hatte der UN-Menschenrechtsrat bereits beschlossen, eine unabhängige Untersuchungskommission in den Gazastreifen zu schicken. Experten sollten prüfen, ob dort das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte verletzt wurden, wie es in einer am Freitag in Genf verabschiedeten Resolution hieß. 29 Länder sprachen sich dafür aus, die USA und Australien dagegen. 14 Länder enthielten sich der Stimme, darunter Deutschland.

Israel wies die Resolution als einseitig zurück. «Sie beweist einmal mehr, dass es sich um eine Organisation mit einer automatischen anti-israelischen Mehrheit handelt, in der Heuchelei und Absurdität die Oberhand haben», hieß es in einer Mitteilung des Außenministeriums in Jerusalem. Auch der UN-Sicherheitsrat zieht die Entsendung einer «internationalen Schutzmission» in den Gazastreifen in Erwägung. Dem von Kuwait erstellten Resolutionsentwurf droht allerdings ein Veto von den eng mit Israel verbündeten USA.

Bei einer Großkundgebung unmittelbar vor dem OIC-Gipfel rief Erdogan Muslime weltweit dazu auf, nach dem Vorgehen Israels in Gaza Geschlossenheit zu zeigen. Israelis forderte er auf, sich gegen die Politik ihrer Regierung zu stellen. «Ich hoffe, dass ein Volk, das Holocaust-Opfer ist, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht billigen wird, die ihr eigener Staat an einem anderen Volk begeht.» Erdogan warf Israel erneut «Staatsterror» vor. 

Am vorletzten Montag hatten die USA ihre Botschaft in Jerusalem eröffnet. Im Gazastreifen kam es parallel zu gewaltsamen Protesten. Nach Informationen des Gaza-Gesundheitsministeriums gab es am Montag 60 Tote, am Dienstag zwei weitere. Insgesamt wurden an beiden Tagen rund 3000 Palästinenser verletzt.

Erdogan übte auch scharfe Kritik an den USA. «Die Vereinigten Staaten von Amerika haben Israel belohnt, das mit seiner Besatzungspolitik dem Apartheidregime in nichts nachsteht, und die Palästinenser bestraft, die immer wieder bewiesen haben, dass sie Frieden wollen», sagte er. «An den Händen der Vereinigten Staaten von Amerika, die mit ihrer Jerusalem-Entscheidung den Boden für Israels Massaker bereitet haben, klebt das Blut von unschuldigen Palästinensern.»

Erdogan hatte den Gipfel der OIC, die 57 Staaten umfasst, am Dienstag einberufen. Auf der Teilnehmerliste des türkischen Außenministeriums fanden sich neben Erdogan nur zwölf Staats- und Regierungschefs.  

Seit dem 30. März kamen bei den Protesten am Grenzzaun in Gaza nach Angaben des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, mehr als 100 Menschen ums Leben. Mindestens 87 Palästinenser seien von israelischen Soldaten erschossen worden. Er wies Erklärungen Israels zurück, dass die Sicherheitskräfte alles täten, um die Opferzahlen so niedrig wie möglich zu halten: «Dafür gibt es so gut wie keine Anzeichen.» Die Palästinenser seien unter Israel als Besatzungsmacht «eingepfercht in einen giftigen Slum von der Geburt bis zu Tod, jeder Würde beraubt.»

Bei neuen Konfrontationen an der Gaza-Grenze wurden am letzten Freitag mehrere Palästinenser verletzt. Zuvor hatten Palästinenser Lenkdrachen mit Brandsätzen auf die israelische Seite der Grenze fliegen lassen. Dadurch wurden mehrere Brände ausgelöst, begünstigt durch eine Hitzewelle in der Region.

Der Präsidentschaftskandidat der größten türkischen Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, warf Erdogan vor, mit der Großkundgebung in Istanbul Wahlkampf zu betreiben. Am 24. Juni werden in der Türkei erstmals zeitgleich ein neues Parlament und ein Präsident gewählt. (dpa)