Queer und arabisch 

Der von Elias Jahshan herausgegebene Sammelband "This Arab is Queer“ besticht durch die Offenheit, mit der die Autorinnen und Autoren über ihre sexuelle Orientierung schreiben, die in vielen ihrer Herkunftsländer immer noch heftige Reaktionen auslösen und sogar gefährlich werden kann. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

This Arab is Queer ist ein Band mit Essays von 18 Autorinnen und Autoren aus der ganzen Welt. Die Sammlung soll sicher keinen umfassenden Überblick über das queeres Leben in der arabischen Welt vermitteln und bedient auch nicht die gängigen Vorstellungen davon, was es bedeutet, in den Gesellschaften des Nahen Ostens schwul oder lesbisch zu sein. Ganz im Gegenteil: Hier erzählen auch arabische Menschen, die in den vermeintlich aufgeschlossenen Ländern des europäischen und amerikanischen Kontinents leben, von ihren Erfahrungen. 

Die Autorinnen und Autoren sind auf ihre jeweils eigene Weise arabisch und nicht alle sind Muslime. Wir finden in diesem Buch auch keine Essays aus anderen islamischen Ländern, wie beispielsweise Südostasien, Afrika, Iran, Indonesien oder Afghanistan. Schließlich haben diese Orte und Kulturen ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Das sollten wir beim Lesen des Buches berücksichtigen. Es wird dazu beitragen, die Erzählungen im richtigen Kontext zu lesen. 

Die sehr persönlichen Geschichten spiegeln die Erfahrungen jeder einzelnen Person. Denn – so wird schnell klar – "das arabische Queersein“ gibt es nicht. Genauso wenig wie es ein deutsches oder, sagen wir, kanadisches Queersein gibt. Jede Person ist ein einzigartiges Individuum mit einem einzigartigen Lebensweg. 

Die übliche Bigotterie 

Wer im Nahen Osten lebt, ist mit den scheinheiligen Diskussionen über Homosexualität ebenso vertraut wie Betroffene in Europa; vielleicht noch mehr. Die Geschichten klingen ähnlich wie jene, die man aus den queeren Communities im Nordamerika und Europa der 1970er Jahre gehört hat.

Elias Jahshan, Herausgeber der Anthologie von Essays "This Arab is Queer", erschienen bei Saki Books (Foto: privat)
Eine einzigartige Anthologie: Die Autorinnen und Autoren beschreiben "Stereotype über körperliche Merkmale und sexuelle Vorlieben, ebenso wie den Wunsch, sich vor einer repressiven Kultur zu retten und das Gefühl, sich selbst in der Gemeinschaft, in der man eigentlich sicher sein sollte, herabgesetzt zu fühlen. Dass die Mehrheit der Autorinnen und Autoren ihre Kultur liebt und nicht verlieren möchte, macht die Vorstellung, eben vor dieser Kultur gerettet werden zu müssen, noch verletzender,“ schreibt Richard Marcus. 

Statt in selbstgerechte Empörung zu verfallen, sollten wir uns lieber daran erinnern, dass queere Communities im angeblich so aufgeklärten Westen erst seit gut zehn Jahren einigermaßen akzeptiert sind.

Indes lassen zuletzt in den Vereinigten Staaten verabschiedete Gesetze gegen die LGBTQ+-Communities an dieser Akzeptanz erneut zweifeln. In seiner Einleitung weist Herausgeber Elias Jahshan darauf hin, dass viele der Gesetze gegen Homosexualität in den arabischen Ländern aus der Kolonialzeit stammen.

Zwar seien die heute geltenden Gesetze drakonisch und seien von den aktuellen Machthabern des jeweiligen Landes zu verantworten, aber sie würden auch die Moral der früheren Kolonialherren widerspiegeln. 

Außerdem, so fügt Jahshan hinzu, würden wir vor allem Negatives über queere Araber hören. Die Medien konzentrierten sich auf Verallgemeinerungen, anstatt mit den Menschen selbst über ihr Leben zu sprechen und ihnen zuzuhören. 

Das Buch versucht, unterschiedlichsten Menschen eine Plattform zu geben. Ihre Stimmen sind so vielfältig wie die Farben des Regenbogens: von trans- bis bisexuell. Diese Stimmen bleiben normalerweise ungehört, besonders wenn es arabische sind. Laut Elias Jahshan handelt es sich um den ersten Sammelband dieser Art. 

Ihre ganz persönliche Wahrheit

Achtzehn Autorinnen und Autoren haben ihre sehr persönlichen Essays zu diesem Band beigesteuert. Jeder Beitrag lenkt unseren Blick auf einen Ort, der normalerweise im Dunkeln liegt. Diese Orte sind in dem Sinne dunkel, dass wir dort normalerweise nicht hinschauen. Einige Geschichten beschreiben die Schwierigkeiten eines Lebens in arabischen Ländern, in denen ein offenes Bekenntnis zur eigenen homosexuellen Identität den Tod bedeuten kann. Schon die Tatsache, dass diese Menschen sich zu ihrer Identität bekennen, sollte deshalb positiv gesehen werden. 

Anstatt sich vor Scham und Angst zu verstecken, erzählen uns diese Stimmen ihre persönliche Wahrheit. Sie bitten nicht um Mitleid oder Verständnis. Sie wollen einfach nur gehört werden. Vor allem aber wollen sie nicht "gerettet" werden. So schreiben es einige ganz klar. Die Essays "Dating White People“ von Tania Safi und "Trophy Hunters, White Saviours and Grindr“ von Saeek Kayyani, erzählen von der Herablassung, die die Autoren seitens nicht-arabischer Menschen erfahren haben. 

Beschrieben werden zudem Stereotype über körperliche Merkmale und sexuelle Vorlieben, ebenso wie der Wunsch, sich vor einer repressiven Kultur zu retten und das Gefühl, selbst in der Gemeinschaft, in der man eigentlich sicher sein sollte, herabgesetzt zu werden. Dass die Mehrheit der Autorinnen und Autoren ihre Kultur liebt und nicht verlieren möchte, macht die Vorstellung, eben vor dieser Kultur gerettet werden zu müssen, noch verletzender. 

Viele Essays erzählen aus gutem Grund von den Schwierigkeiten, auf die die Betroffenen in ihren Familien stoßen, wenn sie ihre sexuelle Identität offenlegen. Manche berichten aber auch von der Unterstützung durch die Geschwister. Die meisten familiären Schwierigkeiten scheinen daraus zu entstehen, dass Sexualität ein Tabu ist. Selbst wenn alle in der engeren Familie wissen, dass ein Kind queer ist, wird das Thema tunlichst ausgeklammert. So ist dafür gesorgt, dass niemand mit den Großeltern und anderen Verwandten "diese Veranlagung“ thematisieren muss. 

 

 

Schnappschüsse aus dem Leben

Faszinierend an dieser Sammlung ist nicht nur die Vielfalt der Erzählungen, sondern auch wie emotional der Umgang der Autoren mit dem Thema ist. Es scheint, als hätten sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, um endlich ihre Geschichten zu erzählen. Jetzt, wo sie die Gelegenheit dazu haben, bringen sie ihre jahrzehntelang zurückgehaltenen Gefühle zu Papier. 

So schreibt die sudanesische Schriftstellerin Amma Ali ("Intersektionalität war mein größter Gegner“) darüber, wie sie als Afrikanerin und queere Frau in der rassistischen und homophoben Atmosphäre Saudi-Arabiens aufwuchs. Der Autor Danny Ramadan ("Das Bildnis des Künstlers als marginalisierter Mann“) schildert, wie sehr ihn die Erwartungen der Menschen blockieren, worüber ein queerer arabischer Mann schreiben sollte. Das gilt für alle Geschichten, die hier erzählt werden: This Arab is Queer ist immer eine Momentaufnahme des Lebens. 

This Arab is Queer ist manchmal schwer zu lesen, aber immer faszinierend und definitiv fesselnd. Jeder Essay vermittelt uns Lesern einen kleinen Mosaikstein aus dem großen Bild des Lebens der Autorinnen und Autoren. Auch wenn der Einblick nur beschränkt bleiben kann, so können wir doch viel mehr über LGBTQ+-Leben in der arabischen Welt sehen als bisher. Genau das macht dieses Buch so besonders. 

Richard Marcus 

© Qantara.de 2022  

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers