Israels geplante Offensive in Rafah - Wohin sollen die Menschen flüchten?

Eine unübersehbare Zahl von Zelten der palästinensischen Flüchtlinge bei Rafah
Eine unübersehbare Zahl von Zelten der palästinensischen Flüchtlinge bei Rafah (Foto: Abed Zagout/Anadolu/picture alliance)

Israel will seinen Militäreinsatz auf die Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten ausdehnen. Dort haben mehr als eine Million Palästinenser Zuflucht vor der Offensive gesucht, die einen Großteil des Gazastreifens verwüstet hat. In den vergangenen Tagen hat Israel die Stadt im Süden des Küstengebiets bereits aus der Luft angegriffen.

Warum plant Israel eine Bodenoffensive in Rafah?

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat Rafah als "letzte Bastion" der radikalislamischen Hamas bezeichnet, in der sich vier bewaffnete "Bataillone" aufhalten sollen. Bataillone sind nach gängiger Definition militärische Verbände, die zwischen wenigen hundert und mehr als tausend Mitglieder haben können. 

Netanjahu zufolge kann Israel sein Ziel, die Hamas auszuschalten, nicht erreichen, solange sich deren Kampfgruppen in Rafah aufhalten. Netanjahu hatte nach dem Angriff der Hamas auf Israel, bei dem am 7. Oktober 2023 rund 1200 Menschen getötet und mehr als 200 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden, die Vernichtung der Hamas als Ziel ausgegeben. Das israelische Militär hat bereits den größten Teil des Gazastreifens durchkämmt. Dabei wurden nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörden in dem von der Hamas regierten Gazastreifen etwa 28.000 Menschen getötet und zehntausende weitere verletzt.

Wie ist die Lage in Rafah?

Nach Angaben der UN-Agentur UNRWA, die die Palästinenser unter anderem mit Hilfsgütern versorgt, leben in Rafah derzeit etwa 1,5 Millionen Menschen. Das sind sechsmal mehr als vor dem 7. Oktober. Viele von ihnen kampieren auf den Straßen, auf unbebauten Grundstücken, am Strand und auf dem sandigen Streifen neben der Grenzmauer zu Ägypten. Andere sind in überfüllten Unterkünften untergebracht. Ärzte und Helfer haben Mühe, selbst grundlegendste Hilfe zu leisten und die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Der Norwegische Flüchtlingsrat bezeichnet das Gebiet als "gigantisches Flüchtlingslager". Ein Arzt, der den Gazastreifen vor kurzem verlassen hat, nannte Rafah ein "geschlossenes Gefängnis". Die Straßen, in denen Fäkalien allgegenwärtig seien, seien so überfüllt, dass Fahrzeuge etwa von Sanitätern kaum durchkämen.

Wohin könnten die Menschen aus Rafah flüchten?

Vor früheren Angriffen auf Städte im Gazastreifen hat Israel die Zivilbevölkerung aufgefordert, nach Süden zu fliehen. Viele der Vertriebenen sind deshalb in Rafah gelandet. Viel weiter nach Süden können die Menschen nicht mehr, denn dort ist die Grenze zu Ägypten. Netanjahus Büro erklärte, die Armee sei angewiesen worden, einen Plan für die Evakuierung Rafahs zu entwickeln. Hilfsorganisationen und auch zahlreiche Vertreter ausländischer Staaten, die Israels Vorgehen strikt ablehnen, haben indes erklärt, die Menschen könnten nirgendwo in dem Küstenstreifen mehr hingehen.

Das etwa 40 Kilometer lange und zwischen sechs und 14 Kilometern breite Gebiet grenzt im Norden und Osten an Israel, im Süden an Ägypten und im Westen ans Mittelmeer. Schätzungen zufolge leben dort etwa 2,3 Millionen Menschen. Der Gazastreifen ist damit eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt.

Der weitaus größte Teil der Wohn- und Infrastruktur wurde in den vergangenen Wochen bei der israelischen Offensive zerstört. Auf israelisches Gebiet will Netanjahu die Flüchtenden nicht lassen. Und Ägypten hat erklärt, nicht zuzulassen, dass palästinensische Flüchtlinge über die Grenze kommen.

Warum will Ägypten die Palästinenser nicht ins Land lassen?

Ägypten steckt in einer Wirtschaftskrise. Es leben bereits mehr als eine halbe Million Geflüchtete aus dutzenden Nationen in dem Land. Offen wäre auch, ob Israel die Palästinenser irgendwann aus Ägypten in den Gazastreifen zurückkehren ließe - oder ob es dauerhaft weitere Flüchtlingslager in Ägypten geben würde, deren Menschen über Jahrzehnte versorgt werden müssten. Ägypten fürchtet darüber hinaus, dass Kämpfer der Hamas ins Land gelangen, sich dort mit Regierungsgegnern verbünden und Anschläge verüben könnten.

Offensive auch zur Verhinderung einer Zwei-Staaten-Lösung?

Schon kurz nach Beginn der israelischen Offensive haben arabische Länder - vor allem Israels Nachbarn Ägypten und Jordanien - erklärt, die Palästinenser dürften nicht aus dem Land vertrieben werden, in dem sie einen künftigen Staat gründen wollen. Dieser würde das Westjordanland und den Gazastreifen umfassen. Es gibt die Sorge, dass jede Massenflucht über die Grenze die Aussichten auf eine "Zwei-Staaten-Lösung" - die Idee der Schaffung eines Staates Palästina neben Israel – weiter untergraben und die arabischen Nationen mit den Folgen konfrontieren würde. Philippe Lazzarini, Leiter des UN-Hilfswerks UNRWA, hatte bereits Anfang Dezember in der "Los Angeles Times" geschrieben, dass die Entwicklungen, die er beobachte, darauf hindeuteten, dass versucht werde, Palästinenser nach Ägypten zu bringen.

Was spricht gegen ein Verlassen des Gazastreifens?

Viele Palästinenser haben erklärt, sie würden den Gazastreifen selbst dann nicht verlassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Sie fürchten, dass dies zu einer weiteren dauerhaften Vertreibung führen könnte, wie es aus ihrer Sicht bereits im Jahr 1948 der Fall war. Damals hatten rund 700.000 Palästinenser ihre Heimat bei der Gründung Israels verlassen. Aus Sicht Israels handelte es sich damals nicht um Vertreibungen. Viele bezeichnen sich gleichwohl als Vertriebene und flohen in benachbarte arabische Staaten wie Jordanien, Syrien und den Libanon. Dort leben viele dieser Menschen oder ihre Nachkommen noch immer in Flüchtlingslagern. (Reuters)