Akademischer Brückenschlag am Bosporus

Ein ehrgeiziges Projekt: In Istanbul soll die erste deutsch-türkische Universität entstehen, die gleichzeitig die größte deutsche Universität im Ausland werden soll. Bereits im Herbst 2011 soll die Universität in Betrieb gehen. Noch sind allerdings etliche Fragen ungeklärt. Jürgen Gottschlich informiert.

Gründungsveranstaltung der deutsch-türkischen Universität; Foto: dpa
Deutsch-türkische Eliten zusammen bringen: Das ist das primäre Ziel der deutsch-türkischen Universität in Istanbul, die im Herbst 2011 schon in Betrieb gehen soll.

​​ Es ist die pure Idylle. Am Ende einer großen Baumschule, eingerahmt von zwei bewaldeten Hügeln erstreckt sich ein grünes Tal, rund 12 Hektar groß. Es ist auf den ersten Blick schwer zu glauben, aber hier, wo man eher ein Feriencamp vermuten würde, soll in wenigen Jahren die deutsch-türkische Universität von Istanbul entstehen. "September oder Oktober können Sie sich schon mal im Kalender vormerken", sagte die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, während eines Besuchs in Istanbul Ende Juli. Dann soll Bundespräsident Christian Wulff, wahrscheinlich gemeinsam mit seinem türkischen Kollegen Abdullah Gül, den Grundstein legen.

Erst im März dieses Jahres, unmittelbar vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ankara, hatte das türkische Parlament das Gesetz zur Errichtung der gemeinsamen Universität verabschiedet und dabei auch den Ort festgelegt. Bis dahin gehörte das grüne Tal im Bosporusvorort Beykoz dem Landwirtschaftsministerium, zukünftig soll nun hier die Wissenschaft blühen.

Insgesamt fünf Fakultäten mit bis zu 5000 Studenten sollen hier lernen und forschen. Das Projekt ist ehrgeizig, es wird, wenn alles klappt, "die größte deutsche Universität im Ausland", wie Pieper betonte. Im Unterscheid zu anderen deutschen Auslandsuniversitäten wie Beispielsweise in Kairo, wo hauptsächlich in Englisch unterrichtet wird, soll "die Unterrichtssprache in Istanbul auch wirklich überwiegend Deutsch sein", betonte Frau Pieper.

Alle Fächer außer Medizin

"Wir hoffen, dass sich die Absolventen der deutschen Schulen in der Türkei, aber auch Schüler aus Deutschland wie die wachsende Zahl türkischer Migrantenkinder, die mittlerweile Abitur macht, für die Uni in Istanbul interessieren wird", beschreibt der deutsche Botschafter in Ankara, Eckard Cuntz, die Zielgruppe.

Deutscher Botschafter in Ankara Eckard Cuntz; Foto: Wikipedia
Die größte deutsche Universität im Ausland: In fünf Fakultäten für bis zu 5000 Studenten wird "praktisch alles außer Medizin" unterrichtet werden, weiß Botschafter Eckard Cuntz zu berichten.

​​ Die Universität soll ein weites Spektrum an Naturwissenschaften, Wirtschafts- und Geisteswissenschaften anbieten. "Praktisch alles außer Medizin", meint Cuntz. Schwerpunkt werden aber wohl die Naturwissenschaften, die TU Berlin wird der wichtigste Projektpartner von deutscher Seite. Dort soll türkischen Studenten auch die Möglichkeit geboten werden, problemlos einige Semester in Deutschland zu absolvieren, damit auch echte Netzwerke entstehen können.

Eckard Cuntz hat sich seit Jahren für die Universität engagiert. "Ohne Cuntz", meint Professor Eris, der im Hochschulrat der Türkei (Yükseköğretim Kurulu, kurz YÖK) für die geplante Universität zuständig ist, "wären wir heute noch längst nicht soweit". Professor Eris, der selbst in Deutschland studiert hat, ist genauso wie Cuntz vom Nutzen einer deutsch-türkischen Universität für beide Seiten überzeugt. "Wir werden von den deutschen Erfahrungen profitieren", erklärt er.

Semesterstart im Herbst 2011

Noch sind allerdings etliche Fragen ungeklärt. Zurzeit läuft das Ausschreibungs- und Auswahlverfahren für den Gründungsrektor der Universität, der im Herbst vom Hochschulrat (YÖK) bestimmt werden soll. Da die Universität rechtlich eine offizielle staatliche türkische Universität ist, wird der Rektor genauso wie bei anderen staatlichen Universitäten festgelegt.

YÖK erstellt eine Vorschlagsliste von fünf Namen, von denen dann der türkische Staatspräsident einen auswählt. Ihm zur Seite wird ein deutscher Vize-Rektor stehen. Ein vorläufiges Rektoratsgebäude in der historischen Altstadt Istanbuls wird gerade renoviert; wenn der Rektor gewählt ist, kann er dann in seinem neuen Amtssitz gleich loslegen.

Staatsministerin im Auswärtigen Amt Cornelia Piper; Foto:  AP
Engere Zusammenarbeit in Wissenschaft und Kultur: "Für uns ist es wichtig, die Türkei auch auf diesen Sektoren enger an Europa zu binden", beschreibt Pieper die deutschen Motive.

​​ Von den Finanzen wird die Türkei den größten Anteil übernehmen, die Bundesregierung hat nach Angaben von Frau Pieper für die deutsch-türkische Universität für die kommenden vier Jahre "zunächst einmal 12 Millionen Euro bereitgestellt". Davon sollen hauptsächlich Personalkosten deutscher Dozenten bestritten werden.

Geht alles nach Plan, wird ein deutsch-türkisches Gründungsteam ab diesem Herbst alle Vorbereitungen treffen, damit die Universität zum Wintersemester 2011/12 in Betrieb gehen kann. Zwar noch nicht auf der grünen Wiese, denn die Bauzeit wird mindestens drei Jahre betragen, sondern zunächst in angemieteten Räumen, als Zwischenlösung sozusagen.

Vernetzung der Eliten

Bis dahin müssen die Fragen des Curriculums genauso geklärt sein, wie die Zulassungsbedingungen. Die Türkei kennt kein Abitur wie in Deutschland, sondern regelt den Zugang zu den Universitäten über eine landesweite Prüfung, in der die Schüler eine bestimmte Punktzahl erreichen müssen, um einen Studienplatz zu bekommen. Für die deutsch-türkische Universität soll allerdings auch ein deutsches Abitur als Zulassung gelten.

Kritische Nachfragen zur Freiheit der Lehre, über die womöglich in der Türkei andere Vorstellungen herrschen als in Deutschland, wiesen sowohl Botschafter Cuntz als auch Professor Eris als unbegründet zurück. "Wir werden uns da schon einigen", ist sich Cuntz sicher.

Ernst Reuter; Foto: dpa
Anknüpfen an die Tradition von Ernst Reuter: "Schon während der 1930er Jahre hatten deutsche Professoren wie Ernst Reuter, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten Aufnahme in der Türkei gefunden hatten, die türkische Universitätslandschaft stark geprägt", informiert Gottschlich.

​​ Sowohl die türkische, als auch die deutsche Regierung erhoffen sich durch die Universität eine engere Zusammenarbeit im wissenschaftlichen und kulturellen Sektor: "Für uns ist es wichtig, die Türkei auch auf diesen Sektoren enger an Europa zu binden", beschreibt Pieper die deutschen Motive. Die Türkei erhofft sich durch die Universität vor allem einen Wissenschaftstransfer. Bislang besteht die Verbindung zwischen beiden Ländern ja vor allem über die Arbeitsmigration, mit der Universität sollen sich nun auch die Eliten näher kommen.

Geht die Universität tatsächlich im kommenden Jahr an den Start, würde damit ein Projekt umgesetzt, das bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts erstmals anvisiert worden war, aber dann doch nie realisiert wurde.

Dabei könnte sich eine deutsch-türkische Universität noch auf eine ältere Tradition stützen: Schon während der 1930er Jahre hatten deutsche Professoren von Ernst Reuter bis Bruno Taut, die auf der Flucht vor den Nationalsozialisten Aufnahme in der Türkei gefunden hatten, die türkische Universitätslandschaft einmal stark geprägt. Vielleicht kann man an diese Tradition wieder anknüpfen.

Jürgen Gottschlich

© Qantara.de 2010

Jürgen Gottschlich ist Mitbegründer und Türkei-Korrespondent der Tageszeitung.

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

Qanatara.de

Deutsch-Türkische Universität
Deutscher Leuchtturm am Bosporus
Berlin und Ankara gründen eine gemeinsame Universität in Istanbul. Schon seit den Neunziger Jahren wird die Hochschule am Bospurus geplant - 2009 sollen dann endlich die Studenten kommen. Informationen von Christiane Schlötzer

Ernst-Reuter-Initiative
Außenminister wollen "Trennlinien überwinden"
Die von Bundesaußenminister Steinmeier und seinem türkischen Amtskollegen Gül gegründete "Ernst-Reuter-Initiative" soll den interkulturellen Dialog zwischen der Türkei und Deutschland fördern. Ariana Mirza berichtet über die Beweggründe und Ziele der Initiative im Vorfeld des möglichen türkischen EU-Beitritts.

Studie über deutschtürkische Akademiker und Studenten
Verschenktes Potenzial
Sie haben erfolgreich studiert, sind bilingual und in zwei Kulturen heimisch: Die türkischstämmigen Akademiker in Deutschland. Eine Studie legt nun erstmals Zahlen zu dieser Bildungselite vor und bringt überraschende Erkenntnisse zu Tage. Nimet Seker informiert

Dossier
Türkei und EU
Kaum ein anderes Thema wird derzeit so kontrovers diskutiert, wie der EU-Beitritt der Türkei. Kann das Land am Bosporus die Kriterien für eine Vollmitgliedschaft langfristig erfüllen? Und was geschieht, nachdem die Verhandlungen zum Teil ausgesetzt wurden? Ein Dossier, entstanden im Rahmen der Ernst-Reuter-Initiative