Machtkampf im Sudan entwickelt sich zu humanitärer Katastrophe

Seit mehr als einer Woche wüten die Kämpfe im Sudan. Während ausländische Regierungen ihre Bürger evakuieren, bleiben verzweifelte Sudanesen in ihren Häusern gefangen. Abgeschnitten vom Rest der Welt. Von Kristin Palitza, dpa



Khartum. Seit mehr als einer Woche bekämpfen sich zwei rivalisierende Militäreinheiten im Sudan. Für viele Sudanesinnen und Sudanesen waren es die längsten Tage ihres Lebens. Ohne Strom oder fließendes Wasser verschanzen sie sich in ihren Häusern, während um sie herum Bomben und Schüsse fallen. Essensvorräte schrumpfen. Wer sich - oft unter Lebensgefahr - auf die Suche nach Nahrungsmitteln begibt, hat wenig Erfolg. Statt Marktständen säumen Leichen die menschenleeren Straßen der Hauptstadt Khartum. Seit Beginn der Kämpfe sind die Geschäfte geschlossen. Die Gefahr ins Kreuzfeuer der Konfliktparteien zu geraten ist groß; in Fenstern von Wohnhäusern lauern Heckenschützen.



Während Länder wie die USA und Großbritannien am Wochenende ihre Staatsbürger evakuierten, blieben Hunderttausende Sudanesen hilflos in ihrer Heimat gefangen, schrieb eine Einwohnerin der Hauptstadt Khartum auf Twitter. Man fühle sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen. «An die westlichen Verhandlungsführer: Ihr habt uns in diesen Schlamassel gebracht und jetzt kommt ihr ein, um eure Staatsbürger (diejenigen, auf die es ankommt) herauszuholen, und uns lasst ihr mit diesen zwei mörderischen Psychopathen zurück», schrieb Twitter-Nutzerin Dallia aus Khartum. Die wiederholten Aufrufe zur Beendigung des Konflikts seien unzureichend, mehr müsse getan werden, forderte ein weiterer Sudanese. 



Besonders für Verletzte und Kranke ist die Lage prekär. Nur 35 Krankenhäuser und Kliniken seien in dem Land mit 46 Millionen Einwohnern noch funktionstüchtig, berichtete das sudanesische Ärztekomitee. Und selbst diesen gehen die Medikamente aus. Nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen gibt es kaum noch Blutkonserven im Land.



Seit Samstag vergangener Woche kämpft die Armee des Landes gegen die einst verbündete paramilitärische Einheit Rapid Support Forces (RSF) um die Macht. Papst Franziskus appellierte am Sonntag nochmals an die Konfliktparteien, die Gewalt so bald wie möglich einzustellen sowie den «Weg des Dialogs» einzuschlagen.



Doch auch am Sonntag gingen die schweren Gefechte nach Angaben des Ärzte-Komitees weiter. Die Zahl der getöteten Zivilisten steige täglich, hieß es. Eine vollständige Übersicht über das Ausmaß gebe es noch nicht. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verloren seit Beginn der Kämpfe mindestens 413 Menschen ihr Leben, mehr als 3500 wurden verletzt. Die tatsächliche Opferzahl ist vermutlich weitaus höher.



Die USA zogen in der Nacht zum Sonntag ihre Regierungsmitarbeiter und deren Angehörigen aus dem Land ab und schlossen die US-Botschaft in Khartum. Auch Großbritannien holte diplomatische Vertreter aus dem Land. Aus der östlichen Stadt Port Sudan hatte Saudi-Arabien am Samstag bereits mit Schiffen 150 Menschen aus zwölf Ländern in Sicherheit gebracht worden. Zudem sollte eine jordanische Gruppe aus Port Sudan ausgeflogen werden.



Die Bundeswehr hat Militärtransporter und Fallschirmjäger nach Jordanien verlegt und startete am Sonntag einen Einsatz zur Evakuierung deutscher Staatsbürger. Auch andere Länder, wie Frankreich, Belgien, Italien, Griechenland, die Niederlande, Schweden und Spanien, planten eine Evakuierung ihrer Staatsbürger.



Tausende Sudanesen sind mittlerweile in Nachbarländer wie Ägypten, Äthiopien und den Tschad geflohen. Zehntausende weitere Menschen sind UN-Angaben zufolge innerhalb des Landes aus stark umkämpften Gebieten vertrieben worden.



Die Kämpfe zwischen den zwei mächtigsten Generälen des Landes und ihren Einheiten bedeuten für Sudanesen das Ende der Hoffnung, in naher Zukunft eine Demokratie zu werden. Seit Langzeitmachthaber Omar al-Baschir 2019 vom Militär und den RSF gestürzt wurde, fordert das Volk eine demokratische Regierung. Eine temporäre Regierung aus Militärs und zivilen Politikern wurde zwei Jahre später durch einen erneuten Putsch abgesetzt. Seitdem führten De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan, der auch Oberbefehlshaber der Armee ist, und Mohammed Hamdan Daglo, der manchen Experten zufolge als eigentlich stärkster Mann im Sudan gilt, das Land.



Ein Ende 2022 abgeschlossenes Abkommen hätte die lang ersehnte Machtübergabe an eine Zivilregierung vorgesehen. Als Teil dessen sollte die RSF der Armee unterstellt werden. Analysten vermuten dies sei einer der Auslöser für den blutigen Machtkampf zwischen Al-Burhan und Daglo. 



Der neue Konflikt hat das trotz reicher Gold- und Öl-Vorkommen bitterarme Land nun in eine Krise mit ungewissem Ausgang gestürzt. Aufgrund der immer wiederkehrenden Gewalt und zahlreicher Konflikte waren bereits vor Beginn der aktuellen Gefechte knapp 16 Millionen Menschen in dem Land nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen. Jetzt könnte es wesentlich schlimmer werden. (dpa)