Zehn Jahre "Burkaverbot" in Frankreich

Auch zehn Jahre nach dem Verbot der Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum sind Burka und Nikab regelmäßig in den französischen Nachrichten. Das Verbot steht für ein gespaltenes Verhältnis zum Islam.

Paris. Frankreich ist das Land mit den meisten Muslimen in Europa: Schätzungen zufolge rund sechs Millionen. Trotzdem tut man sich schwer mit einem angemessenen Umgang mit der Religion Mohammeds. Das gesetzliche Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit - gemeinhin "Burkaverbot" genannt - war das Ende einer langen Debatte und der Beginn einer langen juristischen Auseinandersetzung. Bis heute fühlt sich manche Muslimin in Frankreich durch das Gesetz in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt. Im Juli 2010 verabschiedete es die Nationalversammlung. Vor zehn Jahren, am 11. April 2011, trat das "Burkaverbot" in Kraft.

Frankreich war eines der ersten EU-Länder, das 2004 jegliche auffälligen religiösen Symbole wie das christliche Kreuz, die jüdische Kippa und das islamische Kopftuch in Schulen verbot. Seither zogen einige nach: In Deutschland gilt ein Verschleierungsverbot beim Fahren eines Fahrzeugs im Straßenverkehr; in den Niederlanden und Bulgarien in Ämtern, Krankenhäusern und im Nahverkehr; in Dänemark besteht ein Vollverschleierungsverbot, Österreich verbietet die Gesichtsverhüllung. Die Schweiz entschied sich erst im März per Volksabstimmung für ein Verhüllungsverbot in der Öffentlichkeit.

In Frankreich gab es vor 2010 nur etwa 2.000 Frauen, die einen traditionellen muslimischen Gesichtsschleier wie Burka oder Nikab trugen. Zuvor hatte eine Enquete-Kommission der Französischen Nationalversammlung dazu einen Bericht vorgelegt. Die Abgeordneten plädierten damals für ein Verbot des Ganzkörperschleiers in allen Bereichen öffentlicher Dienstleistungen - vom Personenverkehr über Postämter bis hin zu Krankenhäusern und Schulen. Wer Burka oder Nikab trägt, würde nicht mit einer Geldbuße belegt, sondern hätte lediglich die Konsequenz zu tragen, dass die gewünschte Dienstleistung verwehrt bleibt.

Juristen hatten Bauchschmerzen: Wie kann ein Gesetz zum Verbot von Burka oder Nikab die Grundrechte wie Religionsfreiheit weiter wahren? Diese Frage beschäftigte seit Inkrafttreten des Gesetzes einige Gerichte. 2014 stufte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg das "Burkaverbot" in Frankreich als rechtmäßig ein.

Doch das Gesetz hatte unerwünschte Nebenwirkungen. Erst die Verbotsdiskussion habe überhaupt zu einem Nikab-Boom geführt, sagt die renommierte Pariser Soziologin Agnes de Feo: "Plötzlich begannen sich deutlich mehr junge Frauen für Vollverschleierung, Salafismus und Dschihad zu interessieren." Konvertiten, so de Feo, machten rund ein Prozent der muslimischen Gesamtbevölkerung in Frankreich aus; bei den Nikab-Trägerinnen seien es 50 Prozent. Die anderen seien zumeist junge Frauen aus muslimischen Einwanderfamilien, die nicht religiös erzogen seien.

Die Wissenschaftlerin: "Der Nikab ist bei ihnen nicht Zeichen einer erzwungenen Unterwerfung, sondern eine Revolte gegen Eltern und Herkunftsmilieu, die besagt: Ihr habt eure Identität verraten und euch angepasst. Ich kehre zu meinen Wurzeln zurück." Für Salafistinnen sei die Vollverschleierung "kein Diktat, sondern eine besondere moralische Auszeichnung, ihre eigenverantwortlichste Entscheidung. Nichts könnte absurder sein als der Vorwurf, sie würden sich durch Vollverschleierung unterwerfen."

Und, so de Feo weiter, die überwältigende Mehrheit der Muslime habe das französische Nikab-Verbot als islamfeindlich empfunden: "Es wurde wieder von ihnen verlangt, sich zu rechtfertigen und von Glaubensgenossinnen zu distanzieren." Das Verbot, so ihr Verdikt, habe einen weiteren Beitrag zur Spaltung der französischen Gesellschaft geleistet.

2018 kritisierte der UN-Menschenrechtsausschuss das Verbot als "religiöse Diskriminierung" und als ein Hindernis für Frauen, ihre Religion frei auszudrücken. Die UN-Experten reagierten damit auf die Beschwerden zweier Frauen, die 2012 auf Grundlage des Gesetzes verurteilt worden waren. Das Burkaverbot habe ihr Recht verletzt, ihre religiöse Haltung zum Ausdruck zu bringen, und könnte dazu führen, dass sie nicht mehr in die Öffentlichkeit gingen, erklärte der UN-Ausschuss.

Immer wieder sorgen Burka und Nikab für Debatten in Frankreich. Anfang 2019 machte ein Kopftuch für Joggerinnen Schlagzeilen, das eine Sportartikelkette auf den Markt bringen wollte. Bald darauf wurde auch das Verbot sogenannter Burkinis in Schwimmbädern diskutiert. (KNA)