Euro-islamisches Selbstverständnis

Das Verhältnis zwischen der muslimischen Minderheit und der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist oft von Misstrauen geprägt. Doch gerade da wollen bosnische Muslime ansetzen – als Vermittler zwischen den Religionen. Von Zoran Arbutina

Das Verhältnis zwischen der muslimischen Minderheit und der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist oft von Misstrauen und Unwissen geprägt. Gerade da wollen die bosnischen Muslime in Deutschland ansetzen – als Vermittler zwischen den Religionen. Zoran Arbutina informiert.

Betende Muslime in einer Moschee; Foto: AP
"Im Islam ist alles, was dem Wohl der Menschen dient, ein Teil des Glaubens", so Imam Mustafa Hadzic von der Gazi Husrevbeg-Moschee in Köln.

​​Stolz zeigt der junge Imam Mustafa Hadzic das Anwesen der bosnisch-islamischen Kulturgemeinschaft "Gazi Husrevbeg" in Köln.

Auf 3500 Quadratmetern ist alles versammelt, was ein moderner "Dzemat" – eine bosnische Glaubensgemeinschaft – braucht: eine repräsentative Moschee, ein Haus mit der Wohnung für den Imam sowie das Büro, eine große Veranstaltungshalle und eine Klasse für die Schüler, die am Sonntag Religionsunterricht erhalten.

Auch gibt es einen bosnischen Lebensmittelladen sowie ein Teehaus. Im großen Innenhof finden von Zeit zu Zeit Basare statt. Man trifft sich dort auf ein Gespräch oder man spielt Schach.

Lange Tradition multikonfessionellen Lebens

"Im Rahmen unserer Aktivitäten haben wir auch Angebote für Sport, wir verfügen über eine kleine Sporthalle", erzählt Mustafa Hadzic begeistert. "Es gibt zudem eine Folklore-Sektion, wo die bosnische Kulturtradition gepflegt wird. Im Islam ist alles, was dem Wohl der Menschen dient, gleichzeitig ein Teil des Glaubens – und deswegen sind das alles für uns religiöse Aktivitäten."

Dieser ganzheitliche Blickwinkel ist typisch für die Muslime aus Bosnien, meint der junge Imam. Mehrheitlich sind die bosnischen Muslime Sunniten und gehören der so genannten hanafitischen Rechtsschule an, die als besonders offen und dialogbereit gilt.

Bosnischer Imam ruft zum Gebet; Foto: AP
In Bosnien verlief das multikonfessionelle Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen über Jahrhunderte friedlich.

​​In Bosnien wurde über Jahrhunderte hinweg eine Tradition des multikonfessionellen Lebens entwickelt und gepflegt. Die muslimische Mehrheit hat dort zusammen mit katholischen und orthodoxen Christen sowie mit sephardischen Juden eine über lange Zeit gut funktionierende Nachbarschaft gebildet und gemeinsam in einem Staat gelebt.

Diese Tatsache sowie die über 120-jährige Erfahrung des Lebens in der christlich dominierten österreichisch-ungarischen K.u.K.-Monarchie haben den Islam in Bosnien wesentlich geprägt, erklärt Mustafa Klanco, Haupt-Imam der Bosniaken in Deutschland:

"Die bosniakischen Muslime leben den Islam schon 120 Jahre lang in einem säkularen Staat, in einem westlichen Kulturkreis. Sie haben ein Modell gefunden, wie sie ihren Glauben, ihre Kultur und ihre Tradition beibehalten können. Sie haben herausgefunden, wie sie ihren Glauben auch in einem säkularen Staat leben können."

Einklang mit dem Euro-Islam

Das hört sich für viele Deutsche wie der ideale und viel beschworene Euro-Islam an: offen, dialogbereit und tolerant. "Das ist das, was wir leben – und das, wozu wir beitragen können", betont denn auch Haupt-Imam Klanco:

"Europa kann diese Form des Islam akzeptieren, die den säkularen Staaten angemessen ist – ein Islam, in dem Menschen die Moscheen besuchen, ihre Religion aber nicht übermäßig betonen."

Die Freiheit, den eigenen Glauben zu leben und gleichzeitig anderen Religionsgemeinschaften gleiche Rechte einzuräumen, ist für Klanco ebenso selbstverständlich wie die Gesetzte des weltlichen Staates, in dem man lebt, anzunehmen und zu folgen.

Mann mit Gebetskette; Foto: AP
"Unsere Religion ermöglicht uns als Gläubige im Einklang mit den Lebensumständen zu leben, die in Deutschland herrschen", so Imam Hadzic.

​​Die Grundhaltung "Leben und leben lassen" ist in der gegenwärtigen Diskussion, in der der Islam oft als Sicherheitsbedrohung wahrgenommen wird, besonders wichtig, meint auch der Kölner Imam Mustafa Hadzic:

"Ein Teil unserer Lehre ist, dass ein Mensch, wenn er hierher gekommen ist und hier um ein Visum gebeten hat, damit auch die Verpflichtung übernimmt, die Gesetze des Landes zu achten", so Hadzic. "Wenn er mit ihnen bricht, dann bricht er auch die Glaubensvorschriften. Unsere Religion ermöglicht uns als Gläubige im Einklang mit den Lebensumständen zu leben, die hier herrschen."

Der Haupt-Imam der bosnischen Muslime in Deutschland, Mustafa Klanco, plädiert für mehr Solidarität und Neugier auch unter den muslimischen Glaubensgemeinschaften.

Bosnische Muslime als Vermittler

Die Zerstrittenheit der unterschiedlichen muslimischen Glaubensrichtungen verhindert nicht nur den Dialog mit dem Staat, sondern auch den Dialog untereinander. Auch in diesem Punkt möchten sich bosnische Muslime als Vermittler engagieren:

"Genau wie früher möchten wir auch heute eine Brücke sein, eine bindende Kraft unter den Muslimen, eine Gemeinschaft, die die Gegensätze ausgleicht oder mindert", sagt Klanco. "Wir möchten, dass die Muslime sich untereinander besser kennen lernen. Wenn sie das nicht schaffen, wie werden sie dann die Christen kennen lernen? Und gerade die Muslime sollten hier, im Trialog mit den Christen und Juden, ihren gemeinsamen Weg finden."

Den Weg für seinen "Dzemat" in Köln sucht auch Imam Mustafa Hadzic. Die bosnischen Muslime in Deutschland gelten als sehr integrationsfähig – manchmal sogar zu sehr, meint der Imam.

Für die Jugend der zweiten und dritten Generation spielt die Religion oft nur eine Nebenrolle im Leben, die alte Heimat ihrer Eltern gilt ihnen als "sentimentale Legende", und Deutsch ist längst zu ihrer bevorzugten Sprache avanciert.

Und trotzdem schicken sie ihre Kinder zum sonntäglichen Religionsunterricht ins "Dzemat", beten dort und treffen sich im Innenhof vor der Moschee, um mit anderen Leuten aus der Gemeinde Tee zu trinken. Dabei fühlen sich die meisten als europäische Muslime, als Vertreter eines neuen, offenen Euro-Islam.

Zoran Arbutina

© Deutsche Welle 2007

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