Das Leben kehrt heim

Die Kasbah von Algier mit ihren verwinkelten Gassen war mehr als einmal Schauplatz blutiger Schlachten. Jetzt will die Regierung das symbolträchtige Viertel zur Touristenattraktion ausbauen. Von Cornelia Derichsweiler

Zweimal täglich trottet eine Schar von Eseln durch die Kasbah. Geführt von den Männern der Stadtreinigung, sammelt der kleine Trupp den Abfall in den winzigen Strässchen der Altstadt. Ein moderner Kehrichtwagen wäre in diesem Geflecht aus Gassen und Treppen gar nicht zu gebrauchen.

Das malerisch über dem Meer gelegene Häuser-Labyrinth war immer schon eine beliebte Zuflucht für Rebellen. In den fünfziger Jahren lieferten algerische Freiheitskämpfer den Soldaten der französischen Kolonialmacht an jeder Ecke erbitterte Gefechte. Granaten gingen nieder, es wurde gefoltert und gemordet.

Massaker an den Bewohnern

In den neunziger Jahren wurde die Kasbah erneut zum Zentrum eines Konflikts. Fanatische Islamisten verschanzten sich in den Häusern der Altstadt, führten einen Guerillakampf gegen das Militär.

Sie verübten auch Massaker an Zivilisten. Viele Bewohner verliessen das Viertel, so wie der Schreiner Khaled Mahiout. Seine Mutter, eine Schwester und zwei seiner Brüder sind in der Kasbah von Islamisten erschossen worden. "Mein ältester Bruder war Polizist", erklärt der 53-jährige Mann. "Da wollten sie zur Strafe gleich die ganze Sippe auslöschen."

Mahiout konnte damals noch rechtzeitig mit seiner Frau und den acht Kindern fliehen. Er ist in der Provinz bei Verwandten untergeschlüpft, hat sich notdürftig mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen.

Als er nach zehn Jahren zurückkam, war das Elternhaus zerstört. Die Islamisten hatten alles kurz und klein geschlagen. Mit seinen Söhnen versucht Khaled jetzt, langsam alles in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen.

In einem fensterlosen, dunklen Verschlag im Erdgeschoss seines Hauses zimmert Mahiout wieder Tische und Stühle. Gleich nebenan hat sich ein Goldschmied niedergelassen. In der Bar gegenüber sitzen die Männer laut diskutierend beim Pfefferminztee.

Langsam kehrt Leben in die Kasbah zurück. In der Hauptstrasse herrscht reges Markttreiben. Auf den Karren der Händler stapeln sich bergeweise Tomaten, Orangen und Auberginen, der Duft von Zimt und Kreuzkümmel liegt in der Luft.

Mahiout liebt dieses Viertel mit all seinen Farben und Gerüchen. Von seiner Dachterrasse aus hat man einen Panoramablick aufs Meer und die weiss getünchten Häuser des Viertels; viele stammen noch aus der Zeit der Osmanen (1516-1830).

Ein bröckelndes Weltkulturerbe

Die Kasbah von Algier gehört zu den grössten Altstädten der arabischen Welt und wurde von der Unesco 1992 zum Weltkulturerbe erklärt.

Fast überall aber bröckelt der Putz, viele Gebäude sind halb verfallen oder eingestürzt. Dabei hat die algerische Regierung die Restaurierung der Kasbah per Gesetz zur wichtigsten Aufgabe der Denkmalpflege gemacht.

Das Viertel ist nicht nur architektonisch ein einzigartiges Monument, sondern auch wegen seiner Rolle im Kampf um die Unabhängigkeit für die Algerier ein wichtiges Symbol. Gleichzeitig hofft man, wieder Touristen nach Algier zu locken.

Wie viel der Wiederaufbau der Altstadt, in der sich über 50.000 Menschen auf engstem Raum zusammendrängen, kosten wird, weiss niemand zu sagen. Auch nicht der Chef-Architekt Guellal Said. Er verfügt über ein Budget von 8 Milliarden Dinar, umgerechnet 140 Millionen Franken.

Mit diesem Geld soll er die zahlreichen Prachtbauten in öffentlichem Besitz sowie Strassen, Plätze und das desolate Kanalisationsnetz restaurieren. Einige Paläste und Moscheen strahlen schon wieder in neuem Glanz. Andere werden in mühevoller Detailarbeit gerade originalgetreu wiederhergestellt.

Ärmliche Behausungen

Es sind nur vereinzelte Juwelen inmitten einer Bausubstanz, die vielerorts einem Trümmerfeld gleicht.

80 Prozent der Altstadt sind in Privatbesitz, so berichtet der Architekt. "Die meisten Bewohner hier sind arm. Oft teilen sich ganze Familien ein Zimmer." Viele werden vom Angebot der Stadt, 50 Prozent der Renovierungskosten zu übernehmen, keinen Gebrauch machen, da sie ihren Anteil nicht aufbringen können. Es wird dauern, bis die Altstadt wieder aufgebaut ist.

In den engen Gassen spielen Kinder Fussball, und die Alten erzählen in den Teehäusern stolz Geschichten aus vergangenen Zeiten. Ein 70-jähriger Mann mit grauem Schnauz und dunkler Sonnenbrille wird als Befreiungskämpfer vorgestellt.

Der Mann namens Mohammed hat ein lahmes Bein. Er sei im Algerienkrieg monatelang von den Franzosen gefoltert worden, berichten seine Kameraden ehrfürchtig.

Dem Schicksal ausgeliefert

Fast jeder der Männer hier im Teehaus hat einst an der Seite der Nationalen Befreiungsfront gegen die Besetzer gekämpft. Einer der Veteranen kramt eine vergilbte Foto aus der Tasche, die ihn in Kampfanzug mit Gewehr zeigt.

Auch er ist ein Kind der Kasbah. Heute wohnt er hier in einem feuchten Zimmer, gemeinsam mit seiner Schwester, seiner Tochter und deren Kindern. Der Mann ist krank, hat Diabetes und lebt von einer kläglichen Rente.

Wie viele im Viertel ist er von der Regierung enttäuscht - er hat für seinen Einsatz im Unabhängigkeitskampf nie eine Anerkennung bekommen. Nicht nur die Bausubstanz der Kasbah bröckelt, auch ihre Bewohner fühlen sich dem Schicksal ausgeliefert.

Cornelia Derichsweiler

© Neue Zürcher Zeitung 2007

Qantara.de

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