Liebe macht blind – Sympathie manchmal einäugig

Mit Ihrem Roman über die Lieblingsfrau des Propheten Mohammed wollte Sherry Jones ihre Leser im Geist der Versöhnung an den allzu oft verteufelten Islam heranzuführen. Doch weil ihr Buch literarischen Ansprüchen nicht ganz gerecht wird, setzt sie das Vertrauen in ihre Darstellung auf leichtfertige Weise aufs Spiel. Eine Rezension von Angela Schader

​​ Mit Aufmerksamkeit hatte Sherry Jones, die Verfasserin des im vergangenen August plötzlich in den Brennpunkt der Öffentlichkeit gerückten Romans "The Jewel of Medina", von Anfang an gerechnet. Ihr Buch griff mit der Lebensgeschichte der Aisha bint Abu Bakr, der schon im Kindesalter an den Propheten verheirateten Lieblingsfrau Mohammeds, ein äußerst sensibles Thema auf; doch war es Jones' Anliegen, mit ihrer Darstellung der islamischen Frühzeit "jenes einfühlsame Porträt einer auf Gleichheit und – ja – Friedfertigkeit gegründeten Religion zu vermitteln, welches der Westen jetzt braucht".

Und der amerikanische Großverleger Random House, bei dem ihr Buch seit einem Jahr auf dem Programm stand, hatte auch bereits eine Lesereise vorbereitet und den Titel dem Book of the Month Club und anderen verkaufs fördernden Multiplikatoren ans Herz gelegt.

Auf die Warnung der Islamwissenschafterin Denise Spellberg hin – auf deren Studien sich Jones bei ihrer Arbeit teilweise abgestützt hatte – zog man den Titel dann jedoch kurz vor dem angekündigten Erscheinungsdatum zurück; Spellberg wies darauf hin, dass sich Muslime durch das Buch beleidigt fühlen könnten, und soll sich persönlich von dessen "pornografischen" Inhalten distanziert haben.

Sherry Jones und ihre Agentin wurden in der Folge verschiedentlich um Stellungnahmen gebeten. Ihre Offenheit und Hilfsbereitschaft stand dabei in markantem Gegensatz zu der fast schon peinlich anmutenden Abwehrpolitik, der man bei Random House begegnete.

Streitlustige Frauenzimmer

Nun erscheint Sherry Jones' Roman in England und den USA bei kleineren Verlagen und fast zeitgleich in deutscher Übersetzung bei Pendo; damit kann man am Text selbst das Maß nehmen, um das Verhalten der einzelnen Akteure abzuschätzen. Der Vorwurf, dass es sich um Pornografie – oder gar, wie eine deutsche Zeitung eilig anmahnte, um Kinderpornografie – handle, lässt sich unmöglich aufrechterhalten: Erotik ist zwar durchaus im Spiel, wenn wieder eine neue Schönheit in den Harem des Propheten eintritt, aber über kokette Blicke und eine anzügliche Geste dann und wann geht das nicht hinaus.

In den Hadith, den von Mohammed nahe stehenden Gewährsleuten überlieferten Worten und Taten des Propheten, ist übrigens recht unbefangen von dessen Manneskraft die Rede, so dass auch Muslime an solchen Passagen nicht unbedingt Anstoß nehmen müssten. Zudem verlegt Jones, unter Berufung auf eine eher selten gehörte und von den Hadith abweichende Tradition, den Vollzug von Mohammeds Ehe mit seiner kindlichen Braut von Aishas neuntem auf ihr vierzehntes Altersjahr – wie sie den Propheten überhaupt als äußerst achtsamen und liebenswerten Gatten zeichnet.

Autorin Sherry Jones; Foto: privat
"Vielleicht gefällt Ihnen mein Buch nicht oder Sie stimmen ihm nicht zu, aber der Roman beleidigt in keiner Weise den Islam oder den Propheten Mohammed." Die amerikanische Autorin Sherry Jones

​​ Paradoxerweise ist es gerade die Sympathie der Autorin mit ihren Hauptakteuren, die diese in einen allzu engen Raster sperrt. Dass Jones gelegentlich von den historischen Vorgaben abweicht und die komplexe Frühgeschichte des Islam nur in großen Konturen fasst, wird man im Blick auf die schriftstellerische Freiheit und auch mit dem Anliegen der Autorin, eine breitere Leserschaft anzusprechen, rechtfertigen dürfen.

Aber Aisha, die in der Überlieferung als eine zunächst noch verspielte, eigenwillige, später auch eifersüchtige und mit einem gepfefferten Mundwerk begabte junge Frau erscheint, gerät im Roman zu einer Kreuzung aus Jeanne d'Arc und Pippi Langstrumpf, die dem Leser öfters Verdruss bereitet.

Vom zarten Kindesalter an bis zu dem Moment, da ihr der sterbende Prophet die eigene Waffe überreicht, versäumt Jones' Aisha keine Gelegenheit, mit dem Schwert zu wedeln; mit ihrem Spielgefährten Safwan kreuzt sie hölzerne Säbel, als Gattin des Propheten geht sie bewaffnet zu Markte und wird prompt in Händel verwickelt (die Wahrscheinlichkeit einer solchen Episode sei dahingestellt), und bei jeder Schlacht der Gläubigen drängt sie an die Front; nebenher steht sie Mohammed auch als Strategin bei – so soll der rettende Graben, der die Muslime in Medina vor der Übermacht der verfeindeten Quraishiten schützte, sich Aishas Genius verdanken und nicht, wie es die Überlieferung will, demjenigen des Persers Salman.

Nicht minder häufig als die Kampflust flammt die Eifersucht der Protagonistin auf. Das ist zwar insofern nicht unplausibel, als die erst gerade dem Kindesalter entwachsende Aisha im Harem ständig gegen reifere und gewiss nicht minder attraktive Frauen um ihre Stellung als Lieblingsgattin des Propheten kämpfen muss – was ihr andernfalls blüht, weiß sie von ihrer Mutter, die tagaus, tagein Frondienst für die tyrannische Hauptfrau ihres Gatten zu leisten hatte.

Die zwölf Gemahlinnen, die Mohammed im Laufe des Romans nimmt, sind an Gestalt und Charakter ebenso verschieden wie die Gründe, um derentwillen die jeweilige Ehe geschlossen wird; das verleiht der Erzählung ein kräftiges Kolorit, das Aisha aber letztlich eher zum Nachteil gereicht: Ihre mit schöner Regelmäßigkeit sich wiederholenden Ausbrüche von Trotz und Eifersucht wirken zunehmend wie erzählerische Versatzstücke.

Ein wenig ex machina inszeniert wirken auch die Auftritte Safwans, der sich vom Kindheitsgefährten Aishas zum attraktiven, aber hasenherzigen Versucher wandelt und bei jeder Krise pünktlich auftaucht. Dass Sherry Jones hier eine berühmte, in den Hadith referierte Episode bis hin zum fast vollzogenen Ehebruch ausspinnt, könnte einer der Punkte in ihrem Roman sein, an denen gläubige Muslime möglicherweise Anstoß nehmen werden.

Fragwürdige Parteilichkeit

Wirkliche Irritation ruft Sherry Jones' Darstellung jedoch dort hervor, wo sich die Autorin – aus Sympathie für ihre Protagonistin oder aus Respekt vor dem Propheten – zu fragwürdiger Parteilichkeit oder Schönrednerei verführen lässt. So erscheint Mohammeds Neffe und Schwiegersohn Ali, der nach dem Tod des Propheten durch Aishas Vater aus der Position des Nachfolgers verdrängt wird, von Anfang an als intriganter Schnüffler, der Aisha bei jeder sich bietenden Gelegenheit torpediert; die Schiiten, die in Ali den einzig legitimen Erben von Mohammeds Autorität und Führungsmacht sehen, dürften eine solche Darstellung mit Missmut zur Kenntnis nehmen.

Kaum mehr zu rechtfertigen ist dann die Leichtfüßigkeit, mit welcher Jones über die dunklen Seiten der islamischen Frühgeschichte hinwegtänzelt. Dass Mohammed Kritiker und Spötter kurzerhand beseitigen ließ, ist so verblümt angedeutet, dass nur Eingeweihte wissen können, worauf der Text anspielt. Die Vertreibung zweier jüdischer Stämme aus Medina wird im ersten Fall sozusagen als Kulisse für einen von Aishas Schwerttänzen missbraucht, im zweiten nachgerade als Gnadenakt des Propheten geschildert: Die verräterischen Juden hätten zwar den Tod verdient, werden aber um ihres heiligen Buches willen – von dem viel in den Koran eingegangen ist – verschont.

Das grausige Schicksal des dritten und letzten jüdischen Stammes schließlich, das Massaker an den Männern der Bani Quraiza und die Versklavung ihrer Frauen und Kinder, soll der Prophet nur notgedrungen und fast unter Tränen verordnet haben.

Sherry Jones' Wunsch, ihre Leser im Geist der Versöhnung an den allzu oft verteufelten Islam heranzuführen, verdient Achtung – noch wo ihr Buch literarischen Ansprüchen nicht ganz gerecht wird oder die historische Faktizität allzu sehr strapaziert. Doch mit solcher, wenn auch noch so gut gemeinter Unredlichkeit setzt sie das Vertrauen in ihre Darstellung auf leichtfertige und schwer verständliche Weise aufs Spiel.

Angela Schader

© Neue Zürcher Zeitung 2008

Sherry Jones: Aisha. Das Juwel von Medina. Aus dem Amerikanischen von Emma und Samuel Daussig. Pendo-Verlag, München 2008. 448 S., Fr. 35.90.

Angela Schader ist die leitende Redakteurin Literatur der Neuen Zürcher Zeitung.

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