Im öffentlichen Abseits

Während islamistische Gewalttaten oder negative Assoziationen mit dem Islam häufig ein reges Medieninteresse hervorrufen, werden Dialoginitiativen dagegen kaum wahrgenommen und gefördert, kritisiert Melanie Miehl

Während islamistische Gewalttaten oder negative Assoziationen mit der islamischen Religion in Deutschland häufig ein reges Medieninteresse hervorrufen, werden Dialoginitiativen dagegen kaum wahrgenommen und gefördert, kritisiert Melanie Miehl, Vorstandsmitglied der christlich-islamischen Gesellschaft

Melanie Miehl, Foto: Gütersloher Verlagshaus
Muslime und Christen, die sich für die Begegnung und Verständigung der Religionen in Deutschland einsetzen, haben medial keine Chance, wahrgenommen zu werden, meint Melanie Miehl

​​Jeder neue Terrorakt im Namen des vermeintlichen Islams setzt mich doppelt in Schrecken. Da ist einerseits die Wut und Hilflosigkeit, das Mitleid mit den Opfern und ihren Angehörigen. Und dann kommen andererseits die zynischen Gedanken. Die Frage, ob wir jetzt die nächste Presseerklärung verfassen, in der wir diese Taten verurteilen und den Opfern unser Mitgefühl aussprechen. Die perfide Frage danach, ob die Katastrophe groß genug ist, um sich öffentlich dazu zu erklären.

Im Sog der Massenmedien

Wenn sie es ist, setzt ein Wettlauf ein, in dem wir ausgehend von der vermuteten Halbwertszeit der Meldung in der Presse, so schnell es geht, wieder schreiben, besprechen, vergleichen, beschließen, abstimmen und schließlich verschicken, was wir zu einem anderem Datum, anderen Orten, anderen Opfern immer und immer wieder gesagt und geschrieben haben.

Wir, das sind die Muslime und Christen in den christlich-islamischen Gesellschaften und Dialogvereinigungen, im Koordinierungsrat, in den kirchlichen und muslimischen Gemeinden und Verbänden.

Wir wissen jedes Mal, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen ist, dass wir für die Rundablage der großen Redaktionen schreiben. Manchmal habe ich das Gefühl, nur zu schreiben, weil selbst das Nichtschreiben noch gegen uns ausgelegt werden kann.

Denn selbst wer über all unsere bisherigen Erklärungen den Mantel des journalistischen Schweigens gebreitet hat, kann sich minimale, investigative Lorbeeren verdienen, wenn er oder sie besonders hervorhebt, dass sich zu diesem oder jenem Anschlag diese oder jene Organisation nicht geäußert habe. Diesen Wettlauf können wir nicht gewinnen, und ich frage mich, wieweit es überhaupt unsere Aufgabe ist.

Good news is no news!

Muslime und Christen, die sich für die Begegnung und Verständigung der Religionen einsetzen, haben medial keine Chance, wahrgenommen zu werden. Sie leiden unter dem altbekannten Mechanismus "good news is no news"!

Jede Dialogorganisation kann - genau wie die muslimischen Organisationen – aus eigener Erfahrung davon berichten, dass ihre Veröffentlichungen, Tagungen und Stellungnahmen gegen Terror, gegen Zwangsheiraten, gegen häusliche Gewalt, gegen Angriffe auf die Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit nicht ankommen.

Ihnen fehlt, vor allem wenn sie ehrenamtlich arbeiten, die Lobby und das Geld. Ihnen fehlen sogar noch die Bilder. Denn wo Print- und audiovisuelle Medien Berichte über islamistischen Terror mit Bildern betender Muslime illustrieren oder Terrorbilder mit dem Ruf des Muezzins unterlegen, ziehen sie den Muslimen und deren Dialogpartnern den Boden unter den Füßen weg.

Sie eignen sich gewaltsam den Bild- und Tonbestand des Islams an und besetzen ihn mit islamistischen Themen. Islamisten haben diese Logik verstanden und bedienen sie cleverer als Muslime reagieren können: Der hochgereckte Arm, dessen Hand den Koran präsentiert, ist zum Symbol des Schreckens geworden.

Wie sollen Muslime dieses Feld zurückerobern in einer Medienlandschaft, für die die Aussage "Wir verurteilen den Terror" keinen Nachrichtenwert hat? Die Spirale dreht sich gnadenlos abwärts. Und sie wirkt zurück.

Wer als Christ oder Muslim für den Dialog eintritt, wandelt in zwei Welten: in einer eigenen Erfahrungswirklichkeit in Deutschland, und in einer Welt des Islams, wie die Medien sie vermitteln.

Wer in Kleinkleckersdorf über die Frage streitet, ob die zehn Musliminnen und Muslime, die er oder sie in seinem Ort persönlich seit Jahren kennt, einen Gebetsraum im Krankenhaus bekommen sollen oder nicht, weiß, dass sein Erfolg oder Scheitern letztlich daran hängt, welche Bilder von Al-Kaida-Anschlägen in der Tagesschau gezeigt werden.

Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit wird abhängig vom Barometer der gefühlten Weltlage der Mitbewohner von Kleinkleckersdorf. Hat die Frau des Bürgermeisters eventuell noch die Bücher diverser Islamexperten zu Weihnachten geschenkt bekommen oder sich an Schilderungen moderner Harems ergötzt, bleibt Kleinkleckersdorf ohne Moschee.

Menschen im Dialog als Prügelknaben

Menschen im Dialog werden gerne für ihre angebliche Blauäugigkeit gerügt. Das ist verständlich, denn sie sind - im Gegensatz zu den Extremisten und Terroristen – selbstverständlich gesprächsbereit.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bin Laden sich ins Gespräch mit der Kirchengemeinde von Kleinkleckersdorf einlässt, ist relativ gering. Also lädt Kleinkleckersdorf diejenigen zur Podiumsdiskussion die ein, die kommen können.

Und die müssen sich dann auf etwas gefasst machen. Denn obwohl sie auf weiter Flur zu den wenigen gehören, die sich gegen Terror und Gewalt aussprechen, werden sie stellvertretend gerügt.

Differenzierungen sind schwierig, und Vorurteile wirft man nicht von heute auf morgen über Bord. Der Islam ist ein "monolithischer Block" in den Augen der vielen Menschen, denen in der Komplexität einer globalen, pluralistischen Gesellschaft die Orientierung abhanden gekommen ist.

Das Paradox könnte letztlich kaum größer sein. Diejenigen, die etwas tun und die in ihrem Leben zeigen, dass Dialog und Verständigung möglich sind, stehen unter dem Verdacht, dass der Dialog im globalen Dorf noch nicht zur Beilegung aller Konflikte auf Erden geführt hat.

Gerade sie als Grenzgänger sind oft physisch von den Konflikten betroffen, die andere nur aus der Flimmerkiste kennen. Sie sind es, die Freunde und Verwandte im Irak, im Iran, in Pakistan und anderswo haben – und diese Freunde und Verwandten sind nicht nur Muslime, sondern auch Christen.

Mit zweierlei Maß

Für Menschen im Dialog ist es unerträglich, wie Religionsfreiheit zum politischen Spielball anlässlich des EU-Beitritts der Türkei degradiert wird, wie der Friede zwischen Christen und Muslimen im Irak demontiert wird und wie Katastrophenopfer in Pakistan medial kaum erfasst werden, weil Pakistan keine Palmenstrände bietet.

Wer hierzulande im Dialog steht, braucht sich nicht für die Übel der Welt zu rechtfertigen. Er kann - ganz im Gegenteil - die Frage stellen, weshalb es so wenig Unterstützung für diese Arbeit gibt.

Sie ist nötig, und die Vision wäre, dass das ernsthafte Bemühen von Muslimen und Christen, in dem viel sachliche Kompetenz steckt, eine angemessene Würdigung findet.

Differenzierung ist notwendig, und man sollte sich gesamtgesellschaftlich nicht der Chance berauben, auf diejenigen zurückzugreifen und sie positiv zu fordern, die die Brücken zu bauen wissen, zu denen es keine Alternative gibt.

Melanie Miehl

© Qantara.de 2006

Die Islamwissenschaftlerin Melanie Miehl ist Vorstandsmitglied der christlich-islamischen Gesellschaft und Vorsitzende des Koordinierungsrates der Vereinigungen des christlich-islamischen Dialogs in Deutschland (KCID)

Qantara.de

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