Berlinerin mit Herz und Parteibuch

Emine Demirbüken-Wegner wurde im Dezember 2004 in den Bundesvorstand der CDU gewählt. Sie ist die erste Deutsche in diesem Gremium mit Migrationshintergrund. Im Interview mit Dagmar Trüpschuch spricht sie über deutsche Leitkultur und Integration.

Seit Dezember 2004 sind Sie Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Frau Demirbüken-Wegner, was bedeutet diese Wahl für Sie?

Emine Demirbüken-Wegner: Es ist zunächst einmal eine große Ehre für mich und ein Vertrauensbonus von meiner Partei auf Bundesebene, dass auch Migranten der Weg frei gemacht wird, wenn sie dementsprechend aktiv in der Politik agieren und Leistungen zeigen. Insofern ist meine Wahl ein richtiger und wichtiger Schritt in der vielfältigen Gesellschaft.

Sie wurden mit 66,8 % Prozent der Stimmen Ihrer Partei in den Bundesvorstand gewählt. Lässt das auf einen Stimmungsumschwung in den Reihen der CDU schließen bzgl. der bislang verfolgten Ausländerpolitik?

Demirbüken-Wegner: Stimmungsumschwung? Ich weiß nicht was sie damit meinen.

Bislang ist die CDU nicht gerade bekannt für ihre ausländerfreundliche Politik.

Demirbüken-Wegner: Ich denke, das ist etwas, wofür die Union wenig kann. Ich bin immer diejenige gewesen in den eigenen Reihen, insbesondere in Berlin, die seit Jahren auf unsere gute Integrationspolitik und inhaltlichen Konzepte hingewiesen hat, aber irgendwie haben wir kein Gehör gefunden.

Als Opposition ist es sehr schwierig sich bezüglich Inhalte und Sachthemen Gehör zu verschaffen. Es ist in den letzten Jahren immer sehr einfach gewesen der Union eher eine ausländerfeindliche Etikettierung zu geben, als sich mit den inhaltlichen Themen der Partei auseinander zu setzen.

Aber beispielsweise die Unterschriftensammlung in Hessen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ist doch nicht unbedingt ein integrativer Vorgang?

Demirbüken-Wegner: Ich kann Ihnen bezüglich dieses Falles zehn weitere erfolgreiche integrative Maßnahmen nennen, die in der Öffentlichkeit kein Gehör gefunden haben. Insofern hinken diese Vergleiche.

Wieso fühlen Sie sich gerade in der CDU zu Hause und sind nicht Mitglied beispielsweise der Grünen oder der SPD?

Demirbüken-Wegner: Weil ich diese Partei nicht mit der Brille einer Türkin ausgesucht habe. Ich habe das Selbstverständnis, ein Mensch zu sein, der seit vielen Jahren in Deutschland, in Berlin lebt und sich über die Stadt und über ihre Gesellschaft identifiziert. Insofern waren mir Inhalte wichtig, wo ich mich am meisten wieder gefunden habe. Wie zum Beispiel in der Familien-, Innen- und Sicherheitspolitik.

Sicherlich gibt es immer wieder Sachthemen, wo man kontrovers in der Partei steht oder auch kontroverse Inhalte vertritt. Aber das ist ganz normal in einer demokratischen Volkspartei. Da gibt es die Stimmvielfalt, da gibt es unterschiedliche Meinungen und das ist in einer pluralistisch-demokratischen Volkspartei auch unabdingbar, sonst würde es ja eine Stagnation geben.

Frau Demirbüken-Wegner, Sie sind Muslima. Wie vereinbart sich das groß geschriebene und gern betonte "C" für christlich in der Christlich-Demokratischen-Union mit ihrer Religion?

Demirbüken-Wegner: Perfekt vereinbart sich das. Zumal die Religionen Islam, Christentum und Judentum drei abrahamitische Religionen sind, drei Weltreligionen, die in ihren Inhalten viel mehr Gemeinsames haben als Trennendes. Das ist in der Öffentlichkeit sehr mangelhaft bekannt. Ich arbeite seit vielen Jahren für den interreligiösen Dialog und lebe ihn auch in meiner interkulturellen und interreligiösen Ehe.

Gibt oder gab es keine innerparteilichen Schwierigkeiten oder Auseinandersetzungen aufgrund Ihres Glaubens?

Demirbüken-Wegner: Nein. Im Gegenteil. Man war sehr interessiert aufgrund des Glaubens und ich bin zu sehr vielen Veranstaltungen eingeladen worden, wo ich über den Islam sprechen und informieren konnte und wir sehr fruchtbare Gespräche hatten. Diese Gespräche dauern heute noch immer an.

Sie treten beispielsweise für einen EU-Beitritt ein, die Vorstandsebene der CDU ist gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU? Wie ist das für Sie?

Demirbüken-Wegner: Ich habe gesagt, in der Politik kann es auch sein, dass man in unterschiedlichen Themenfeldern nicht immer einer Meinung ist und das ist z.B. so ein Feld. Man muss abwarten. Die Türkei hat jetzt einen Beitrittsverhandlungstermin bekommen. Jetzt ist die Türkei gefragt. Sie muss ihre Reformprozesse und die verabschiedeten 350 Gesetze in den nächsten Jahren umsetzen.

Wir werden in weiter Zukunft sicherlich noch öfters über die Entwicklungsprozesse debattieren. Aber festzuhalten ist meines Ermessens, dass man mit der Türkei genauso umgehen sollte wie mit den anderen Beitrittsländern; d. h. nämlich der Türkei eine faire Chance geben, sich entwickeln zu dürfen.

Und Sie meinen, dass es in der CDU zu einem Stimmungsumschwung bezüglich des EU-Beitritts der Türkei kommen könnte?

Demirbüken-Wegner: Ich bin nicht die einzige Stimme, die auf eine Vollmitgliedschaft plädiert, wenn die Türkei die Voraussetzungen erfüllen sollte. Es gibt noch so einige in der Partei, die in eine ähnliche Richtung denken wie ich. Und wir werden selbstverständlich noch viele gemeinsame Gespräche diesbezüglich führen müssen.

Was verbinden Sie mit dem Begriff "deutsche Leitkultur"?

Demirbüken-Wegner: Sicherlich ist dieses Thema in der Öffentlichkeit und auch in den eigenen Reihen ungenügend diskutiert worden. Es gibt keine Diskussion über die deutsche Leitkultur. Der Begriff Leitkultur ist eigentlich ein von Dr. Bassam Tibi geprägter Begriff (syrischer Philosoph und Sozialwissenschaftler), der immer wieder gesagt hat, er habe nie über die deutsche Leitkultur, sondern immer über eine europäische Leitkultur gesprochen.

Wenn wir aber über die deutsche Leitkultur sprechen und damit meinen, dass man einen gemeinsamen Wertekanon entwickeln und besitzen sollte, sich an der Werte- und Rechtsordnung des Landes orientieren sollte, sich auf den Boden der Verfassung, des Grundgesetzes bewegen sollte, Gleichheit von Mann und Frau achten sollte – dann habe ich nichts dagegen.

Nur geistert bislang der Begriff „deutsche Leitkultur“ durch die Lande, ohne richtig benannt worden zu sein.

Demirbüken-Wegner: Die Definition liegt in der Richtung, wie ich sie aufgezählt habe. Rechtsordnung, Werteordnung, Verfassung, Grundgesetz, Gleichheit Mann und Frau, deutsche Sprache, Toleranz, Pluralismus, Demokratie. Ich habe gegen all diese wunderbaren Begriffe nichts. Im Gegenteil, sie müssen in der Gesellschaft stärker verfestigt werden, weil wir eine Gesellschaft sind, die nicht mehr homogen, sondern sehr bunt und sehr vielschichtig ist, und wir natürlich daran arbeiten müssen, eine – Frau Merkel hat das mal gut formuliert – Schicksalsgemeinschaft zu werden.

Integration bei Wahrung kultureller Eigenheiten, wo beginnt das für Sie und wo hört das auf?

Demirbüken-Wegner: Man kann keine statischen Werte nennen. Wenn man in eine Gesellschaft einwandert, wie es in Deutschland in den letzten 45 Jahre passiert ist, dann setze ich natürlich voraus, dass die deutsche Sprache erlernt werden muss, die Verfassung und das Grundgesetz geachtet, die Rechts- und Werteordnung, sowie die Gleichberechtigung von Frauen und Männer akzeptiert werden.

Wenn diese Regeln als ein gemeinsamer Wertekanon verstanden und akzeptiert wird, spricht nichts dagegen, dass jeder seine eigenen kulturellen Werte, sei es religiöser oder sprachlicher Art weiterhin pflegt. Ich bin vielleicht für diese Gesellschaft eine ziemlich überintegrierte Person. Nichtsdestotrotz ist es aber auch für mich wichtig, die türkische Sprache weiterhin sprechen zu können, meine Feiertage auch so erleben zu können, wie ich die christlichen Feiertage erlebe, und gewisse Werte, die ich aus meiner anderen Kultur mitgebracht habe, beibehalten zu können.

Man kann ja nicht ein Stück seiner Identität, die man aus dem Elternhaus mitgebracht hat, einfach in den Papierkorb werfen. Dann gibt man sich selber auf. So gelingt auch keine erfolgreiche Integration, wenn man nicht mehr weiß, was die eigenen Wurzeln sind.

Seit Januar gilt das neue Zuwanderungsgesetz. Ist für Sie die neue Gesetzgebung ausreichend, schon zu viel des Guten oder trägt sie eher zu wenig zur Integration bei?

Demirbüken-Wegner: Zuviel ist es absolut nicht, es ist zunächst einmal ein richtiger und wichtiger Schritt nach vorne, aber es ist natürlich unzureichend, wie zum Beispiel im Bereich Spracherlernung. Die Personen, nachdem wir ihnen 600 Stunden Deutschunterricht erteilt haben, werden danach einfach entlassen. Es gibt keine fortführenden Angebote, keine fortführende Qualifizierung, wie zum Beispiel in anderen klassischen Einwanderungsländern. Insofern ist natürlich für die nächsten Jahre Nachbesserungsbedarf von Nöten.

Letzte Frage: Als Migranten werden nach Deutschland eingewanderte Menschen bezeichnet. Dieser Ausdruck trifft natürlich für die zweite, dritte und vierte Generation, die in Deutschland geboren wurden, nicht mehr zu. Politisch korrekt – weil weder Ausländer noch Migrant zutreffend sind - sagt man heutzutage "Menschen mit Migrationshintergrund". Als was würden Sie sich bezeichnen?

Demirbüken-Wegner: Begrifflichkeiten sind auf der einen Seite sehr wichtig. Doch viel wichtiger als Begrifflichkeit ist für mich das Gefühl, in dieser Gesellschaft angekommen zu sein. Das Gefühl zu haben, in dieser Atmosphäre fühle ich mich wohl, und wir sind hier eine Wir-Gemeinschaft. Und an dieser Atmosphäre müssen wir arbeiten.

Ansonsten ist doch klar: Ich bin eine Berlinerin türkischer Herkunft und es ist auch klar, dass ich Muslima bin. Ich habe sehr viele Eigenschaften in mir vereinigt und all das muss man als etwas Positives, als eine Chance und nicht als eine Bedrohung begreifen. Wir haben jahrelang in der türkischen Community darüber diskutiert, was und wer wir sind. Sind wir Ausländer? Sind wir Einwanderer? Sind wir Menschen nicht-deutscher Herkunft?

Mein Bruder ist hier geboren und der sagt einfach: Ich bin ein Berliner! Punkt. Das ist die Sprache der jüngeren Generation. Eine viel selbstverständlichere als die der zweiten Generation, zu der ich gehöre, die jahrelang die Diskussion in den eigenen Reihen um das Selbstverständnis führen musste. Da ist die dritte und vierte Generation eine ganz andere. Und denen möchte ich diese künstliche Diskussion nicht aufzwingen.

Frau Demirbüken-Wegner, ich bedanke mich herzlich für das freundliche und interessante Gespräch.

Das Interview führte Dagmar Trüpschuch/ethnotrade

© ethnotrade 2005

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von ethnotrade, der Zeitung für interkulturelle Handels-, Gastronomie- und Dienstleistungsunternehmen.

Emine Demirbüken wurde 1961 in Kilis/Türkei geboren und kam 1969 nach Deutschland. 1977 kehrte sie für zwei Jahre in die Türkei zurück, um ihr Abitur zu machen. Zurück in Deutschland studierte sie Germanistik und Publizistik an der Technischen Universität Berlin. Die gelernte Journalistin arbeitete von 1983 – 1988 als freie Mitarbeiterin beim Sender Freies Berlin. Seit 1988 ist Emine Demirbüken Ausländerbeauftragte des Bezirks Berlin-Tempelhof/Schöneberg, 1992 nahm sie die deutsche Staatsbürgerschaft an, 1995 trat sie in die CDU ein.

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