Propagandakrieg oder künstlerisch wertvolles Drama?

Kaum eine andere arabische Serie hat eine so große Kontroverse hervorgerufen wie die ägyptische Serie "Die Bruderschaft". Sie behandelt die Geschichte der Muslimbruderschaft und das Leben ihres Gründers Hasan al-Banna. Aus Kairo informiert Nelly Youssef.

​​ Nachdem der berühmte ägyptische Autor Wahid Hamed vor drei Jahren angekündigt hatte, ein Drehbuch für eine TV-Serie über die Geschichte der Entstehung der Muslimbruderschaft und deren Gründer Hassan al-Banna zu verfassen, erwartete die ägyptische Öffentlichkeit diese Serie mit Spannung. Die Erwartungen wurden keineswegs enttäuscht, denn die Serie sorgte seit ihrer Ausstrahlung im Ramadan für anhaltende Kontroversen.

Beginnend mit den Ereignissen im Jahr 2006, schlägt die Serie einen weiten historischen Bogen: Damals demonstrierten Anhänger der Muslimbrüder auf dem Gelände der Azhar-Universität in Kairo gegen die Exmatrikulierung fünf ihrer Mitglieder durch den Direktor der Universität. Danach blickt sie zurück auf das Jahr 1912, in die Zeit der Kindertage Hassan al-Bannas, und endet im Jahr 1949 mit dessen Ermordung.

Seit dem ersten Tag ihrer Ankündigung entbrannte um die Serie ein Streit, der sich immer weiter aufheizte und seinen Höhepunkt erreichte als der Sohn von Hassan al-Banna, Seif al-Islam, schwere Vorwürfe gegen Wahid Hamed, gegen die Produktionsfirma, die ägyptischen TV- und Rundfunkanstalten sowie gegen den ägyptischen Informationsminister erhob.

Sein Vorwurf: Die Serie vermittle ein falsches und historisch verzerrtes Bild sowohl von der Muslimbruderschaft als auch von seinem Vater. Dieser würde dargestellt als ein boshafter, opportunistischer und gewalttätiger Mann, der sehr schnell andere zu Ungläubigen erklärte.

Replik in Form einer eigenen Serie

Im Gespräch mit Qantara.de sagte Seif al-Islam: "Das Ziel der Serie ist ein politisches und kein künstlerisches. Sie soll in Hinblick auf die Parlamentswahlen im November ein geschöntes Bild der Regierung zeichnen und die Muslimbruderschaft dämonisieren."

Er wies zudem darauf hin, dass der Autor der Serie ebenso wie die Produktionsfirma sich nicht mit ihm zusammensetzen wollte, um über seinen Vater zu sprechen. Auch wurde keine Genehmigung der Angehörigen des Gründers der Muslimbruderschaft eingeholt.

Ein Gericht will sich schließlich Ende dieses Monats mit dem Fall beschäftigen. Doch das verärgert die Familie al-Bannas, denn zum Zeitpunkt der Verhandlungen werden bereits alle Folgen der Serie ausgestrahlt worden sein. Die Familie entschloss sich deshalb zu einem anderen Schritt; sie beauftragte eine den Muslimbrüdern nahestehende TV-Produktionsfirma mit der Produktion einer Serie die den Titel tragen soll: "Hassan al-Bannas Reise ist noch nicht zu Ende".
​​
Die Serie ist als direkte Replik auf "Die Bruderschaft" gedacht. Sie wird in Jordanien, Syrien und anderen Golfstaaten gedreht, denn in Ägypten hätte man für die Serie keine Drehgenehmigung erteilt bekommen. Berühmte und anerkannte Schauspieler zu finden, die in der Serie mitwirken wollen, bleibt allerdings ein Problem. Diese befürchten nämlich, sollten sie an der Serie mitwirken, Repressionen seitens der ägyptischen Regierung.

Gamal Nasr, Medienberater des Führers der Muslimbruderschaft, Muhammad Badi, kritisierte, dass die "Die Bruderschaft" einseitig den Standpunkt ihres Autors vertrete. Es sei bekannt, dass Wahid Hamed in seinen früheren Filmen und Serien bereits eine ablehnende Haltung gegenüber der Muslimbruderschaft und der zunehmenden Präsenz der Religion im öffentlichen Leben vertrat.

Muhammed Badi selbst vermutet, dass die Serie augenscheinlich in Absprache mit den ägyptischen Sicherheitskräften entstanden sei. Als Ergebnis zeige Wahid Hamed ein verharmlosendes Bild vom Umgang der Sicherheitskräfte der Polizei mit den Anhängern der Muslimbrüder. Über diese Darstellung könne er nur lachen; er sei sich sicher, dass die Öffentlichkeit sehr wohl wisse, wie die Polizei wirklich mit den Muslimbrüdern umgehe, und zwar mit Gewalt und Grausamkeit.

"Elektronischer Feldzug"

Die Kritiker der Serie haben mittlerweile auch Facebook für sich entdeckt. So entfesselten sie einen Feldzug im Internet indem sie Gruppen auf Facebook gründeten zur, wie sie es nannten, "Abwehr der Lügen Wahid Hameds".

Jede ausgestrahlte Episode von "Die Bruderschaft" wurde von diesen Gruppen genau unter die Lupe genommen. Objektivität war in diesen Diskussionen allerdings nicht immer Trumpf. Die User warteten geradezu auf Fehler, die sie ankreiden konnten. Zuweilen verloren sich die Analysen in Beschimpfungen des Autors oder in Klatsch und Tratsch über die Schauspieler.

Schnell formierte sich allerdings auch eine ebenso starke Bewegung, die "Die Bruderschaft" verteidigte. Sie sahen in ihr vor allem eine herausragende künstlerische Arbeit, die Wahrheiten aufdecke, die die Muslimbruderschaft seit langer Zeit zu verbergen suche.

Magdi Abd al-Ghani, Journalist einer offiziellen ägyptischen Regierungszeitung, sagte im Gespräch mit Qantara.de, dass er die Serie ausgezeichnet finde: "Sie zeichnet ein akkurates Bild der Wirklichkeit der Muslimbruderschaft und ihrer Gedankenwelt. Die harsche Kritik von Seiten der Muslimbrüder kommt in Wirklichkeit daher, dass diese nicht sonderlich gerne etwas über ihre Gedankenwelt, ihre Organisationsstruktur sowie ihre Finanzpraxen preisgeben."

Hassan al-Banna als Mensch, nicht als Prophet

Laut Abd al-Ghani ist die Serie in ihrer Darstellung der Muslimbruderschaft und ihrem Gründer al-Banna neutral und schildert diesen als politisch engagierten Menschen, der wie alle andere Menschen auch Fehler machte. Genau diese Art der Darstellung aber gefalle den Muslimbrüdern nicht, die sich selber als vorbildlich tugendhaft präsentieren.

Wahid Hamed; Foto: Nelly Youssef
Wahid Hamed, der Drehbuchautor der Serie, erklärt: "Meine Arbeit ist ein künstlerisches Werk, das zum Denken anregen soll und weit davon entfernt ist, eine bestimmte religiöse Richtung zu propagieren."

​​ Wahid Hamed lehnt es derweil ab, auf all die Anschuldigungen seiner Kritiker einzugehen. Im Gespräch mit Qantara.de stellte er klar, dass er sich erst zu den vielfältigen Anschuldigungen äußern wird, nachdem alle Episoden seiner Serie im Fernsehen ausgestrahlt wurden. Allerdings wies er bereits darauf hin, dass seine Serie keineswegs eine politische Absicht verfolge: "Meine Arbeit ist ein künstlerisches Werk, das zum Denken anregen soll und weit davon entfernt ist, eine bestimmte religiöse Richtung zu propagieren."

Unterhaltung statt politische Botschaft

Was die Gegner der Serie konnten, konnten auch ihre Befürworter und so gründeten sie ihrerseits Gruppen auf Facebook. Mitglieder der Gruppe "Die Bruderschaft – Aufruf zum Nachdenken und zur Diskussion" beschrieben die Serie als großartigstes Drama in der Geschichte der arabischen Medien. Sie zeige ihrer Meinung nach, wie die Muslimbrüder ticken und wie sie unter dem Deckmantel der Religion versuchen, die Menschen zu manipulieren.

"Die Bruderschaft" entlarve das Phänomen der neuen Fernesehprediger, die eigentlich an nichts anderem interessiert seien als an finanziellem Profit. Auch auf die Verbindung zwischen den Muslimbrüdern und dem saudischen Wahhabismus weise die Serie hin, ebenso wie auf den Versuch der Muslimbrüder, den Niqab und die Bartpflicht bei Männern zu verbreiten.

Hassan al-Banaa ; Foto: DW
Hassan al-Banna (1906-1949), Begründer der Muslimbruderschaft: "Die harsche Kritik von Seiten der Muslimbrüder kommt in Wirklichkeit daher, dass diese nicht sonderlich gerne etwas über ihre Gedankenwelt, ihre Organisationsstruktur sowie ihre Finanzpraxen preisgeben", sagt der Journalist Abd al-Ghani.

​​ Die Muslimbrüder, so die Unterstützer der Serie, "wollen Ägypten zu einem zweiten Iran verwandeln." Ihre Neutralität beweise "Die Bruderschaft" auch dadurch, dass sie das ägyptische Regime durchaus kritisch darstellt. So zum Beispiel in einer Szene mit dem berühmten Schauspieler Ezat al-Alaily als er seine Figur, einen Muslimbruder, sagen lässt: "Die Regierung produziert das Leid der Bevölkerung, und die Muslimbrüder bauen auf diesem Leid ihre Popularität auf. Aber in Wirklichkeit interessiert sich doch niemand für die Menschen."

Neben den Unterstützern und den Gegnern der Serie gibt es aber noch eine dritte Gruppe: Laut Statistiken hat ein Großteil der einfachen Bevölkerung die Serie überhaupt nicht gesehen. Weil die Serie zu einer Zeit läuft, in der die meisten Menschen doch lieber Komödien oder Soaps sehen, und intellektuell fordernd ist, interessiert sie bei weitem nicht jeden in Ägypten.

Die meisten Leute, die die Serie verfolgt haben, wollten sich nur unterhalten lassen, ohne sich über ihren politischen Subtext großartig Gedanken zu machen. Es ist vor allem die Emotionalität, die den Zuschauer in ihren Bann zieht, und nicht die ihr zugrunde liegende politische Aussage. So stellt der Schauspieler Iyad Nassar den Gründer der Muslimbrüder Hassan al-Banna mit viel Emotionalität und menschlicher Tiefe als frommen Muslim dar, der den Islam und das Wort Gottes predigte. Eine Darstellung, die viele Ägypter anspricht.

Popularität der Muslimbrüder steigt an

Der politische Analyst Mohammed Gamal erklärte im Interview mit Qantara.de, dass die Serie nicht das bewirkte, was deren Schöpfer sich vorgestellt hatten: "Entgegen aller Absichten trägt die 'Die Bruderschaft' nämlich noch zur Popularität der Muslimbrüder bei. Zwar versuchte sie, den Mythos Muslimbrüder zu entzaubern und zu desavouieren, doch sie versuchte es mit Hilfe philosophischer Betrachtungen, die der Großteil der einfachen Bevölkerung nicht nachvollziehen konnte."

Statt die Regierungspropaganda von der Muslimbruderschaft als Terrororganisation zu unterstützen, geriet die Serie vielmehr zu einer kostenlosen Propaganda für die Muslimbrüder. Und so ist es ihr zu verdanken, dass die Zahl der verkauften Bücher, die sich mit der Geschichte der Muslimbrüder und al-Bannas beschäftigen, rasant anstieg. Die Zeit der erfolgreich von der Regierung verordneten medialen Abschottung der Muslimbrüder ging mit der Serie endgültig zu Ende.

Nelly Youssef

© Qantara.de 2010

Übersetzung aus dem Arabischen: Christian Horbach

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

Qantara.de

Kommunalwahlen in Ägypten
Muslimbrüder im Visier
Ägyptische Sicherheitskräfte gehen massiv gegen die Muslimbruderschaft vor. Die Islamisten-Organisation spricht von einer Kampagne im Vorfeld der Kommunalwahlen. Auch Menschenrechtler kritisieren die repressive Politik des Mubarak-Regimes. Einzelheiten von Rainer Sollich.

Die Muslimbruderschaft
Richtungsstreit um demokratische Öffnung
Die Muslimbruderschaft ist in vielen arabischen Staaten und insbesondere in Ägypten die bedeutendste politische Oppositionskraft. In der ältesten und größten politischen Organisation der islamischen Welt ist jedoch ein fundamentaler Richtungsstreit ausgebrochen. Hintergründe von James M. Dorsey

Interview Wahid Hamed
Ägyptischer Film "Das Haus Yacoubian" bricht mit allen Tabus
Seit Jahren erregte kein ägyptischer Kinofilm so breites öffentliches Interesse wie der Film "Das Haus Yacoubian". Drehbuchautor Wahid Hamed spricht über die Gerichtsprozesse, die gegen den Film angestrengt wurden, und über die freie Meinungsäußerung in Ägypten.