Israelisches Bombardement nach Hamas-Angriff - Hunderte Tote auf beiden Seiten

* TV-Sender: 500 bis 600 Tote nach Hamas-Angriffen auf Israel

* Netanjahu schwört Vergeltung

* Israels bombardiert 800 Ziele in Gazastreifen, auch dort Hunderte Tote

* Hisbollah beschießt kurzzeitig Israel vom Libanon aus

* Scholz warnt vor Flächenbrand

Von Maayan Lubell und Nidal al-Mughrabi (Reuters)

Jerusalem/Gaza/Washington/Berlin. Nach dem massiven Angriff der radikal-islamischen Palästinenser-Gruppe Hamas mit Hunderten Todesopfern hat Israel den Gazastreifen massiv unter Beschuss genommen. Dabei wurden nach palästinensischen Angaben mindestens 370 Menschen getötet. Da Israel am Sonntag kurzzeitig auch von der Islamisten-Miliz Hisbollah aus dem Libanon angegriffen wurde, wuchs die Furcht vor einem Flächenbrand in der Region. "Wir warnen alle davor, in dieser Lage den Terror zu befeuern und weiterzutragen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin. Noch am Sonntag wollte Scholz mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Rishi Sunak über die Lage beraten. Zudem sollte der UN-Sicherheitsrat zu einer Sondersitzung zusammenkommen. US-Außenminister Antony Blinken warf der Hamas vor, mit dem Angriff auch eine Annäherung von Israel und Saudi-Arabien torpedieren zu wollen.

Die Zahl der Todesopfer in Israel nach dem überraschenden Hamas-Großangriff am Samstag stieg immer weiter an. Laut Berichten israelischer TV-Sender erhöhte sie sich zuletzt auf mindestens 600 Tote. Im palästinensischen Gazastreifen meldeten die Behörden 370 Tote. Die Zahl der Verletzten auf beiden Seiten geht in die Tausende.

In der Nacht auf Sonntag hatten israelische Luftangriffe Wohnblocks, Tunnel, eine Moschee und Häuser von Hamas-Funktionären im Gazastreifen getroffen. Israels Armee sprach von 800 Zielen, die angegriffen worden seien. Mehr als 20.000 Palästinenser im Gazastreifen haben in von den Vereinten Nationen (UN) betriebenen Schulen Zuflucht gesucht, so das Palästinensische Flüchtlingshilfswerk der UN.

NETANJAHU KÜNDIGT "MÄCHTIGE RACHE" AN

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schwor "mächtige Rache für diesen bösen Tag". Im Süden Israels kämpfte die Armee auch am Sonntag immer noch an einigen Orten gegen Hamas-Extremisten. Am Samstag hatte die im Gazastreifen herrschende Hamas überraschend einen Großangriff auf Israel aus der Luft, vom Boden und vom Meer aus begonnen. Sie feierte Tausende Raketen ab, Hunderte Kämpfer drangen durch die massiven Grenzbefestigungen vom Gazastreifen nach Israel ein. Sie töteten zahllose Zivilisten in grenznahen Ortschaften und entführten offenbar mehrere Dutzend Menschen in den Gazastreifen. Unter den Opfern sind auch zahlreiche Ausländer.

Das israelische Militär erklärte, es habe die Kontrolle über die meisten Infiltrationspunkte zurückgewonnen, Hunderte von Angreifern seien getötet und Dutzende weitere gefangen genommen.

Mittlerweile seien Zehntausende von Soldaten in der Umgebung des Gazastreifens stationiert, in dem 2,3 Millionen Palästinenser leben. Israels Militär und der Geheimdienst stehen in der Kritik, weil sie den blutigsten Überfall seit Jahrzehnten offensichtlich nicht erwartet hatten und ihn nicht verhindern konnten.

INTERNATIONALE SOLIDARITÄT

Israel erhielt von Staaten wie den USA und aus Europa Rückendeckung. US-Präsident Joe Biden bekräftigte, sein Land werde Israel immer den Rücken stärken. Außenminister Antony Blinken kündigte neue US-Hilfe an. In Deutschland versicherten neben Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock, auch die Parteichefs von SPD, CDU, Grünen, FDP und CSU in einer gemeinsamen Erklärung, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson sei.

Etliche arabische Staaten wie Kuwait, Katar oder Irak gaben aber Israel wegen der Siedlungspolitik vor allem im besetzten Westjordanland die Verantwortung für die Eskalation. In Deutschland wurde laut Innenministerin Nancy Faeser der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen verstärkt. Auch Frankreich erhöhte die Sicherheitsvorkehrungen rund um Synagogen und jüdische Schulen. In Ägypten wurden zwei israelische Touristen erschossen.

"HAMAS WILL UNS ALLE UMBRINGEN"

"Wir werden mächtige Rache für diesen schwarzen Tag nehmen", sagte Ministerpräsident Netanjahu. "Unser Feind wird einen Preis zahlen, wie er ihn noch nie erlebt hat." Die Hamas habe einen grausamen Krieg begonnen. "Die Hamas will uns alle umbringen. Sie ist ein Feind, der Mütter und Kinder in ihren Häusern, in ihren Betten ermordet." Ein Militärsprecher sagte, man sei im Kriegszustand. Israel könne Hunderttausende Reservisten mobilisieren und sei auch auf einen Krieg an seiner Nordfront gegen die Hisbollah vorbereitet, die wie auch die Hamas bereits mehrere Kriege gegen Israel geführt hat.

Hamas-Chef Ismail Hanijeh sagte, der Angriff werde sich auf das Westjordanland und Jerusalem ausweiten. "Dies war der Morgen der Niederlage und der Demütigung für unseren Feind, seine Soldaten und seine Siedler." Die Hamas habe oft gewarnt, dass das palästinensische Volk seit 75 Jahren in Flüchtlingslagern habe leben müssen. Im Norden erklärte die libanesische Hisbollah, sie habe einen Raketen- und Artillerieangriff auf die Shebaa-Farmen durchgeführt, ein Stück Land, das seit 1967 von Israel besetzt ist und auf das der Libanon Anspruch erhebt.

Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sagte laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa in einem Telefonat mit US-Außenminister Blinken, dass die "Ungerechtigkeit", die den Palästinensern widerfahre, den Konflikt mit Israel zu einer "Explosion" treibe. Der Iran bezeichnete die Angriffe als Selbstverteidigung der Palästinenser und rief islamische Länder auf, sich auf deren Seite zu stellen. Im Nahen Osten gab es Demonstrationen zur Unterstützung der Hamas. Dabei wurden israelische und US-Flaggen verbrannt.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) kündigte an, die gesamte Hilfe der Bundesregierung für Palästinenser auf den Prüfstand zu stellen. Das Geld dürfe nicht Terroristen dienen. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese forderte zudem ein hartes Vorgehen gegen Hamas-Unterstützer. "Jegliche Solidarisierung hier in Deutschland mit Terrororganisationen wie der Hamas oder Hisbollah muss eine harte und konsequente Antwort bekommen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, wie insbesondere die Ausweisung nach Paragraf 54 Absatz 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetzes", sagte er der "Rheinischen Post". Auch verschärfte sich die Debatte über die Reaktion auf vereinzelten Jubel von Hamas-Anhängern. "Wir akzeptieren es nicht, wenn hier auf unseren Straßen die abscheulichen Attacken auf Israel gefeiert werden", sagte Scholz. "Diese Taten sind barbarisch, sie sind empörend, sie sind durch nichts, durch gar nichts zu rechtfertigen." (Reuters)