Die Vollendung der Konterrevolution

A road sign indicating the route to Egypt's Administrative Capital, designed to accommodate six and a half million people
Die neue ägyptische Hauptstadt, ca 60 Kilometer östlich von Kairo in der Wüste erbaut, hat keinen eigenen Namen, auf diesem Straßenschild heißt sie einfach "Verwaltungshauptstadt". (Foto: picture-alliance/dpa/Matthias Toedt)

Mit dem Einzug Abdel Fattah al-Sisis in seinen neuen Präsidentenpalast und der Einweihung der Neuen Verwaltungshauptstadt wurde die Konterrevolution des ägyptischen Militärs vom 30. Juni 2013 vollendet.

Kommentar von Shady Lewis Botros

Auch eine Konterrevolution ist eine Revolution. Ihr Ziel ist nicht unbedingt die Wiederherstellung der vorrevolutionären Verhältnisse. Vielmehr hat sie mit den unterlegenen revolutionären Kräften gemeinsam, dass auf den Trümmern des Vergangenen etwas Neues, wenn auch völlig Gegensätzliches, errichtet werden soll.

Das Militärregime von Abdel Fattah al-Sisi, das mit der Konterrevolution vom 30. Juni 2013 an die Macht kam, scheint vom Begriff "neu“ besessen zu sein. Das sieht man am neuen Suezkanal, an der neuen Republik, an der Neuen Hauptstadt und an den vielen Städten, die das Attribut "neu“ in ihren Namen aufgenommen haben, wie zum Beispiel die Sommerhauptstadt "neues El-Alamein“. 

Hinter diesem Erneuerungsfieber steht zum einen die Selbsterkenntnis, dass das Regime ein ideologisches Vakuum zu überdecken hat, zum anderen treten hier blindwütige, radikale Kräfte zum Vorschein.

Nach mehr als einem Jahrzehnt an der Macht hat Abdel Fattah al-Sisi am 2. April seine dritte Amtszeit mit einer Einweihungszeremonie in der Neuen Verwaltungshauptstadt und der Vereidigung auf die Verfassung vor dem Parlament in seinem neuen Amtssitz begonnen. Damit gab er den offiziellen Startschuss für den Umzug des Regierungsapparates mit all seinen Institutionen in die Neue Hauptstadt, die keinen eigenen Namen hat, sondern nur nach ihrer Funktion benannt wird.

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Das alte Kairo war die Stadt der Revolution

Zwei Städte stehen sich gegenüber: Das überfüllte Kairo, die Stadt der Revolution, die in Straßenkämpfen Zoll um Zoll den öffentlichen Raum erobert, befreit und mit einem ungeheuren Blutzoll in Besitz genommen hat; auf der anderen Seite die neue Hauptstadt, die Stadt der Konterrevolution, eine mit Zäunen bewehrte Festung, fern vom Volk.

Fünf Jahre zuvor hatte Al-Sisi in der Neuen Hauptstadt die Al-Fattah-al-Alim-Moschee und die größte Kathedrale des Nahen Ostens eingeweiht. In der Neuen Hauptstadt wird es noch mehr zu eröffnen geben, daher begnügte sich der Präsident damit, die ägyptische Flagge auf dem höchsten Fahnenmast der Welt zu hissen. 

Es war nicht das erste Mal, dass ein derartiger Akt stattfand: Nach der Januar-Revolution und im Oktober 2011 hatte der Militärrat die Fahne bereits auf dem höchsten Fahnenmast der Welt gehisst und die Regierungspropaganda versprach, Ägypten werde ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Nach einigen Monaten verschwand die Fahne jedoch ohne weitere Erklärung und das Metallgerüst des Mastes blieb als einer der größten Funktürme Kairos zurück.

Beim ersten Mal wurde der längste Fahnenmast als Erinnerung an die Januarrevolution von 2011 propagiert oder besser gesagt als deren inhaltliche Entleerung durch das Militär. Beim zweiten Mal kann man davon ausgehen, dass das Hissen der Flagge den Sieg der Konterrevolution besiegeln sollte. In beiden Fällen dient die Aktion dazu, das Scheitern Al-Sisis zu kaschieren, und es wird eine pathetische Rhetorik der Superlative verwendet, um ein einfallsloses Metallgerüst zu beschreiben.

Keine Vision für Ägypten

Vor den Abgeordneten hielt der Präsident eine glanzlose Rede von mäßiger Eloquenz. Er beschrieb darin seinen Sieben-Punkte-Plan für die kommenden sechs Jahre und wiederholte fast wörtlich die Diskurse der beiden vorangegangenen Amtszeiten. Es gab keine Versprechen, keine Ausreden, keine Entschuldigung für die anhaltende Wirtschaftskrise. 

Zusammenfassend verwies er in seiner Rede auf das turbulente internationale und regionale Umfeld, um dann auf die neue Welt zu sprechen zu kommen, die im Entstehen begriffen sei. Der Präsident hat nicht Unrecht. In der Tat bildet sich eine neue regionale Ordnung heraus, die auch das Ergebnis der Konterrevolutionen ist, der Ordnung nach dem Arabischen Frühling.

Wenn sich Ideologie in physischer Form, in Gebäuden und Architektur, manifestiert, erreicht sie ihre maximale Starrheit, aber zugleich auch ihre maximale Vitalität. Sie wird zu einem Ort und zu einer täglichen Routine. Mit dem gestrigen Umzug des Präsidenten in seinen neuen Palast hat sich der Kreis der Konterrevolution geschlossen. Allerdings, ohne dass irgendeine Vision für die Zukunft Ägyptens Einzug in die Neue Hauptstadt gehalten hätte.

Shady Botros

© Qantara.de 2024

Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk