Die Schatten der Vergangenheit und das Chaos der Gegenwart

An den irakischen Universitäten haben eine Reihe von Veränderungen stattgefunden. So weigern sich inzwischen viele Studierende, von Professoren unterrichtet zu werden, die zuvor das Baath-Regime repräsentierten. Ahmad al-Saadawi berichtet.

An den irakischen Universitäten haben eine Reihe von Veränderungen stattgefunden. So weigern sich inzwischen viele Studierende, von Professoren unterrichtet zu werden, die zuvor das Baath-Regime innerhalb der Universität repräsentierten und keine echten wissenschaftlichen Qualifikationen besitzen. Sie boykottieren Dozenten, von denen bekannt ist, dass sie Studierenden aufgrund religiöser oder politischer Überzeugungen Steine in den Weg gelegt haben. Ahmad al-Saadawi berichtet.

Iraks Ministerpräsident Nouri al-Maliki besuchte im November 2006 unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen die Universität von Bagdad; Foto: AP
Die irakischen Universitäten sind alles andere als sicher und auch der religiöse Druck wächst. Ein Erlass des Premier-ministers al-Maliki soll Abhilfe schaffen, findet aber kaum Berücksichtigung.

​​Der Politikwechsel hat das Selbstvertrauen der Studierenden gegenüber diesen Dozenten enorm gestärkt. Die leitenden Positionen an den Universitäten, so verlangen sie, müssen Professoren mit einer sauberen Vergangenheit einnehmen. Letztlich kann kein Rektor einer Universität, einer Hochschule oder auch einer Fakultät ohne die Zustimmung der Studierenden vernünftig arbeiten.

Indes verwandelt sich das Selbstvertrauen der Studierenden in manchen Fällen in Gewaltbereitschaft gegenüber dem Lehrkörper und dem Studiensystem. Die Symbole totalitärer Macht sind von den Universitäten verschwunden, stattdessen wird nun eine Vielzahl politischer Symbole präsentiert. Die Plakate der neuen politischen Parteien bedecken die Wände der Universitäten.

Es scheint, als erlebten wir nun wieder den Pluralismus, der vor den Baathisten an den irakischen Universitäten herrschte. Allerdings hat diese neue Vielfalt konfessionalistische Züge, denn die marode Administration der Universitäten ist nicht in der Lage, dem desolaten politischen Alltag etwas entgegenzusetzen und so die universitäre Qualität zu sichern.

Druck der Religiosität wächst

Die Präsenz von Politik und Parteien an den Universitäten wirkt sich negativ aus. So fordern viele Publizisten und Akademiker die politische Neutralität der Universitäten. Dies zeigt sich in einem Erlass von Premierminister Nouri al-Maliki, der die Entfernung politischer und religiöser Symbole aus Regierungseinrichtungen und dem universitären Bereich bestimmt. Doch die Umsetzung lässt häufig zu wünschen übrig.

Im Irak nimmt sich ein Professor vor der Autorität der ideologischen Gruppierungen in Acht, der ein Studierender anhängt. Er ist nicht bereit, sich auf eine Konfrontation einzulassen, noch dazu in einem Klima, in dem gesetzliche Vorschriften kaum Gültigkeit haben.

Inzwischen verstecken sich viele Dozenten - ehemalige Baathisten aber auch andere - hinter einer religiösen Maske. Viele legten ihre Krawatten ab, andere ließen sich einen Bart wachsen. Häufig führen sie religiöse Floskeln im Munde, tragen einen Siegelring und legen sich eine Gebetskette zu. Es wird deutlich, dass eine neue Epoche begonnen hat. Man muss sich anpassen, will man Arbeit und Lebensstandard beibehalten.

Polarisierung an den irakischen Universitäten

Niemand kann die Augen vor dem um sich greifenden Islamismus verschließen, der immer tiefer in die verschiedenen Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens eindringt. Auch die Universitäten sind bereits davon durchdrungen.

Die Rigorosität, mit der diese Tendenz verbreitet wird, hat die Organisationen der Studierenden bereits häufiger dazu veranlasst, Studentinnen bestimmte Verhaltensformen oder einen religiösen Kleidungsstil vorzuschreiben. Der Lehrkörper begegnet diesem Phänomen mit Gleichgültigkeit oder Angst.

Die scharfe konfessionelle Polarisierung im politischen Geschehen wird unmittelbar auf die irakischen Universitäten übertragen. Man kann beobachten, wie sich die Universitäten kaum merklich entweder sunnitisch oder schiitisch ausrichten. Die Konfession wird zum entscheidenden Kriterium bei der Wahl der Universität, sowohl für Studierende als auch für Professoren.

Dieser Umstand wird durch den politischen bzw. rechtsstaatlichen Diskurs zwar weder bestätigt noch gebilligt, doch niemand spricht davon, dass die konfessionelle Spaltung der Universitäten eine Tatsache ist. Wenn aber keine definitiven Beschlüsse zur Behebung dieses Problems getroffen werden, steht es schlecht um die irakischen Universitäten.

Ziel bewaffneter Übergriffe

Die Konsequenzen der politisch-konfessionellen Polarisierung und die anhaltenden blutigen Auseinandersetzungen machen die Studierenden und die irakischen Universitäten zu Zielen bewaffneter Übergriffe. Bei der Bergung der Verwundeten konnte man eine erschütternde Szene beobachten: von den herumliegenden Mobiltelefonen erhob sich ein surrealistischer Chor von Klingeltönen, da die Anrufe der besorgten Angehörigen der Opfer nicht beantwortet werden konnten.

Gerade erst kam es an der Mustansiriya-Universität in Bagdad zu einer Reihe furchtbarer Selbstmordanschläge. Der letzte, verursacht durch zwei mit Sprengstoff beladene Autos und einen Selbstmordattentäter mit Sprengstoffgürtel, forderte viele Todesopfer sowohl unter den Studierenden als auch unter den Dozenten.

Studenten zunehmend mit Problemen konfrontiert

Ein schwerbewaffneter irakischer Soldat überwacht den Verkehr an einer Straßenkreuzung in Bagdad; Foto: AP
Die desolate Lage des Landes wirkt sich auf das Klima an den irakischen Universitäten zunehmend negativ aus.

​​Die Universitäten liegen im Zentrum der Spannungen. Auf Kosten der zerrissenen Studentenschaft werden Punkte für die eine oder andere Gruppierung gesammelt. Der Studienalltag verläuft dadurch immer schleppender. Zu den früheren Problemen sind nun etliche neue hinzugekommen.

Manche Studierende gehen nur einmal pro Woche oder noch seltener zur Uni. Sie wissen genau, dass die Universität nichts dagegen tun kann.

Ein anderes Beispiel sind Studierende des Bagdader Instituts für Erdöl: Sie haben ihr Praktikum in einem staatlichen Krankenhaus abgeleistet, obwohl dieses eigentlich in der Großraffinerie von Daura hätte stattfinden sollen. Die Gruppe schiitischer Studierender weigerte sich jedoch, in die Raffinerie zu gehen, da sie sich vor Übergriffen bewaffneter Sunniten in diesem Bagdader Viertel fürchteten.

Die Bagdader Universitäten haben auch mit Unterbesetzung zu kämpfen. Viele Dozenten der Naturwissenschaften sind ins Ausland geflohen, da sie bedroht wurden und um ihr Leben fürchteten oder weil sie zusehen mussten, wie ihre Kollegen getötet wurden.

Besonders aber leiden die Studentinnen unter der Unsicherheit der Situation. Die Entführung einiger Studentinnen versetzen die jungen Frauen an den Bagdader Universitäten in ständige Angst. Viele von ihnen leiden zudem unter der verschärften männlichen Kontrolle. Einige besonders radikale junge Männer unter den Studierenden bilden gar eine Art Sittenpolizei: Sie ziehen die Studentinnen wegen ihrer Kleidung oder ihres Make-Ups zur Rechenschaft.

Probleme von politischer Lage des Irak abhängig

Gewiss werden Maßnahmen getroffen, um die dringendsten Probleme an den Universitäten zu beheben. Ein Teil dieser Probleme ist jedoch von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig, die nicht dazu geeignet sind, ein für die Lehre notwendiges Klima zu schaffen und einen eigenen intellektuellen Diskurs zu ermöglichen. Beides ist jedoch notwendig, um eine Verbesserung der Lage herbeizuführen.

Diese unsichere Übergangszeit, in der sich das Land befindet, lässt auf keine positive Zukunft für die irakischen Universitäten und die übrigen Institutionen hoffen, die sich für zivilgesellschaftliche Arbeit im Irak einsetzen.

Liberale Atmosphäre wiederherstellen

Würden sich die irakischen Universitäten erneut dem Austausch mit den internationalen Universitäten öffnen, und gelänge es, die liberale Atmosphäre wiederherzustellen, die den Irak zu Beginn seines Eintritts in die Moderne kennzeichnete, so böte dies eine fruchtbare ethische Grundlage für die akademische Ausbildung im Irak.

Wir brauchen eine neue Bildungselite aus graduierten Wissenschaftlern aller Fachrichtungen, die Abschlüsse an international renommierten Lehrstätten erworben haben, genau wie dies vor einem halben Jahrhundert im Irak der Fall war.

Der erste Schritt muss die Lösung der politischen und sicherheitstechnischen Probleme des Irak sein. Politische Konflikte müssen aus den Universitäten herausgehalten werden. Die Autorität und der wissenschaftliche Diskurs der akademischen Führungskräfte müssen verfassungsrechtlich und gesetzlich besser geschützt werden. So wird das für eine Reformierung nötige Selbstvertrauen gestärkt, zu der die Universitäten den größten Beitrag leisten.

Ahmad al-Saadawi

Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell

© Qantara.de 2007

Qantara.de

Medien und Meinungsfreiheit im Irak
Vom Meinungsdiktat zur Polarisierung
Die Situation der Medien im Irak hat sich nach dem Sturz des baathistischen Regimes stark verändert. Der irakische Publizist und Journalist Ahmad al-Saadawi zeigt die jüngste Entwicklung auf.

Der Irak nach Saddam Hussein
Einem kulturellen Gewissen auf die Sprünge helfen
Viele Intellektuelle stellten sich in den vergangenen Jahrzehnten in den Dienst der "Kultur" des Regimes von Saddam Hussein und der Baath-Partei. Wie gehen die Iraker heute - vier Jahre nach dem Fall dieses Regimes - mit dieser Epoche um? Eine Einschätzung des irakischen Schriftstellers und Journalisten Ahmad al-Saadawi