Starke Unabhängigkeitsbewegungen auf Mindanao, in Aceh und Pattani

Die religiös und ethnisch gefärbten Separatistenbewegungen in Südostasien verdeutlichen, wie weit die Wege zur Bildung von Willensnationen in Südostasien sind. Nach dem Kommunismus ist der Islamismus als spaltende Kraft hervorgetreten. Von Manfred Rist

Die religiös und ethnisch gefärbten Separatistenbewegungen in Südostasien verdeutlichen, wie weit die Wege zur Bildung von Willensnationen in Südostasien sind. Nach dem Kommunismus ist der Islamismus als spaltende Kraft hervorgetreten. Mindanao, Aceh und Pattani weisen dabei Gemeinsamkeiten, aber auch Gegensätze auf. Von Manfred Rist

Frauen aus der Provinz Pattani tragen eine Wahlurne, Foto: AP
Neben Mindanao und Aceh ist auch in Pattani nach dem Kommunismus der Islamismus als spaltende Kraft hervorgetreten

​​In Indonesien, Thailand und auf den Philippinen vergeht kaum ein Tag, ohne dass Zusammenstösse zwischen Regierungstruppen und Rebellen gemeldet werden. Bei den Aufständischen in Aceh, Pattani und Mindanao, alles Randregionen in den entsprechenden Ländern, handelt es sich um muslimische Separatisten, denen Kontakte zur Kaida nachgesagt werden, die aber in erster Linie grössere Autonomie oder gar staatliche Unabhängigkeit anstreben.

Wurzeln in alten Sultanaten

In allen drei Fällen reichen die Wurzeln der Konflikte tief in die Vergangenheit und finden Halt in traditionellen Sultanaten, deren Einfluss seinerzeit weit über die heute umstrittenen Gebiete hinaus ausstrahlte.

Während seiner Blütezeit erstreckte sich etwa das Sultanat von Sulu von Mindanao bis nach Sabah, also in ein Gebiet, das heute zu Ostmalaysia zählt. Der Einfluss des Königreichs Aceh reichte in seinem "goldenen Zeitalter" im 17. Jahrhundert unter der Herrschaft von Sultan Iskandar Muda über Nordsumatra und über die Meerenge von Malakka hinaus bis nach Malaysia und in den Süden Thailands. Und in Thailands Süden verkörpert die Provinz Pattani die Reste eines Königreichs, das im 16. und 17. Jahrhundert Handel mit allen europäischen Kolonialmächten trieb.

Heute stellt die Distanz dieser Gebiete zu den Hauptstädten Jakarta, Bangkok und Manila eine Herausforderung für die noch relativ jungen Staaten dar, da das Konzept einer Willensnation innerhalb klar definierter Staatsgrenzen in Frage gestellt wird.

In anderen Ländern Südostasiens wie Vietnam, Malaysia oder Singapur, wo die Geschichte identitätsstiftende Bande bildete oder die Idee der Willensnation von Staatshand umsichtig und erfolgreich gepflegt worden ist, ist dieses Konzept weitgehend akzeptiert. In Indonesien und auf den Philippinen kommen wirtschaftliche Vernachlässigung und Armut als weitere Erklärung für den Separatismus hinzu.

Kommunismus und Islamismus

Als spaltende Kraft stand der militante Islam in Südostasien lange Zeit hinter einer ganz anderen Bedrohung zurück, dem Kommunismus. Die kommunistischen Bewegungen leisteten zwar mit ihrem bewaffneten Kampf gegen die Kolonialmächte in praktisch allen südostasiatischen Ländern seinerzeit durchaus ihren Beitrag zur Erlangung der Unabhängigkeit und trugen damit auf ihre Weise zur Bildung der Nationen bei.

Aus dem Untergrund stellten sie später aber jahrzehntelang eine Gefahr für die neuen Staaten dar, was namentlich in Indonesien, Malaysia und Singapur Verbote kommunistischer Parteien nach sich zog. Diese Verbote sind dort bis heute in Kraft. Auf den Philippinen ist mit der New People's Army (NPA), die sich im Wesentlichen dem Kampf gegen die Armut verschrieben hat, eine solche Bewegung aber bis in die Gegenwart aktiv.

Der Kommunismus hat in Südostasien eine viel grössere Sprengkraft entwickelt als der Islamismus. Ersterer löste nicht nur schreckliche Bürgerkriege in Kambodscha, Vietnam, Laos und Indonesien aus; die kommunistische Ideologie spaltete zu Zeiten des Kalten Kriegs auch ganz Südostasien in zwei Lager.

Während auf dem südostasiatischen Festland (Indochina und Burma) nationalistisch geprägte kommunistische Regierungen die Macht übernahmen, formierte sich als Antwort darauf das maritime Südostasien unter Einschluss von Thailand in der Assoziation südostasiatischer Staaten (Asean).

Das 1967 unter Indonesiens Führung ins Leben gerufene "Bollwerk gegen den Kommunismus" hat erst mit der 1995 erfolgten Aufnahme Vietnams Schritte zu einer regionalen Integration unternommen, die entschlossener wirkt und (mit Ausnahme Osttimors) heute ganz Südostasien umfasst.

Dass sich nach der Überwindung der südostasiatischen Trennungslinie der Kampf gegen islamische Separatisten auf den maritimen Teil der Asean konzentriert, ist kein Zufall. Von Aceh ausgehend hat sich der Islam den Handels- und Küstenwegen entlang verbreitet und damit vor allem in Indonesien, Malaysia, Brunei und Singapur sowie im Süden Thailands und auf den Philippinen dauerhaft Fuss gefasst.

Aufbau der Nation als Herausforderung

In letzteren beiden Staaten gehört die Integration der entsprechenden religiösen Minderheiten in die jeweilige Nation zu den schwierigsten Herausforderungen der Regierungen. In diesem Zusammenhang stehen einer friedlichen Lösung in Aceh allerdings weniger religiöse Unterschiede als die blutige Hinterlassenschaft des indonesischen Militärs im Wege, das in Aceh jahrzehntelang ungesühnt Menschenrechtsverletzungen begangen hat.

Zu den Gemeinsamkeiten zwischen dem Süden der Philippinen und Aceh auf Sumatra gehört, dass die Rebellen in beiden Unruheherden seit Jahrzehnten sehr gut organisiert sind und bekannte militärische und politische Führer hervorgebracht haben. Dazu gehören Nur Misuari, Hashim Salamat, Hasan Tiro, Malik Mahmut und Zaini Abdullah – alles Köpfe, die mitunter im In- oder Ausland als offizielle Verhandlungspartner in Erscheinung treten.

Diese Personifizierung des Widerstands trägt mit zur Einschätzung bei, dass die Gewalt in diesen Gebieten weniger von aussen angefacht ist, als interne Ursachen hat. Im Gegensatz dazu wirkt die Eskalation der Gewalt in Südthailand wenig koordiniert, und die Rebellion bleibt auch weitgehend anonym. Dies erleichtert es der Regierung, Sündenböcke im Ausland zu suchen.

Verhandlungen und anhaltende Skepsis

Inmitten anhaltender Gewalt in den Krisengebieten sind in den vergangenen Wochen hier und dort Friedensgespräche vorangekommen. So sitzen dank der Vermittlung Malaysias die philippinische Regierung und die Moro Islamic Liberation Front (MILF) wieder am Verhandlungstisch, obwohl von Seiten der Rebellen kein Verzicht auf die Unabhängigkeit vorliegt.

Auch die thailändische Regierung, die bis vor kurzem im Süden rohe Gewalt anwandte, scheint zur Bewältigung der Probleme einen sanfteren Kurs zu steuern. Schliesslich haben in Helsinki bereits zum dritten Mal nach dem Tsunami Vertreter Jakartas und die Rebellenorganisation GAM Wege zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts in Aceh ausgelotet.

Trotz dieser Gesprächsbereitschaft ist wegen unterschiedlicher Zielvorstellungen, wegen Lasten der Vergangenheit und wegen der unterschiedlichen Interpretation der Geschichte Skepsis angebracht. Aus der Sicht der Rebellen, die sich als Anwälte marginalisierter, aber nicht untergegangener Sultanate sehen, ist die Entkolonialisierung Südostasiens noch nicht abgeschlossen.

An die Stelle der alten Herrscher sind neue getreten. Solange in dieser Hinsicht kein Sinneswandel eintritt oder keine neue Generation Fuss fasst, die den umfassenderen Gedanken der Nation vertritt und mit Autonomielösungen leben kann, bleiben die jungen Staaten verletzlich.

Manfred Rist

© Neue Zürcher Zeitung, 24.05.2005

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