Buchmesse-Gast Indonesien kämpft gegen Dämonen der Vergangenheit

Pünktlich zum Auftritt Indonesiens als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse jährt sich das dunkelste Kapitel der Geschichte des Landes zum 50. Mal: Aufgearbeitet sind die Massaker mit Hunderttausenden Toten bis heute nicht. Das schlägt sich auch in der Literatur nieder. Von Ahmad Pathoni und Christiane Oelrich

Jeden Donnerstag steht Bejo Untung mit ein paar Leidensgenossen vor dem Präsidentenpalast in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Seit Jahren geht das schon so. Schwarze Schirme schützen sie vor Regen und gleißender Sonne. «Ende der Straffreiheit» steht auf den Schirmen, und eine zweite Forderung: «Untersucht die Vorgänge 1965/66».

Bejo ist ein mit dem Leben davongekommenes Opfer der antikommunistischen Razzien in jenen Jahren, bei denen nach Schätzungen bis zu eine Million Menschen umgebracht wurden. Das bevölkerungsreichste muslimische Land der Welt mit heute 250 Millionen Einwohnern war Schauplatz eines der schlimmsten Massaker des 20. Jahrhunderts.

Die Pogrome beginnen Ende September vor 50 Jahren, nach einem dubiosen Putsch. Armeechef Suharto erklärt die Kommunisten zum Feind und fasst darunter alle Kritiker zusammen. Er lässt hart durchgreifen, sichert sich 1967 die Macht. Erst 1998 wird der Diktator selbst von einem Volksaufstand aus dem Amt gefegt.

Bejo ist 67 Jahre alt und gezeichnet von der Brutalität, die ihn als Teenager gebrochen hat. Seine Hände zittern. Er saß neun Jahre in Haft, verurteilt wegen angeblicher Agitation für die Kommunisten. «Wir halten hier stillen Protest, weil unsere Forderung nach Gerechtigkeit bis jetzt ignoriert worden ist», klagt er. «Was sollen wir sonst machen?»

Als ehemaliger politischer Häftling habe er keine Chance auf einen richtigen Arbeitsplatz gehabt, sagt Bejo. «Ich musste sehen, wie ich über die Runden komme.» Er unterrichtete schließlich Gitarre, was er sich selbst im Gefängnis beigebracht hatte, und gab Klavierstunden.

Bejos Vater saß 14 Jahre im Gefängnis, drei Onkel wurden nach seiner Schilderung von den antikommunistischen Mobs umgebracht. Politikwissenschaftler sind sich längst einig, dass die Kommunisten den Putsch damals nicht eingefädelt haben. «Geht man davon aus, dass Generalmajor Suharto selbst die Strippen gezogen hat, ist der Putschversuch in Wirklichkeit ein geglückter, sehr raffiniert inszenierter Vorwand für den eigentlichen Putsch gewesen», analysiert Andreas Ufen für das Giga-Institut für Asienforschung.

Suharto hat die Mär von den bösen Kommunisten stets aufrechterhalten. Generationen von Schulkindern mussten Propagandafilme anschauen. Erst 2004 fiel ein Gesetz, das früheren politischen Gefangenen wie Bejo politische Ämter verwehrte. Weitere sechs Jahre dauerte es, bis erstmals Bücher mit einer anderen als der offiziellen Geschichtsversion erlaubt waren. Das mächtige Militär hält bis heute an der Lesart fest, dass die Säuberungen nötig gewesen seien, um das Land zusammenzuhalten.

Erst 2012 sprach die Menschenrechtskommission öffentlich Klartext: Sie dokumentierte Mord, Folter, Vergewaltigung und Vertreibung. Aber die Staatsanwaltschaft sah angeblich nicht genügend Beweise für Anklagen. Der Minister für Sicherheitsangelegenheiten, LuhutnPanjaitan, meinte zum 50. Jahrestag: «Es gibt keinen Anlass für Entschuldigungen. Bei wem? Für was? Es gab auf allen Seiten Opfer.»

Schriftsteller versuchen langsam, die Vergangenheit aufzuarbeiten, dies ist auch ein Schwerpunkt beim Auftritt Indonesiens als Gastland der Frankfurter Buchmesse (13.-18. Oktober). Laksmi Pamuntjak hat in «Alle Farben Rot» die Ereignisse thematisiert und damit 2012 einen Bestseller gelandet. Auch «Rückkehr nach Jakarta» von Leila Chudori befasst sich mit den Dämonen der Vergangenheit.

Darüber hinaus gibt es zwei Filme, die bislang aber nur begrenzt in Indonesien zu sehen sind. US-Regisseur Joshua Oppenheimer brachte zahlreiche Täter für eine Art Dokumentarfilm dazu, ihre Verbrechen vor der Kamera nachzustellen. «Es war nicht richtig, aber wir mussten es tun», sagt einer von ihnen in dem preisgekrönten Werk «The Act of Killing» (2013). Jetzt hat Oppenheimer nachgelegt: In «The Look of Silence» (2015) befragt ein Augenarzt Männer, die seinen Bruder umgebracht haben, wie sie sich heute fühlen. «Wenn Du weiter darin herumrührst, passiert so etwas wieder», warnt einer der Täter.

Lukas Tumiso ist auch ein Opfer. Er hat zehn Jahre Zwangsarbeit auf der berüchtigten Gefängnisinsel Buru erlebt. Eine Entschuldigung wäre das Mindeste, meint er, aber Hoffnung habe er nicht. «Präsident Joko Widodo ist nicht von guten Leuten umgeben», sagt er. Unter seinen Beratern seien Generäle, die Dreck am Stecken hätten. Ein Mitarbeiter des Staatschefs erklärt es so: «Der Präsident ist jung und unerfahren, er kann es sich nicht mit dem Militär verscherzen.» (dpa)

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