Israels Krieg - Deutschland und USA in der Solidaritätsfalle

Eine ältere Frau vor einem zerstörten Haus in Rafah Gazastreifen
Eine ältere Frau vor einem zerstörten Haus in Rafah, Gazastreifen (Foto: Said Khatib/AFP/Getty Images)

*Scholz und Biden besorgt über Netanjahus Kurs

*Ärger trotz weitergehender Unterstützung

*Aber Israels Regierungschef lehnt offen Zweistaaten-Lösung ab

*Sorge vor Vertreibung Palästinenser und Krieg mit Libanon

Von Andreas Rinke (Reuters)

Berlin. Als Kanzler Olaf Scholz im Weißen Haus mit US-Präsident Joe Biden sprach, war neben der Ukraine der Krieg im Nahen Osten beherrschendes Thema des Gesprächs. Denn in beiden Regierungen wächst fast täglich die Sorge vor einer weiteren Eskalation des Kriegs zwischen der israelischen Armee und der radikal-islamischen Hamas. Das Problem: Eine Mitverantwortung dafür sehen ausgerechnet die beiden stärksten verbliebenen Unterstützer des jüdischen Staates bei der israelischen Regierung. Die deutsche und die US-Regierung werden deshalb zerrissen zwischen dem Wunsch nach Solidarität mit Israel - und der Verärgerung darüber, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu partout nicht auf die immer dringlichen Mahnungen aus Washington und Berlin hören will. Eine weitere Eskalation droht gleich an zwei Stellen: Durch eine israelische Offensive in Rafah und einen Krieg mit der Hisbollah im Libanon.

Deshalb verschärft sich die Tonlage der Mahnungen: "Die Art der Kriegsführung muss den Ansprüchen, die Israel an sich selbst hat, die aber auch das Völkerrecht mit sich bringt, entsprechen", sagte Scholz nach seinem Gespräch mit Biden in Washington.

Außenministerin Annalena Baerbock wurde noch deutlicher: "Eine Offensive der israelischen Armee auf Rafah wäre eine humanitäre Katastrophe mit Ansage", schrieb sie am Samstag auf der Plattform X. Mitte der Woche will sie erneut bei einem Besuch in Israel versuchen, dies in Jerusalem klarzumachen. Dass Netanjahu dazu noch offen die von Amerikanern, Europäern und Arabern geforderte Zweistaaten-Lösung für Israelis und Palästinenser ablehnt, löst Kopfschütteln aus.

Der US-Präsident bemüht sich zwar weiter, Militärhilfe für Israel durch den Kongress zu bringen. Aber auch Biden verliert langsam die Geduld. Israels militärische Reaktion im Gazastreifen sei "over the top", sagte er offen. Erstmals verhängte die US-Regierung zudem Sanktionen gegen radikale jüdische Siedler, denen Verbrechen gegen die palästinensische Bevölkerung im besetzten Westjordanland vorgeworfen wird.

Was will Netanjahu wirklich?

Das Verhältnis von Scholz und Biden zu dem israelischen Ministerpräsidenten gilt trotz regelmäßiger Telefonate und der anhaltenden Solidarität mittlerweile als angespannt. Der Grund liegt vor allem darin, dass Netanjahu sich nur mit immer radikaleren Koalitionspartnern an der Macht hielt und deren Positionen übernahm. "Wir müssen einfach feststellen, dass in der israelischen Regierung Personen sind, die nicht auf der Grundlage des internationalen Rechts stehen", sagte der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, im Reuters-Interview.

Das führte schon im vergangenen Jahr zum Streit über die umstrittene Justizreform, die Hunderttausende Israelis aus Protest auf die Straße trieb. Jetzt wird zumindest hinter den Kulissen sowohl über die erlaubten Mittel im Krieg als auch die israelischen Ziele gestritten. Es geht nicht nur um Netanjahus Ankündigung, die Hamas im Gazastreifen zu "eliminieren". Schon zu Beginn des Krieges haben der jordanische König und der ägyptische Präsident davor gewarnt, dass die israelische Regierung in Wahrheit alle Palästinenser aus dem Gazastreifen vertreiben wolle. Die systematische Zerstörung der Häuser im Norden und das Verdrängen von Millionen Palästinenser Richtung des ägyptischen Grenzübergangs Rafah haben die Zweifel verstärkt. Einige ultranationalistische Minister in Netanjahus Kabinett fordern, auch im Gazastreifen wieder israelische Siedlungen zu bauen - weshalb Baerbock ausdrücklich vor einer solchen Entwicklung warnt.

Wie dramatisch die Lage ist, zeigt die Mahnung der ägyptischen Regierung, dass Israel keinen Sturm der verzweifelten Palästinenser auf den Grenzübergang provozieren solle, weil sonst der Friedensvertrag zwischen beiden Ländern zur Disposition gestellt werden könnte. Ägypten will unbedingt verhindern, dass zwei Millionen Menschen auf den Sinai drängen und auch dort palästinensische Flüchtlingslager wie vor Jahrzehnten im Libanon oder in Jordanien entstehen.

Zudem gibt es laut EU-Diplomaten die Sorge, dass Netanjahu vielleicht kein Interesse an einem schnellen Frieden hat. Am Sonntag betonte er, die von der Hamas noch festgehaltenen Geiseln die Fortsetzung der Militäraktion rechtfertigten. "Der Ministerpräsident denkt vielleicht auch an seine eigene Zukunft: Denn die innerisraelische Kritik an ihm ist so groß, dass ein Kriegsende das sofortige Ende seiner politischen Karriere bedeuten könnte", sagt ein EU-Diplomat.

Auch deshalb wächst parallel die Sorge vor einer Eskalation an der Nordgrenze Israels zum Libanon. Netanjahu wird aus Washington und Berlin immer wieder gewarnt, nicht an einen Krieg mit der Hisbollah zu denken. Gleichzeitig provoziert die von Iran unterstützte Miliz immer wieder. Die Angriffe der von Teheran unterstützten Huthi im Jemen auf Handelsschiffe und auf einen US-Stützpunkt in Jordanien zeigen, dass Iran durchaus Interesse an einem Flächenbrand in der Region haben könnte. Man müsse verhindern, "dass der Iran die Hegemonialmacht in der ganzen Region wird", mahnte Scholz. "Deshalb ist das jetzt eine ganz entscheidende Phase der politischen Entwicklung." (Reuters)