Kulturrevolution zur besten Sendezeit

Es war ein Stück Fernseh- und Demokratiegeschichte, das live vor den Augen von Millionen ägyptischen Fernsehzuschauern geschrieben wurde. Das erste Mal traten die beiden Favoriten Amr Moussa und Abdel Moneim Aboul Fotouh für das höchste Amt am Nil in einem Fernsehduell auf. Von Karim El-Gawhary

Kairos Straßen waren wie bei einem Spiel der ägyptischen Nationalmannschaft leergefegt, die Cafés waren voll mit Schaulustigen, die den Schlagabtausch verfolgten: das Fernsehduell zwischen Amr Moussa, dem ehemaligen Generalsekretär der Arabischen Liga und ehemaligem Außenminister unter Mubarak und Abdel Moneim Aboul Fotouh, einem Arzt und Aussteiger aus der islamistischen Muslimbruderschaft.

Viele trafen sich im Freundeskreis zu Hause, um sich den TV-Zweikampf zu Hause anzusehen. Dem Ruf, dass Kairo nie schläft, wurden auch Dauer und Sendezeit der Ausstrahlung gerecht. Vier Stunden lang, bis um zwei Uhr morgens, schenkten sich die Kandidaten nichts und kämpften teilweise mit harten Bandagen, vor allem wenn es darum ging den Gegner zu diskreditieren.

Immer wenn in der nach US-Vorbild strikt geregelten Debatte, die von mehreren unabhängigen privaten Fernsehstationen ausgestrahlt wurde, neben einer festgelegten Reihe von 24 Fragen der Moderatoren und einer zweiminütigen Antwort, die Kandidaten zwischendrin die Gelegenheit bekamen, sich gegenseitig zu befragen, wurde die Diskussion hitzig.

Wahlplakat Abdel Moneim Aboul Fotouhs in Kairo; Foto: dapd
Politischer Hoffnungsträger oder Kompromisskandidat? Aboul Fotouh gilt vielen Ägyptern als gemäßigter und unabhängiger Politiker, seitdem er der Muslimbruderschaft den Rücken gekehrt hat. Selbst die Salafisten wollen Abul Fotouh unterstützen, nachdem ihr Kandidat von der Wahlkommission ausgeschlossen worden war und der Kandidat der Muslimbruderschaft keine politische Alternative für sie darstellt.

​​Moussa stellte Aboul Fotouh, der die Muslimbruderschaft aus ideologischen Gründen 2011 verlassen hatte, weil sie ihm zu konservativ war und um selbst für die Präsidentschaft zu kandidieren, immer noch als verkappten Islamisten mit einer geheimen Tagesordnung dar.

Er warf ihm auch seine Verbindungen zur sogenannten "Islamischen Gruppe" an der Universität vor, die später militant wurde. Am Ende warnte er die Zuschauer, dass das Land mit Aboul Fotouh als Präsidenten zu den Zeiten des Terrors und der Unsicherheit zurückkehren würde.

Ein Mann des alten Regimes?

Aboul Fotouh seinerseits konterte, indem er Moussa als Mann des Mubarak-Regimes beschrieb, der auch als Generalsekretär der Arabischen Liga einmal öffentlich die Wiederwahl Mubaraks propagiert hatte. "Ich möchte von Ihnen ein einziges Wort der Opposition hören, das Sie damals dem Mubarak-Regime entgegengebracht haben", sagte Aboul Fotouh, der unter Mubarak und dessen Vorgänger Sadat mehrmals im Gefängnis saß. Während Moussa oft aggressiv auf dem Bildschirm wirkte und aufgebracht mit dem Finger auf seinen Gegner hinter dem Podium neben ihm deutete, bewahrte Aboul Fotouh seine Ruhe.

An anderen Stellen war die Debatte nach vorne gewandt, etwa als die Kandidaten ihre Vorstellungen zum Verhältnis von Religion, Staat und Militär beschreiben sollten, Antworten auf die sozialen Fragen, zum Gesundheitswesen und zur Rolle der Frau geben sollten.

Moussa präsentierte sich dabei stets als der Kandidat mit der größten politischen Erfahrung, um das Land in neue Zeiten zu führen Aboul Fotouh gab sich als Mann der Revolution, indem er zu Beginn der Debatte noch einmal an die Toten des Aufstandes gegen Mubarak gedachte, denen er als Präsident durch einen umfassenden Wandel des Landes gerecht werden wolle.

Dabei hat er eine recht bunte Koalition an Anhängern geschmiedet. Unterstützt wird er von Teilen der Salafisten, der Jugend der Muslimbruderschaft, aber auch von einigen Liberalen und Linken und selbst die Tahrir-Jugendlichen sehen in ihm den geeignetsten der aussichtsreichen Kandidaten. Genau diese widersprüchliche Koalition wurde ihm von Moussa in der Debatte immer wieder vorgeworfen, mit der Frage wie er das in einem Programm miteinander vereinen wolle.

Kandidat der "schweigenden Mehrheit"

Moussa seinerseits vereinigt hinter sich vor allem jene, die Angst vor dem Einfluss der Islamisten auf die Politik haben und die sogenannte "schweigende Mehrheit", die weniger auf einen Wandel, sondern auf eine Rückkehr von Ordnung hofft.

Laut einer letzten Meinungsumfrage eines Politikberatungsinstitutes des Kabinetts, die allerdings vor dem Fernsehduell Anfang Mai stattfand, würden neun Prozent der Befragten Abdel Moneim Aboul Fotouh ihre Stimme geben, gefolgt von dem letzten Premier unter Mubarak, Ahmad Schafiq, mit acht und Moussa mit sieben Prozent. Die anderen zehn Kandidaten kamen auf maximal vier Prozent, darunter auch der offizielle Kandidat der Muslimbruderschaft Muhammad Mursi.

Wahlplakat des ägyptischen Politikers und Diplomaten Amr Moussa in den Strassen von Kairo; Foto: Matthias Tödt
Kopf-an-Kopf-Rennen wahrscheinlich: Wenn nach dem Wahlgang am 23. und 24. Mai kein Kandidat die absolute Mehrheit haben sollte, kommt es zu einer Stichwahl. Ende Juni soll der Oberste Militärrat, der das Land seit dem Abgang von Mubarak kontrolliert, die Macht abgeben.

​​39 Prozent der Wähler haben sich danach noch nicht entschieden, mit einer leichten Mehrheit, die zu Aboul Fotouh tendiert. 17 Prozent der Befragten erklärten sie hätten noch nicht entschieden, ob sie am 23. bis 24. Mai wählen gehen, während acht Prozent keine Angaben machen wollten. Unklar ist allerdings wie verlässlich solche Umfragen im demokratisch unerfahrenen Ägypten sind.

Wahrscheinlich ist aber, dass keiner der 13 Kandidaten auf über 50 Prozent der Stimmen kommen wird, und es im Juni zu einer Stichwahl kommt. Zu Zeiten Mubaraks fand meist nur ein Referendum statt, in dem die Wähler mit "Ja" oder "Nein" stimmen konnten. Nur einmal, im Jahr 2005, waren auch Gegenkandidaten zugelassen.

In jedem Fall gewann Mubarak stets auf wundersame Weise mit rund 90 Prozent der Stimmen. Wie ein Tweet die jetzige vierstündige TV-Debatte kommentierte: "Irgendwo in einem Kairoer Krankenhaus liegt Mubarak und lacht sich ins Fäustchen und denkt, ich musste nicht ein einziges Interview geben, um diesen Job zu bekommen!"

Karim El-Gawhary

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de