Sonne und Wolken im Kampf

Der neue Film "Iklimler" des türkischen Filmregisseurs Nuri Bilge Ceylan handelt von einem komplexen Beziehungsdrama, das die Abgründe eines Mannes aufzeigt, der nie bekommt, was er will - weil er nicht weiß, was er will. Amin Fazanefar hat den Film gesehen.

Der neue Film "Iklimler" des türkischen Filmregisseurs und Drehbuchautors Nuri Bilge Ceylan handelt von einem komplexen Beziehungsdrama, das die Abgründe eines Mannes aufzeigt, der nie bekommt, was er will - weil er nicht weiß, was er will. Amin Fazanefar hat den Film gesehen.

​​Eigentlich bedeutet "Iklimler" weniger "Jahreszeiten" als vielmehr "Wetterverhältnisse". Und tatsächlich ist Ceylans Film eine einzige Reise durch unterschiedlichste Witterungs- und Lichtverhältnisse.

Er beginnt in trockenster Sommerhitze mitten in den Ruinen von Kas und endet im eisigen Schneegestöber in den anatolischen Bergen.

Das Wetter, soviel ist gewiss, benutzt Ceylan als Metapher für die Seelenlagen seiner Figuren, doch so unzuverlässig wie die Wettervorhersage sind auch Mutmaßungen über die Gemütsverfassung des mal vor sich hin grollenden, mal strahlend lächelnden Kunstdozenten Isa.

Was in ihm vor sich geht, wenn er schweigend neben seiner Partnerin Bahar am Strand liegt, sich von ihr trennt, ihr dann monatelang wieder hinterher strebt, ist uns so wenig ersichtlich wie ihm selber. "Iklimler" zeigt Abgründe eines Mannes, der nie bekommt, was er will, weil er nicht weiß, was er will. Schlimmer noch: der sich dessen gar nicht bewusst ist. Damit ist sein Drama immer auch das der beteiligten Frau.

Wetter als Metapher für Seelenlagen

Die Gestaltung des Filmes betont noch die Unbeständigkeit, Vagheit von Isas Figur: ein Donnergrollen, Regenprasseln und andere Naturgeräusche sind filigran zu einem oft unbewusst arbeitenden, aber immer wirksamen Soundscape zusammenmontiert.

Vor allem aber fasziniert die brillante Fotografie Ceylans, die erst auf der großen Leinwand ihre ganze Kraft entfaltet. Wie der Filmemacher Bildräume nutzt, um in einer einzigen Einstellung Personen zu charakterisieren, erstaunt von Anfang an - etwa, wenn das Pärchen ein Hotelzimmer betritt:

Isa, der, auf dem Bett liegend, seinen Kopf in eine herausgezogene Schublade legt, um seinen Verspannungen Linderung zu verschaffen, bleibt im Dunkeln, ein eingeengtes Kastenwesen. Bahar hingegen betritt im Hintergrund durch die offene Balkontür einen weiten, Licht durchfluteten Freiraum.

Immer wieder arbeitet Ceylan in der Folge mit solchen Vordergründen und Hintergründen, mit Schärfen und Unschärfen, Close-Ups und Totalen, und immer wieder überwältigen seine Landschaftsaufnahmen, auf denen häufig Sonne und Wolken im Kampf miteinander liegen

Natürlich ist die Schönheit dieser Naturgemälde oft trügerisch, verweist auf etwas Anderes, Abgründiges: auf Machtstreben, Eroberungsgelüste und Verweigerung, auf Ungewissheit und Zweifel - solche Zweideutigkeiten verleihen "Jahreszeiten" eine durchgängige Intensität.

Besonders direkt, eindrücklich und gewaltnah in einer Beinahe-Vergewaltigung, über die Isa seine frühere Exfreundin zurückerobert. Kaum hat er sie wieder, weiß er nichts mehr mit ihr anzufangen, und sucht weiter nach Bahar.

Mit solchen Filmen hat man es im hollywood- und mainstream-dominierten Kino der Türkei nicht gerade leicht. Von Anfang an dreht Ceylan seine Werke daher mit kleinstem Budget, und hält die Kontrolle über möglichst viele Bereiche: Drehbuch, Regie, Kamera, Schnitt, Produktion.

Vorbild Abbas Kiaorostami

So hat er seine ersten drei Werke bewältigt, eine Trilogie: Während "Kasaba", sein erster gefeierter Langfilm, eine Kleinstadt porträtierte, zeigte "Bedrängnis im Mai" den zivilisationsgeschädigten Regisseur Muzaffer, der in eben dieser Kleinstadt diesen Film drehen will - "Kasaba".

Dabei lässt Muzaffer seine eigenen Eltern zwei Figuren spielen - es sind Ceylans Eltern, die zusammen mit weiteren Familienmitgliedern immer wieder in seinen Werken auftauchen. "Uzak", Gewinner der Goldenen Palme von Cannes, verlagert einige dieser Figuren in die Stadt, und zeigte die Folgen von Migration und Urbanisierung auf.

Solche Referenzen und Verschachtelungen verweisen auf das Werk des von Ceylan verehrten iranischen Regisseurs Abbas Kiarostami, ebenso wie dessen Themenwahl und naturalistische Symbolik.

Stereotyp des traditionellen "Orientalen"

In "Jahreszeiten" werden weitere Einflüsse deutlich - formal wie Angelopoulos, inhaltlich auch wie Bergmann und Antonioni. Doch während die letzten beiden oft ihre beeindruckendsten Werke schufen, wenn sie die weibliche Perspektive ausloteten, bleibt Ceylan bei Männerstudien:

Obwohl sie in modernen Kreativberufen tätig sind - Fotograf, Filmemacher, Kunstdozent - vertreten gerade sie eine Negativstereotyp des traditionellen "Orientalen": egozentrisch, änderungsresistent, liebesunfähig, feige.

Allein auf dem Land, so zeigte es die "Kasaba"-Trilogie, ist die Welt noch in Ordnung. Eine Schwäche bei diesen Psychogrammen meint man zu erkennen: allzu schnell erscheinen ihre männlichen Figuren als unsympathisch, das Spiel ihrer Obsession und Zwänge wirkt allzu abgezirkelt: Irgendwie scheint der Regisseur nicht allzu weit weg von seinen Figuren. Dass er ihnen keine Entwicklung zubilligt, ist ärgerlich.

Mehr Kunstfertigkeit als wirkliches Leben

Außerdem: In einer Zeit, in der die Türkei in einem Umbruch begriffen ist, ist es schon erstaunlich, wie Ceylan seine Werke so aus allen gesellschaftlichen Bezügen abkoppelt, und sich vor allem auf einen ästhetischen Standpunkt zurückzieht.

Nun hat Orhan Pamuk es ja vorgemacht, wie man sich in Zeiten der Krise auf sich zurückzuziehen, einer politischen Instrumentalisierung verweigern, und dennoch eine Haltung vertreten kann. Und die oben genannten Altmeister pflegten die "innere Emigration", doch ihre existenzialistischen Porträts atmeten immer auch den allgemeinen Zeitgeist.

So bleibt der Verdacht, dass Nuri Bilge Ceylan - bei aller visuellen Brillanz - vor allem "Festivalfilme" macht: schön anzuschauen, aber eher interessiert an Kunstfertigkeit als am wirklichen Leben.

Amin Farzanefar

© Qantara.de 2007

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